Süddeutsche Zeitung

Steueroasen:Vertreibung aus dem Paradies

Lesezeit: 3 min

Wer kam auf die Idee, die Paradise Papers so zu nennen, fragt ein Leser. Er würde das Treiben der Steuerflüchtlinge eher in der Hölle vermuten. Zumindest gehören sie seiner Meinung nach eindeutig dorthin.

"Die Asozialen" vom 11./12. November:

Weiter die Finger in die Wunde!

Ziemlich ratlos lassen uns die weiteren Erkenntnisse des großartigen investigativen Journalismus der SZ sowie WDR, NDR und New York Times bezüglich der Paradise Papers zurück. Nach der Veröffentlichung der Panama Papers gingen seitens der deutschen Regierung von Finanzminister Wolfgang Schäuble nur sehr spärliche Aufklärungsimpulse aus, meist handelte es sich um Lippenbekenntnisse. Umso wichtiger ist die kontinuierliche Aufklärungsarbeit der Journalisten, denen wir großen Respekt zollen, verbunden mit der Hoffnung, dass sie nicht aufhören, die Finger "in die Wunde" zu legen, und so langsam vielleicht doch in Europa und weltweit neue gesetzliche Standards geschaffen werden. Andernfalls ist der soziale Friede immer mehr in Gefahr, und das sollten Politik und Wirtschaft nicht riskieren.

Monika und Dr. Valentin Reitmajer Oberding

Kaufboykott als kleine Lösung

Wenn man alle Informationen aufnimmt, die in "Die Asozialen" standen, müssten alle Verbraucher eigentlich zu einem Schluss kommen: Ein Kaufboykott gegen alle diese Firmen. Niemand dürfte mehr auch nur einen Gegenstand von diesen Betrügern erwerben. Ob sie allerdings zur Besinnung kommen, bleibt fraglich. Die Gier nach dem großen Geld wird sich nicht ändern. Aber vielleicht wäre es doch eine kleine Möglichkeit.

Reinhard Klein, Pforzheim

Hölle auf Erden

Wer kam auf die Idee, den Unterlagen über die Steuerflucht von Firmen und reichen Personen den Titel "Paradise Papers" zu geben? Denn schon die Sprache verrät eine heimliche Sympathie mit denjenigen, die "das Paradies" erreichen. Dort möchten wir doch alle eines Tages einmal hin, oder?

Daher plädiere ich dafür, die Unterlagen in "Hell Papers" umzubenennen. Denn im biblischen Paradies gehörte alles, was sich dort befand, allen dort lebenden Menschen. Sie sollten es nicht ausbeuten oder sich etwas auf die Seite schaffen, sondern es bebauen und bewahren. So sollte das Ganze eine gute Grundlage für ihr eigenes Leben sein und bleiben. Es handelt sich um eine frühe Definition dessen, was ein Gemeinwesen braucht, um gut zu gedeihen. Eine Art wirtschaftlicher und ökologischer Urkommunismus war die Grundlage der Besitzverhältnisse dort.

In den Steuerparadiesen dieser Erde ist das anders. Da komme ich nur hinein, wenn ich meinen Besitz gerade nicht teilen will. Wenn mir egal ist, was aus denen wird, denen ich meinen Anteil am Gemeinwesen vorenthalte. Der Evangelist Matthäus beschreibt im 25. Kapitel seines Evangeliums das Weltgericht am Ende der Zeit, bei dem der Menschensohn denjenigen, die anderen ihren Anteil am Gemeinwesen vorenthalten, einen Platz im ewigen Feuer an der Seite des Teufels und seiner Mitarbeiter verspricht (Matth. 25,41). Es steht zu befürchten, dass die Bewohner des Steuerparadieses ähnlich naiv wie die Angeklagten des Weltgerichts fragen: Wann haben wir das denn getan? Aber wir sollten hier auf der Erde nicht so lange warten, bis der Menschensohn mit seinem Weltgericht kommt.

Irdische Gerichte sollten die Bewohner der Steuerparadiese aus denselben vertreiben. Norbert Deka, Gelsenkirchen Vor knapp 100 Jahren wurde Heinrich Böll geboren. Schmerzlich wird mir in diesen Tagen bewusst, wie sehr uns eine solche moralische Instanz fehlt. So las ich seinen "Brief an einen jungen Katholiken" aus dem Jahre 1961 mal wieder. Es geht um "sittliche Gefahren" und das Gewissen als persönliche Instanz für das eigene Verhalten. Wie aktuell das klingt: "Halten Sie Abstinenz, lieber Herr M., naschen Sie nicht von all diesen Pralinensorten, von der Kritik, den Witzen, dem Gespräch über Literatur. Bald werden Sie spüren, wie Ihr Magen knurrt; dass Sie nach Brot verlangen, nicht nach verwaschener Soziologie, verwaschener Politik, verwaschener Kulturkritik, wie man sie gemeinhin geboten bekommt; der Magen knurrt, und das Gehirn dürstet, dürstet bis zur Verzweiflung nach Klarheit und Entschiedenheit: was dem Menschen nottut, ist Verbindlichkeit, und Sie werden nur Unverbindliches zu hören bekommen ... (27) ... die Catcher beherrschen das Feld, die Primitiv-Taktiker, Männer ohne Erinnerungsvermögen, die Vitalen, Gesunden, die nicht 'rückwärts blicken' und nicht jenem verpönten Laster frönen, das Nachdenken heißt, aber unter dem Begriff Morbidität als eine Art Rauschgift für Intellektuelle diffamiert wird; erhalten Sie sich getrost etwas von dieser Morbidität, räumen Sie ihr eine Provinz Ihres Bewusstseins ein und versuchen Sie die Verzweiflung des kleinen Unteroffiziers zu begreifen, der die Geschichte nicht ertragen konnte" (29f.).

Bölls Figuren wehren sich, zum Teil. Katharina Blum oder Johanna Fähmel schießen. Auch keine Lösung. Eher schon "Gruppenbild mit Dame". Aber wer könnte die Dame sein?

Ulrich Grode, Neumünster

Gilt das Primat der Politik?

Der eigentliche Skandal aus den Paradise Papers ist doch wieder mal oder immer noch: Gibt es ein ernst zu nehmendes Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft in den modernen Industriestaaten und Demokratien? Sollte diese Frage nicht geklärt werden, sind "America first", Brexit und andere Zerfallserscheinungen der modernen Gesellschaften nicht aufzuhalten.

Wilfried Mommert, Berlin

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Quelle:
SZ vom 23.11.2017
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