Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Faustregel

Lesezeit: 1 min

Teilsätze werden üblicherweise durch Haupt- und Nebensätze getrennt. Es tauchen jedoch vermehrt durch einen Punkt getrennte Satzgefüge auf. Droht eine Verödung der Sprache?

Von Hermann Unterstöger

DER ZUSAMMENGESETZTE SATZ wird in den Grammatiken aufs Üppigste besprochen, meistens allerdings ohne Erwähnung der Faustregel, der zufolge Teilsätze, üblicherweise Haupt- und Nebensätze, durch Kommata getrennt werden. Wie alle Regeln lässt auch sie Ausnahmen zu, etwa wenn Dramatik erzeugt werden soll: "Ich tu's! Und wenn's das Leben kostet!" Aufgehoben wurde sie indessen nie. Umso seltsamer, dass in der Presse immer wieder Satzgefüge auftauchen, die durch einen Punkt zerhackt werden. Leser A. hat einen herausgesucht: "Fraglich ist allerdings, ob sich Scheuer durchsetzt. Denn wer den Vorschlag finanzieren soll, ließ das Ministerium am Mittwoch offen." Ein Komma vor denn hätte gezeigt, dass zwischen den beiden Satzteilen insofern ein enger Sinnzusammenhang besteht, als Teil zwei begründet, was Scheuers Erfolg infrage stellt. Wieso die Regelverstöße? Könnte es sein, dass dem Sinn für das schöne Schwingen langer Satzkonstruktionen die Verödung droht?

SEIN FEINES OHR richtet Leser K. auf die Mitteilung, dass Schülerinnen und Schüler "jeden Freitag für eine andere Klimapolitik auf die Straße gehen". Das klingt für ihn, als würden die Klimaziele Freitag für Freitag geändert. Er hätte geschrieben, dass die Schülerinnen und Schüler "für eine andere Klimapolitik jeden Freitag auf die Straße gehen". Das ist gut gemeint, krankt aber daran, dass die Bestimmung der Zeit üblicherweise vor der des Zweckes zu stehen hat.

GEHT ES DARUM, ob tödlich die Steigerungsformen tödlicher und tödlichst hat, kommt gern der Tourist an, der vom Bergführer wissen will, ob an dieser Stelle die Leute oft abstürzen. Darauf der Bergführer: "Nein, die meisten haben nach einem Mal genug." Dass in Schillers "Don Karlos" der König sagt, er sei "aufs tödlichste gekränkt", ist aber noch kein Grund, den "tödlichsten Amoklauf" auszurufen. Etliche Leser waren in ihrem Sprachgefühl gekränkt, gottlob nicht tödlicher als angängig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4550124
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.