Sprachlabor:Wer ist der Nächste?

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Ferner: Welche Klippen in „um … zu“-Sätzen lauern.

Von Hermann Unterstöger

EIN DAUERBRENNER sprachkritischer Mails ist die Verdrängung von anderer durch nächster, wie Leser W. sie in der Überschrift „Eine Eskalation folgt der nächsten“ konstatierte. Nach seinem Gefühl für sachliche und sprachliche Stimmigkeit hätte es „Einer Eskalation folgt die nächste“ heißen müssen. Das stimmt, doch bei der verbreiteten Scheu, einen an sich simplen Satz auf gehobene Art mit dem Dativobjekt zu beginnen, würde es auf die Formulierung „Eine Eskalation folgt der anderen“ hinauslaufen – und genau hier stoßen wir auf das genannte Phänomen. Eine ad hoc fabrizierte Ministatistik weist aus, dass bei dem Satzmuster „… folgt dem/der anderen“ das Pronomen andere/r überwiegend durch nächste/r ersetzt wird, und zwar ganz ersichtlich ohne Angst, die falsche Reihenfolge zu präsentieren. Es ist zu vermuten, dass nächste/r hier nicht als Hinweis auf eine strikte Abfolge aufgefasst wird, sondern als Synonym für andere/r oder auch weitere/r. Hilfsweise sei erwähnt, dass nächst einst durchaus auch in die Vergangenheit weisen konnte, wie wir es an dem bairischen Lied „Z’nachst hat ma mei Diandl a Briafal zuagschriebn“ gut sehen können.

DIE VERBINDUNG ZWEIER SÄTZE mit „um … zu“ kann zu seltsamen Ergebnissen führen. In Lehrbüchern findet man dazu Beispiele wie das, dass Karl in die Stadt geht und dort überfahren wird, was dann so formuliert wird: „Karl ging in die Stadt, um dort überfahren zu werden.“ Eine ähnliche Verdrehung des Sachverhalts entdeckte Leser Dr. H. in diesem Satz: „Ein jüdischer Arzt verweigert einem katholischen Priester den Zutritt zu einem Krankenzimmer, um einer jungen Frau die Sterbesakramente zu erteilen.“ Wie es wirklich war, erfährt man in Schnitzlers „Professor Bernhardi“: Es ist der Priester, der die Sakramente erteilen will, nicht der Arzt. Ähnlich verquer war die von Leser N. entdeckte Spekulation, wonach „George Soros … schwarze Frauen aus Ohio nach Kalifornien fliegen lasse, um dort einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen“. Er habe, schreibt N., schon die wüstesten Vorwürfe gegen Soros gehört, aber dass er Schwangerschaften abbreche, sei ihm noch nicht untergekommen.

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