Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Tomatisierter Adel und gegendertes Filet

Der Adel ist abgeschafft, aber des korrekten sprachlichen Umgangs enthebt das nicht. Dazu werden besondere Hähnchenfilets und Kanzler­kandidaten näher untersucht.

Von Hermann Unterstöger

WIE MAN ZU ADELSTITELN STEHT, ist das eine. Das andere ist der korrekte Umgang mit ihnen, und da findet Leserin B., dass man's auch übertreiben kann. Ihre Fundstelle dazu: "Wenn von Brauchitsch 2017 Tomaten trafen, weil ..." Um weitere Leserbriefe im Keim zu ersticken, sei präzisiert, dass es nicht 2017 Tomaten waren, die Claudia von Brauchitsch trafen, sondern dass die Würfe 2017 stattfanden. Frau B. zufolge sollte, wenn bei Adelstiteln der Vorname wegfällt, auch das "von" wegbleiben. Ob es dazu eine Regel gibt, ist unerheblich, weil man Rat bei Fontane einholen kann. Zu Beginn seines Romans "Schach von Wuthenow" treten allerlei Adelige auf, unter ihnen, um gleich auf den ersten zuzugreifen, Ludwig Karl Alexander von Alvensleben. Und wie spricht die Hausherrin ihn an? Sie spricht ihn mit "lieber Alvensleben" an, und so wird das durchgehend gehandhabt, außer bei besagter Hausherrin Josephine von Carayon, die ebenso durchgehend "Frau von Carayon" genannt wird. Würde man heute auf sie Tomaten werfen, stünde in der Zeitung, dass man "auf Carayon" Tomaten geworfen habe.

WEITERHIN wird davor gewarnt, Leserbriefe zu Hähncheninnenfilets zu schreiben. Dabei handelt es sich nicht, wie ein Leser voll Genderhäme unterstellte, um Filets von Hähncheninnen, sondern um Innenfilets von Hähnchen. Die Frau vom Hähnchen ist, weil wir gerade dabei sind, übrigens nicht das Hühnchen, jedenfalls nicht generell. Das Hühnchen, das man mit jemandem noch zu rupfen hat, ist öfter, als man denkt, ein Hähnchen.

DIE WAHL hat in Kooperation mit einer der Selbstaufgabe gefährlich nahen Genderbeflissenheit das substantivierte Partizip "Kanzlerkandidierende" hervorgebracht. Unser Leser H. wendet dagegen ein, dass das Partizip Präsens durch Anhängen von -end an den Wortstamm des Verbs gebildet wird, es das Verb kanzlerkandidieren aber nicht gibt. Und wenn schon, fährt er launig fort, warum dann nicht gleich "Kanzler:innenkandidierende"?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5427826
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.10.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.