Sterben in Würde:Streit über ein Gerichtsurteil

Wer muss wann gefragt werden und wann entscheidet der Arzt: Eine Entscheidung des OLG München schreckt Profis wie Laien auf. Einige SZ-Leser sehen das Urteil kritisch. Der Bundesgerichtshof muss nun entscheiden.

Sterben in Würde: Wie macht man es richtig? Trost, Vertrauen und eine klare Rechtslage sind bei der Sterbebegleitung wichtig.

Wie macht man es richtig? Trost, Vertrauen und eine klare Rechtslage sind bei der Sterbebegleitung wichtig.

(Foto: imago stock&people)

Zu "Sterben in Würde" und "Leidvolle Lage" vom 13. März und "Leiden oder Sterben" vom 12.

März: Wer will eigentlich noch Arzt werden? Behandelt er einen Schwerstkranken, wird er verklagt, behandelt er ihn nicht, wird er auch verklagt. Geldgier wird ihm in jedem Fall als Maßstab für seine Entscheidung unterstellt. Für jedes Leid dieser Welt muss es einen Schuldigen geben. Schicksal

wird nicht akzeptiert. Meine absolut selbständige, sportliche Mutter erlitt aus heiterem Himmel mit dreiundachtzig Jahren eine schwere Hirnblutung. Die CT-Bilder waren fatal, eine Patientenverfügung lag vor und uns allen war klar, dass ihre Aussichten auf ein selbstbestimmtes Leben mehr als gering waren und sie ein - aus ihrer Sicht - Hinvegetieren nicht gewollt hätte. Gemeinsam mit den Ärzten entschieden wir, die Nasensonde, gegen die sie sich wehrte, zu entfernen und sie von der Intensiv- auf eine Palliativstation zu verlegen. Am Morgen der Verlegung schlug sie die Augen auf und las ein Schild an der Wand ihres Zimmers. Sie hatte sich entschieden, zu leben.

Nein, es folgt hier nicht die Geschichte einer Wunderheilung! Aber die einer nun selbstverständlichen Entscheidung für eine anstrengende Reha und den Umzug als

schwer körperlich und geistig Beeinträchtigte in ein Pflegeheim. Niemals hätte meine Mutter so leben wollen! Sie hat sich noch ein Jahr durchgeschleppt, liebevoll umsorgt von ihrer Familie und den großartigen Pflegekräften. Irgendwann hat sie aufgehört zu essen und ist letztendlich mehr oder weniger verhungert. Für dieses auch für uns unerträgliche Leid müsste sie uns Kinder eigentlich verklagen, weil wir sie nicht umgebracht haben! Denn das wäre der einzige Weg gewesen, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen.

Ute Nicolaisen-März, Pöcking

Angst vor Fehlern in Heimen

Was für ein empörendes Urteil des OLG München. Ein erwachsener Sohn und ein gesetzlicher Betreuer lassen fünf lange Jahre einen unmenschlichen Sterbeprozess zu und versuchen dann mit Hilfe eines Patientenanwalts dem betreuenden Hausarzt den Schwarzen Peter zuzuschieben. Es gibt seit Jahren den Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen Ärzten, Patienten und Angehörigen. Aus unserer langjährigen hausärztlichen Tätigkeit und täglichen Betreuung chronisch kranker Menschen bis zu ihrem Lebensende haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist im Sinne der Patienten eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. Das gelingt durch intensive Gespräche mit allen Beteiligten. Unsere originäre hausärztliche Tätigkeit zeichnet sich eben auch dadurch aus, dass wir den Patienten und sein soziales familiäres Umfeld kennen und somit in der Lage sind, diese Entscheidungen am Lebensende gemeinsam mit Patienten und Angehörigen tragbar zu machen. Zu verschweigen ist auch nicht die Erfahrung, dass, je stärker Patienten ihrer häuslichen Umgebung entrissen werden und institutionalisiert betreut werden, zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen, eine extreme Angst vor Fehlern herrscht, die dazu führt, dass Menschen nicht gemäß ihres letzten Willens behandelt werden, sondern unmenschlich als Objekt der Last, die es gilt, abzugeben. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof das Urteil aufhebt, denn eine alternde Gesellschaft benötigt den gelassenen hausärztlichen Umgang mit dem Lebensende und dem Tod.

Dr. Michaela Schulze-Schay, Dr. Christoph Schay, Marl-Sinsen

"Wertes und unwertes Leben"

Als ehemaliger Intensivarzt kann ich Ihnen versichern, dass die effektive Schmerzbehandlung eine Voraussetzung für jede Intensivbehandlung ist, denn Schmerz ist für jeden Menschen schwer erträglich und gefährdet die Therapie. Es ist oft schwer aber notwendig, die Erlebnisweise jedes Patienten zu verstehen und zu begleiten. Jeder Mensch hat in Deutschland die Möglichkeit, per Patientenverfügung über seine ärztliche Behandlung selber zu entscheiden. Die Vorstellung, dass Ärzte wieder über "wertes und unwertes Leben" entscheiden sollen, ist unerträglich. Sogar Schmerzensgeld zu verlangen, weil ein Patient nicht getötet wurde, ist ein Angriff auf unser aller Lebensrecht.

Dr. med. Rolf Ullner, Dorfen

Andere Praxis auf Palliativstation

Als Anwalt und als Betroffener mit einer schwerstkranken Ehefrau weiß ich, wann die ethische Pflicht besteht, diese Menschen von ihren lebensunwürdigen Umständen zu befreien. Mein Sohn ist Betreuer meiner Ehefrau und zugleich Mediziner, der seine Mutter über alles liebt und sie seit Monaten hingebungsvoll pflegt und füttert. Dabei geht er nicht - so meine Überzeugung - davon aus, dass er seine Mutter für den Fall deren Verweigerung von Essen und Trinken zwingen müsse, Nahrungsmittel und Getränke gewaltsam einzunehmen. Die landläufige Meinung, es gehe doch nicht an, die Mutter verhungern und verdursten zu lassen, ist falsch, denn die Tatsachen sind exakt andersherum. Der schwerstkranke Mensch verweigert die Nahrungsaufnahme deswegen, weil er weiß, dass es mit ihm zu Ende geht. Ich bin überzeugt, dass auch der schwerstkranke Mensch spürt, wann sein irdisches Leben beendet ist. Es stellt sich nur mehr die Frage, ob der behandelnde Arzt in dieser Situation durch Morphin-Injektionen den leidenden Menschen von seiner Pein befreien soll, um ihm ein Dahinschlummern bis zum letzten Atemzug zu ermöglichen.

In dem beim Bundesgerichtshof (BGH) vorliegenden Fall geht es - soweit mir bekannt - darum, ob Schadenersatzansprüche gegen den behandelnden Arzt bestehen, der das entsetzliche Leiden durch entsprechenden Einsatz von medizinischen Geräten künstlich verlängert. Dies ist ein ganz anderer Fall und hat mit der Wirklichkeit in den meisten Fällen nichts zu tun. Die tägliche Praxis in den Palliativstationen sieht anders aus, als dies vor dem Zivilgericht verhandelt wird. Deshalb ist der von Rechtsanwalt Wolfgang Putz durchgezogene Rechtsstreit zu Recht vor den Zivilsenat des BGH gebracht worden, da dieser Rechtsstreit andere Voraussetzungen hat, als die, die von Autor Janisch erläutert wurden.

Dr. Walter Riedle, Taufkirchen

Patientenwille und Indikation

Die Lektüre des Artikels "Leidvolle Lage" und des Kommentars "Sterben in Würde" haben bei mir als Arzt große Ratlosigkeit und Zorn ausgelöst. Denn bisher gilt: Jeder medizinische Eingriff in die vom Grundgesetz geschützte körperliche Unversehrtheit eines Patienten gilt als strafbare Körperverletzung, wenn er nicht indiziert ist und nicht dem Willen des darüber sorgfältig aufgeklärten Patienten oder seines Stellvertreters (Bevollmächtigter, Betreuer) entspricht. Es geht also um Indikation, Aufklärung und Willen des Patienten.

Im Patientenverfügungsgesetz von 2009 wurde festgelegt, dass "der behandelnde Arzt prüft, welche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist". Damit wurde deutlich gemacht, dass Ärzte (nicht Pflegekräfte, Heimleitung, Juristen) die Indikation festlegen und dies mit dem Stellvertreter des Patienten erörtern. Gibt es keine Indikation, muss auch nicht nach dem Willen des Patienten gefragt werden. Wenn der Zivilsenat des BGH das Urteil des OLG München nicht bestätigt, würde das bedeuten, dass bei allen medizinisch nicht indizierten Maßnahmen am Lebensende dennoch die Einwilligung des Patienten oder Stellvertreters eingeholt werden muss, und wenn ein Patientenwille nicht erkennbar wird, die Maßnahme durchgeführt werden kann. Das ist grotesk angesichts der tausendfach in Deutschland durchgeführten medizinischen Maßnahmen am Lebensende ohne Indikation oder Einwilligung der Betroffenen, die den strafbaren Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllen. Deshalb wäre es nicht gut, wenn Wolfgang Putz den Prozess verlöre.

Dr. Jürgen Bickhardt, Erding

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