Sprachlabor:Allerklärlichst

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Und: Fehlt bei Redewendungen mit „als gedacht“ etwas Wesentliches?

Von Hermann Unterstöger

WENN EIN GLETSCHER den Beinamen „Weltuntergangsgletscher“ trägt, heißt es aufgepasst. Der antarktische Thwaites-Gletscher nennt sich so, und trotzdem hieß es bei uns, er sei „stabiler als gedacht“. Diese Formulierung stieß bei Leserin H. auf Kritik. Ihre Argumentation ging dahin, dass man nur Gleiches vergleichen könne, also etwa Euro und Pfund hinsichtlich ihrer Stabilität, und da dem Gletscher kein zu vergleichendes Objekt gegenübergestanden habe, hätte man schreiben müssen, der Thwaites sei stabiler, „als man gedacht hatte“.

Sieht man ein zweites Mal hin, entdeckt man sehr wohl einen Vergleich, nämlich den zwischen dem Wissen um den augenblicklich wohl halbwegs soliden Zustand des Gletschers und der bisher allgemein gehegten Vermutung des Gegenteils. Hinter der verkürzten, ihrer Griffigkeit wegen beliebten Floskel „als gedacht“ verbirgt sich, wie bei „als angenommen/befürchtet/vermutet“, ein Kollektiv, dem man Kennerschaft zutraut. Kürzlich behauptete die Münstersche Zeitung, Vögel seien „schlauer als angenommen“ und ihre Hirne hätten mehr drauf „als bislang vermutet“. Die Subjekte, die da etwas Gegenteiliges angenommen und vermutet hatten, sind wir Menschen, und wie es aussieht, sind wir mit Hilfe entsprechender Vogelhirnstudien zu größerer Einsicht fähig als gedacht.

MIT HINWEIS auf neurenoviert und vorprogrammiert zieht Leser Prof. B. das Wort „allermeistens“ vors Tribunal: Diese seit etwa zwanzig Jahren gebräuchliche Steigerung des Superlativs sei „doch nun wirklich völlig blödsinnig“. Bei aller Sympathie für eine schlanke Sprache ist in diesem Fall zu bremsen. Was die zwanzig Jahre betrifft, so findet sich bei Grimm ein Beleg aus Goethes Gedicht „Dem Physiker“: „Dich prüfe du nur allermeist, / Ob du Kern oder Schale seist.“ Die daran anschließende Notiz, es handle sich hierbei um „eine wohllautende Verstärkung von meist …, die heute zu selten angewandt wird“, lenkt den Blick auf all die Adjektive, die sich nur zu gern durch aller- verstärken lassen: allerwenigst, allerschlimmst, allerliebst und so fort. Es wäre schön, wenn der Fall, mit Luther zu reden, damit „allerklärlichst“ geregelt wäre.

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