Sprachlabor:Plättchen und mehr

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Was es mit der Sippenhaft genau auf sich hat und warum mathematische Gewissheiten bei Grammatik nicht helfen.

Von Hermann Unterstöger

NUN HAT ASTRA ZENECA auch auf die Berichterstattung übergegriffen. Im Kontext mit Thrombosen, die das Impfmittel auslösen kann, war bei uns von "Blutblättchen" die Rede - eine Bezeichnung, die auch dadurch nicht besser wird, dass sogar einer Uniklinik wie der des Saarlandes der Lapsus unterläuft, die Milz diene "als Reservoir für Blutblättchen". Unsere Leserin J.-Z. verweist auf den richtigen Terminus Blutplättchen und mahnt: "So viel Zeit zum Recherchieren muss sein!" Und was ergibt eine Recherche von fünf Minuten? Dass Alfred Donné, der die Thrombozyten als Erster beschrieb, sie für Kügelchen hielt ("De l'origine des globules du sang, de leur mode de formation et de leur fin", Paris 1842).

IM EIFER FÜR DIE GUTE SACHE schießt mancher übers Ziel hinaus. Leser B. zum Beispiel kreidet es dem Aktuellen Lexikon "Sippenhaft" an, dass es "die korrekte Schreibweise" Sippenhaft ung habe vermissen lassen. Was er dabei übersieht, ist der Umstand, dass es den Nationalsozialisten nicht um den alten Grundsatz ging, wonach die ganze Sippe in einer Art von Familienbürgschaft für Straftaten einzelner Mitglieder einzustehen habe. Was sie betrieben, war insofern Sippen-Haft, als sie, um einen Menschen zu strafen oder zu nötigen, dessen ganze "Sippe" in Haft nahmen. In der Fachliteratur ist deshalb meist von Sippenhaft die Rede; auch das Große Lexikon des Dritten Reichs führt Sippenhaft(ung) als Stichwort.

DER EIFER FÜRS RICHTIGE beflügelte auch Leser Th. Mit der Regel "minus mal minus gleich plus" trat er gegen die Formulierung "War kein gutes Jahr, für niemanden" an. Sein Vorwurf: Damit werde "Ein gutes Jahr für alle" gesagt. Nun ist aber die doppelte Verneinung keine Multiplikation mit rationalen Zahlen, sondern oft ein Sprachspiel zur Bekräftigung der Verneinung, wie wir es aus Edith Piafs Chanson "Non, je ne regrette rien" in schönster Erinnerung haben. Unser Satz, in seine Teile zerlegt, bedeutet: Es war kein gutes Jahr, für niemanden war es ein gutes.

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