Sterbehilfe:Einfach lebensmüde

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Eine Frau sieht keinen Ausweg mehr, ein Arzt hilft ihr beim Sterben und wird angeklagt. Was meinen die Leser dazu?

"Unerträglich" vom 24. Januar:

Was wir alles nicht wissen

Der Artikel "Unerträglich" schildert einen komplexen und tragischen Fall, der auf Basis eines Zeitungsartikels nur sehr eingeschränkt zu beurteilen ist. Dennoch fordert die Darstellung im Artikel zu einer Reaktion heraus. Schon der erste Satz "Eine Frau ist so krank, dass sie nicht mehr leben will" sollte so nicht unwidersprochen bleiben. Es ist ein gesichertes Ergebnis klinischer Erfahrung und Forschung, dass kein Krankheitserleben allein, und sei die Krankheit noch so schwer, per se und quasi gesetzhaft Suizidimpulse auslöst. "Eine Frau ist so krank, dass sie keinen anderen Ausweg für sich sieht" kann zutreffen - aber das ist eine ganz andere Aussage.

Im weiteren: das Verhalten des Arztes implizit als gerechtfertigt und die Infragestellung durch die Staatsanwaltschaft als überzogen hinzustellen, erscheint auf Basis der gegebenen Informationen keineswegs nachvollziehbar. Er hat einer verzweifelten, an einer schweren, aber prinzipiell behandelbaren, im engeren Wortsinn "somato-psychischen" Krankheit leidenden Frau aktiv, und das "aktiv" bezieht sich mindestens auf Rezeptausstellung und aktive Verhinderung von Hilfe, geholfen, ihren Suizidwunsch umzusetzen - ob das "aktiv" war im juristischen Sinn sei dahingestellt. Was wir nicht wissen: Hat er zuvor mit der Patientin alle Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten mindestens genauso aktiv durchgespielt, zum Beispiel Überweisung in auf Reizdarm spezialisierte Zentren zur stationären Behandlung, Klärung der privaten und professionellen Unterstützungsmöglichkeiten etc.?

Der Arzt verdient in jedem Fall unseren Respekt für seine Entscheidung - aber angesichts der großen Problematik aktiver Sterbehilfe, die in unserem Land zum Glück verboten ist, sollte eine Darstellung wie im Artikel nicht vorschnell Stellung beziehen oder eine solche zumindest implizieren.

Prof. Peter Henningsen, München

Gut sein lassen

Es erschreckt mich jedes Mal außerordentlich, wenn sich hierzulande selbst im menschlich nachvollziehbaren Fall eines medizinisch und sozial offensichtlich gut begleiteten Suizids ein Staatsanwalt findet, der die ganze traurige Geschichte in all ihren Einzelheiten so zu interpretieren versteht, dass eine strafbare Handlung eines Dritten vorliegt.

Unzweifelhaft hat der Staat auch bei einem Freitod die Aufgabe, zu klären, ob es sich tatsächlich um einen solchen handelte. Aber dann sollte es der Staat meiner Meinung nach endlich gut sein lassen. Warum schafft es diese Gesellschaft nicht, eine weitgehend akzeptierte Regelung zu finden, welche es Menschen, die dieses Leben nicht beziehungsweise nicht mehr ertragen können, ermöglicht, eigenverantwortlich einen angemessen würdevollen Freitod zu wählen?

Anstatt schwerkranke Menschen beziehungsweise Suizidenten post mortem mithilfe psychiatrischer Diagnosen prinzipiell zu Unmündigen zu degradieren und "Unterstützer" zu kriminalisieren, bedarf es endlich einer laizistisch orientierten Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass die Biologie als lebensgenerierendes Prinzip durchaus auch potenziell unerträgliches Leben hervorbringt. Vor allem sollte sich niemand über einen anderen erheben und festlegen dürfen, was als für ein Individuum als erträglich zu gelten hat und was nicht.

Jutta Fuchs, München

Neue Suizidkultur entwickeln

Bei allen Fortschritten der modernen Medizin ist leider der Nachteil die unendliche Verlängerung des Sterbeprozesses in vielen Fällen. Belastet durch das gnadenlose Morden - genannt Euthanasie - im Zweiten Weltkrieg, wagen unsere Entscheidungsträger heute nicht, eine den heutigen medizinischen Verhältnissen angemessene Einstellung zum Freitod zu finden. Es ist höchste Zeit, eine neue Suizidkultur zu entwickeln, damit nicht weiterhin unwürdige Fahrten ins Ausland - sofern der Sterbewillige reisefähig ist - oder grässliche Todesarten gewählt werden müssen, nur weil wir einstellungsmäßig im Mittelalter stecken geblieben sind, als diese armen Menschen an der Friedhofsmauer verscharrt wurden. Man muss doch akzeptieren, dass eine gewisse Anzahl von Menschen völlig normal und einfach lebensmüde ist.

Margrit Brauer, Celle

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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