Sprachlabor:Wirklich hinterfragen

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Einem Leser ist aufgefallen, dass das Wort "hinterfragen" in jüngster Zeit eine zusätzliche Bedeutung bekommen hat: Nicht mehr nur "herausfinden, ob etwas glaubhaft ist", sondern auch "ablehnen". Unser Sprachlaborant kann ihm nur Recht geben.

Von Hermann Unterstöger

IM DUDEN VON 1934 finden sich nur wenige Verben, die mit dem Präfix hinter- gebildet wurden: hinterbringen, hintergehen, hintertreiben und noch ein paar. Die Verbbildung mit hinter- gilt als unproduktiv, doch hat in dem Fall die Sprache die Rechnung ohne den Wirt gemacht, also ohne die Sprachgemeinschaft. In den Sechzigerjahren wurde das Verb hinterfragen erfunden, und es stieg auf wie der Kranich im ungarischen Lied, nämlich "kühnen Flugs". In Diskursen der Befindlichkeit und neuerdings der Achtsamkeit hat es sich fest eingenistet, im Sinn von: nach den Grundlagen von etwas fragen oder herausfinden, ob etwas glaubhaft ist, welche Intention dahinter steht. So hat es sich auch unserem Leser K. eingeprägt, doch glaubt er neuerdings einen Bedeutungswandel zu beobachten, etwa wenn von den italienischen Populisten berichtet wird, sie hinterfragten die EU, den Euro und anderes. Hinterfragen heiße in diesem Zusammenhang so viel wie ablehnen, und zwar möglicherweise ohne vorherige Hinterfragung. Ob dieser Unterschied verloren gehe, will er wissen. Wie es aussieht, müsste das mal vom Duden hinterfragt werden.

DASS HOCHHÄUSER gebaut werden, ist für Leser Dr. M. noch nichts Erstaunliches. Was ihn aber ins Grübeln kommen ließ, war die Meldung, dass in diesen Zeiten "78 bewohnte Hochhäuser gebaut" werden. Seit er das gelesen hat, fragt er sich, ob die Bewohner zusammen mit den Bauwerken hochgezogen werden.

AUFFÄLLIGE JUGENDLICHKEIT wird in der Presse gern mit Attributen wie ewig jung oder zeitlos bedacht. Bei Joachim "Jogi" Löw griff der Kollege vom Sport zu der paradoxen Formulierung "seit vielen Jahren 45-jährig", hinter der sich Respekt dafür verbarg, dass und wie der Mann "sich hält". Leser Dr. K. will trotzdem wissen, wie alt Löw ist. Hier zum Ausrechnen: Er wurde am 3. Februar 1960 in Schönau im Schwarzwald geboren, und zwar als ältester von vier Söhnen eines selbständigen Ofensetzers.

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