Sprachlabor:Vergänglich und reflexiv

Sprachlabor: undefined

Was es mit dem Tod im britischen Parlament auf sich hat. Und warum sich nicht gewundert werden soll ob dieser Satzkonstruktion.

Von Hermann Unterstöger

"MANGELNDE PRÄZISION" wirft unser Leser R. diesem Satz vor: "Das britische Parlament verbietet es den Abgeordneten, in seinen Räumen zu sterben." Seiner Ansicht nach müsse es "in ihren Räumen" heißen, oder man müsse schreiben, dass es das Parlament "in seinen Räumen" verbietet zu sterben. Wir können das auf sich beruhen lassen. Man traut dem britischen Parlament ja mittlerweile alles zu, aber in diesem Fall ist ihm kein Vorwurf zu machen, da das fragliche Gesetz ins Reich der Legenden gehört. Man findet zwar da und dort die Behauptung, im Parlament dürfe nicht gestorben werden, weil das den Anspruch auf ein kostenloses Staatsbegräbnis begründe; wer es trotzdem tue, dessen Leiche werde bei Nacht und Nebel weggeschafft. Dass dem nicht so ist, beweisen Guy Fawkes und Sir Walter Raleigh, die beide dort starben, wenn auch nicht freiwillig. Keiner von ihnen bekam ein Staatsbegräbnis, doch soll zumindest Raleigh vor der Enthauptung noch ein 1-a-Bonmot gedrechselt haben: "Wenn das Herz am rechten Fleck ist, spielt es keine Rolle, wo der Kopf ist."

OHNE BELEG, aber schaudernd legt Leser M. die Wendung "Jetzt wird sich erst einmal erholt" auf den Seziertisch. Dass derlei umgangssprachlich ist, muss man nicht betonen; ganz falsch ist es indessen nicht. Die Grammatik weist darauf hin, dass reflexive Verben wie sich waschen nicht passivfähig sind, dass es jedoch erlaubt ist, sich zum Ausdruck energischer Aufforderung darüber hinwegzusetzen: Jetzt wird sich aber gewaschen! In der Literatur scheint es wenige Belege dafür zu geben: Wie sonst würde die Dudengrammatik von 1984 dasselbe Zitat bringen wie die von 1959? Es lautet: "Da wurde geknufft und geprügelt, in zitternder Angst sich verkrochen und mit lautem Hallo losgestürmt." Der Satz stammt aus dem zu seiner Zeit überaus erfolgreichen Roman "Die Wacht am Rhein" von Clara Viebig, der - ein im Fontane-Jahr vielleicht erwünschter Hinweis - 1902 im Verlag von Fontanes Sohn Friedrich erschien.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: