Sprachlabor:Schalte, Denke und andere Zumutungen

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Warum die Printmedien keine Rundfunksprache übernehmen müssen. Und: Kanzlerin Merkel spricht ja nun öfters zu ihren Bürgern, da fällt denen zunehmend auch Stilistisches auf.

Von Hermann Unterstöger

"DIE DENKE ist doch total Banane." So kommentierte ein Experte einmal einen Vorfall auf dem Geldmarkt, und ähnlich bananenhaft kommt unserer Leserin Z. die neuerdings überhandnehmende Version des Wortes Schaltung vor, nämlich Schalte. Stellvertretend für viele andere Leser unterstellt sie, unsere Sprache bedürfe "einer Bewege der Erneuere, einer Erleichtere und Erfrische, damit durch Umgehe zu langer Wörter statt einer Beerdige eine Befreie eintreten kann". Nach den Gesetzen der Wortbildung ist gegen die Ableitung der Schalte von schalten nichts einzuwenden; als Muster sind wiegen und Wiege, scheuchen und Scheuche oder durchreichen und Durchreiche heranzuziehen. Da die Schalte dem Jargon von Funk und Fernsehen angehört, stellt sich allerdings die Frage, ob Druckmedien sie übernehmen müssen. Die Antwort: Müssen sie nicht. Unsere Vermute: Tun sie trotzdem, und mehr denn je.

"WER BIN ICH", sagte Moses, "dass ich zum Pharao gehe?", und in vergleichbarer Scheu sagt diese Kolumne: Wer bin ich, dass ich Angela Merkel für ihren Redestil kritisiere? Leser hatten Anstoß an ihrer Aussage genommen, die Pandemie sei "eine demokratische Zumutung", an einer Formulierung, die nur wenige Medien in fürsorglicher Sprachlenkung in "Zumutung für die Demokratie" umgewandelt hatten. Dazu zweierlei. Erstens gilt, wie es so schön heißt, das gesprochene Wort, das die Medien wiederzugeben haben, ob dessen stilistische Qualität ihnen nun zusagt oder nicht. Zweitens ist die demokratische Zumutung sprachlich insofern halbwegs auf der sicheren Seite, als man für sie die rhetorische Figur der Enallage in Anspruch nehmen kann. Man definiert diese als Verschiebung der logischen Wortbeziehungen, wie wir sie im sattsam bekannten fünfköpfigen Familienvater finden. Als unverfängliches Beispiel wird oft das Bürgerliche Gesetzbuch genannt, das in Wirklichkeit das Buch der bürgerlichen Gesetze ist. Die stehenden Ovationen halten ebenfalls die Stellung, obwohl sie eine sprachliche Zumutung sind.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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