Sprachlabor:Laufen und gehen

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Rokoko-haft oder rokokohaft? Auch rokokokokett? Und wann muss es laufen heißen und wann gehen? Hermann Unterstöger weiß wie immer Rat.

Von Hermann Unterstöger

DIE HIRTENWELT DER URVÄTER, wie Thomas Mann sie in der Josephs-Tetralogie vorstellt, wurde bei uns "fast ein bisschen Rokoko-haft" genannt, was in Leser Dr. K.s Augen fehlerhaft, wenn nicht gar "Fehler-haft" war. Die deutsche Sprache hat zur Ableitung von Adjektiven aus Substantiven ein schönes Sortiment an Suffixen zur Verfügung, als da wären -ig, -ell, -ös oder eben -haft, nicht zu reden von Halbsuffixen wie -haltig, -mäßig oder -los. Gemeinsam ist den daraus erwachsenen Neubildungen, dass sie klein geschrieben werden. Warum das bei "Rokoko-haft" unterblieb, lässt sich nur vermuten; möglicherweise standen Bildungen wie der Freud'sche Versprecher Pate. Am Rande sei erwähnt, dass das rare Adjektiv rokokokokett meist so geschrieben wird, und nur ganz, ganz selten als Rokoko -kokett.

IN REGELMÄSSIGEN ABSTÄNDEN beklagen Leser die Verwechslung von laufen und gehen. Nun ist es Frau Sch., die sich über diesen Satz ärgert: "Vom Hauptbahnhof zum Verkehrsministerium kann man laufen." Natürlich könne man das, sagt sie, aber gemeint sei doch, dass man die Strecke leicht zu Fuß zurücklegen könne. Wohl wahr, und ebenso wahr ist, dass laufen im strengen Sinn eine schnelle, gleichmäßige Fortbewegung bezeichnet. Nur hat der strenge Sinn in Sprachsachen nicht immer das letzte Wort. Wie der Alltag vielfältig zeigt, ist laufen ohne Schwierigkeiten als Synonym für gehen verwendbar: Wer barfuß läuft, kann dabei durchaus schlendern, und wenn etwas schief läuft, geht das oft verteufelt langsam. Zu denken wäre auch an das Wort fußläufig, das über das Tempo gar nichts aussagt, und bei den sprichwörtlichen laufenden Verhandlungen hat man ja auch manchmal den Eindruck, dass da außer der Uhr nichts läuft. Was aber den Weg vom Berliner Hauptbahnhof zum Verkehrsministerium betrifft, so ist er in zehn Minuten zu bewältigen. Er geht über Friedrich-List-Ufer und Invalidenstraße. Man könnte auch sagen: Er läuft dort.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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