Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Namensgebend

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Ein Leser merkt an, dass sich Prozesse nicht selbst einen Namen geben können, sondern vielmehr benannt werden. Und: Die Redensart "um eine Volte reicher" meint, dass etwas um eine Wendung reicher ist und hat nichts mit Dressurreiten zu tun.

Von Hermann Unterstöger

VON DER SACHE HER hat Leser K. recht, wenn er anmerkt, dass Verfahren sich ihre Namen nicht selber geben, sondern benannt werden. Anlass waren die Stellen "drawdown nennt sich der Prozess" und "marine cloud brightening nennt sich das Verfahren". In der Tat wäre es, schon um die Wiederholung zu vermeiden, besser gewesen, nennt sich durch heißt oder wird genannt zu ersetzen, aber sprachlich ist gegen nennt sich auch bei Sachen, Verfahren usw. nichts einzuwenden. Wer im Urlaub üble Erfahrungen gemacht hat, ruft: "Und so was nennt sich Fünf-Sterne-Hotel!", und in Jakob Michael Reinhold Lenz' Gedicht "Matz Höcker" findet sich beziehungsweise wird gefunden die Zeile "Das nennet sich Lieb, und führet zur Höllen.." Das Gedicht nennt sich übrigens "eine Chrie". Sollte man mal googeln ...

GEGOOGELT hat auch Leser B., nämlich das Wort Volte, nachdem er gelesen hatte, dass dank der Datenvernichtungsposse die Ibiza-Affäre "um eine Volte reicher" sei. Seine Ansicht, die Affäre sei nun um eine Figur im Dressurreiten reicher, liegt bei den handelnden Herrenreitern zwar nahe, die Redensart meint aber, dass etwas um eine Drehung/Wendung (italienisch la volta) reicher sei.

DASS UNSER PLANET "in einem verheerenden Zustand" ist, darin stimmt Leserin B. uns zu, wenn auch nur inhaltlich. Sprachlich wendet sie ein, dass verheerend kein Opfer-, sondern ein Täter-Adjektiv sei, abgeleitet von Heeren, die alles verwüsten. Für treffend hält sie verheert, doch haben viele das Gefühl, dieses Wort sei seit Gryphius - "Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret!" - außer Dienst. Laut Hermann Pauls Deutschem Wörterbuch ist die Vorstellung, dass die Verwüstung durch ein Heer geschieht, geschwunden. Allerdings hat verheerend, das um 1920 zum Modewort wurde, nach wie vor einen Hautgout, nicht zuletzt weil Frau Stöhr in Manns "Zauberberg" alles verheerend findet: die Schlittenbahn, die Mehlspeise und sogar ihre eigene Leibeswärme.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2019
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