Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Von Kommata und faktischen Tatsachen

Warum die Zeichensetzung ein weites Feld bleibt. Und was es mit faktischen und erwünschten Tatsachen auf sich hat.

Von Hermann Unterstöger

DAS KOMMA ist, ungeachtet seiner winzigen Gestalt, ein wichtiges Satzzeichen, und besonders wichtig ist es, wenn es überhaupt nicht da sein sollte. Leserin K. und Leser Dr. B. greifen solch einen Fall auf, einen Fall, der noch dazu als Überschrift auf der ersten Seite der SZ stand: "Leben zu verlängern, ist kein Schaden." Ein Schaden ist es aber, hier ein Komma zu setzen, da der erweiterte Infinitiv Leben zu verlängern das Subjekt des Satzes bildet und dieses nun mal nicht vom Restsatz abgetrennt wird. Ganz so "blamabel" (Frau K.) wäre die Sache freilich nicht ausgefallen, wenn der Subjektsinfinitiv sehr lang gewesen wäre: In dem Fall halten die Gurus der Zeichensetzung das Komma für nützlich und daher auch erlaubt. Davon könnte der zweite Satz profitieren, den Herr B. moniert: "In Venezuela an Lebensmittel zu gelangen, ist für viele Menschen längst täglicher Kampf."

"EINES SCHICKT SICH nicht für alle", schreibt uns Leser V. ins Stammbuch. Er zielt damit auf das Pronomen was in diesem Satz: "Was man sich einerseits gar nicht weiter vorstellen möchte, andererseits als Kompliment verstanden werden muss ..." Der Autor dachte sich wohl, dass das was am Anfang stark genug sei, auch den zweiten Nebensatz einzuleiten, doch hatte er da die Rechnung ohne die Lehre von den Fällen gemacht. Das einleitende was steht im Akkusativ, wohingegen das zweite - und leider fehlende - im Nominativ zu stehen hätte: gleiches Wort, jedoch völlig verschiedene Baustellen.

FAKTEN SIND TATSACHEN, das ist Fakt. Aus diesem Grund fand es Leser E. sinnfrei, "sich an tatsächlichen, nicht an erwünschten Fakten zu orientieren". Als ehemaliger Schulmann wusste er die Kinder auch beim Namen zu nennen: Tatsächliche Fakten seien ein Pleonasmus, erwünschte Fakten aufgrund ihrer Nichtexistenz eine Contradictio in Adjecto. Der Wirrwarr wäre vermieden worden, wenn der Autor gefordert hätte, "sich an Fakten, nicht an Wünschen zu orientieren".

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Quelle:
SZ vom 27.04.2019
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