Sprachlabor:Wenn der Atem stockt

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Für einen Pfarrer ist ein Traum wahr geworden, für einen Leser dagegen ein Albtraum: Ihm hat die Wortwahl den Atem geraubt.

Von Hermann Unterstöger

WENN LESERN DER ATEM stockt, ist uns Schreibern etwas glorreich ge- oder grausig misslungen. Leser Sch. hatte diese Anwandlung bei der Mitteilung, für Pfarrer B. sei ein Konzert zur "Bewahrheitung eines Traums" geworden. Als er wieder Luft hatte, schrieb er, dass erstens der Traum sich nicht bewahrheitet habe, sondern wahr geworden sei, und dass es zweitens das Wort Bewahrheitung überhaupt nicht gebe. So recht Herr Sch. mit Punkt eins hat, so klar irrt er in Punkt zwei. Bewahrheitung steht in jedem guten Wörterbuch und wird als "das Sichbewahrheiten" erklärt. Ein früher Beleg findet sich in Johann Gottlieb Fichtes Antrittsrede als Rektor in Berlin (1811), in der er mit der Sitte, in Ausgelassenheit, Trinkgelagen und Schlägereien die "einzige Bewahrheitung" des Studentenstands zu sehen, scharf ins Gericht ging.

ALS DAS BLAU der französischen Fahne geändert wurde, nannten wir das eine "Rückbesinnung aufs Marineblau". Das führte bei Leser H. zu einer Rückbesinnung auf seine Schulzeit, in der ihm beigebracht wurde, dass sich besinnen allemal rückwärtsgerichtet, die Rückbesinnung also "doppelt gemoppelt" sei. Da ist etwas dran, doch muss man bedenken, dass das Sichbesinnen auch auf sehr gegenwärtige Dinge gerichtet sein kann, zum Beispiel wenn man sagt, jemand besinnt sich seiner Verantwortung oder der schwierigen Lage. Eine "Besinnung aufs Marineblau" könnte, so gesehen, als Meditation übers Marineblau statt als Rückgriff darauf verstanden werden.

GUSTAV WUSTMANN behandelt in seinen "Sprachdummheiten" (1891 ff.) auch die doppelte Verneinung, die er als Stilmittel - "nirgends kein Dank" - durchaus zu schätzen weiß. Dass warnen die Verneinung schon in sich trägt, ist ihm jedoch so bewusst wie unserem Leser J., der über den Satz "Trotzdem warnen Experten, keine falschen Hoffnungen zu wecken" stolperte. Wustmanns Beleg ist um einiges lustiger: "Ich warne hiermit jedermann, meiner Frau nichts zu borgen."

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