Sprachlabor:Sich verwahren

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Wann ein Verb sich für die reflexive Form eignet, ist eine Frage der Grammatik, nicht der Provenienz des Sprechers. Und: Was es mit Konsens-Entscheidungen und falschen Übersetzungen auf sich hat.

Von Hermann Unterstöger

ES GIBT ECHTE REFLEXIVVERBEN, die ohne Reflexivpronomen nicht bestehen können, zum Beispiel sich schämen. Bei unechten Reflexivverben kann sich das Geschehen auf das Subjekt oder ein Objekt richten: sich ärgern oder jemanden ärgern. Und dann gibt es noch die "nicht existenten Reflexivverben". Leser Dr. D. ist über eines von ihnen empört, und das umso mehr, als es ihm kurz hintereinander zweimal vorgesetzt wurde, nämlich sich verwehren: "Unsere Autorin verwehrt sich dagegen" statt richtig: "verwahrt/wehrt sich dagegen". Herr D. vermutet, dass sich verwehren als gehobene Form von sich wehren angesehen wird, so wie dereinst als edlere Variante von einst. Sein Rat: Auf dem Boden bleiben!

"NICHT REFLEXIV!" So Leser G. zu der Formulierung "Lokalpolitiker erwarten sich davon eine Entlastung ..." Eine harte Rüge. Entlastung erwarten wir uns aus der Grammatik, die für dieses "sich" eine Grundlage bereithält: den Dativus ethicus, auch Dativ der emotionalen Anteilnahme genannt, der uns in Floskeln wie "Du bist mir aber einer!" begegnet. Laut Grammatik ist er der volkstümlichen Redeweise ähnlich eigen wie der Dichtung. Da mag er denn auch durchgehen, wenn sich Lokalpolitiker etwas erwarten.

UM BEDINGUNG UND FOLGE geht es Leser Dr. B. Dass die Armee in Myanmar sich "Staatsverwaltungsrat" nennt, wurde bei uns so bewertet: "Je bürokratischer der Klang, umso stärker das Bedürfnis, Normalität vorzutäuschen." Herrn B. kommt das unlogisch vor. Er plädiert für: "Je stärker das Bedürfnis, Normalität vorzutäuschen, umso (oder besser: desto) bürokratischer der Klang."

JE KOMPETENTER die Leserin, umso beziehungsweise desto gewichtiger ihr Einwand. Frau H.-K. ist "beeidigte" Übersetzerin, kann es also gewissermaßen auf ihren Eid nehmen, dass der Wert der frühkindlichen Betreuung für die Bildung nicht, wie bei uns zu lesen war, "Common Sense" sein sollte, sondern Konsens.

© SZ vom 17.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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