Sprachlabor:Furcht - wovor eigentlich?

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Für manch einen ist es leicht zu sagen, andere haben da eher ein unbestimmtes Gefühl. Doch ist das dann noch Furcht?

Von Hermann Unterstöger

DASS ANGST UND FURCHT landläufig in eins gesetzt werden, bedeutet noch nicht, dass es sich um die nämlichen Phänomene handelt. Unser Leser J., der seine ersichtlich in reichem Maße vorhandene psychiatrische Kompetenz mit dem Titel "Beckmesser" herunterspielt, sagt geradeheraus, dass es keine Angst vor etwas gebe, wohl aber eine Furcht vor etwas, und dass insofern Titel wie "Wer hat Angst vor Elon Musk?" verfehlt seien: Man könne allenfalls Furcht vor dem Mann haben. Grob geschätzt wird in der Presse zehnmal so oft "Angst vor" wie "Furcht vor" verwendet, und man wird nicht fehlgehen, wenn man die Sprache der Presse auch hierin als Spiegelbild des allgemeinen Sprachgebarens auffasst.

In der Literatur stößt man auf die ebenso schöne wie handfeste Definition, dass die Furcht auf etwas Konkretes gerichtet sei und deshalb als Realangst bezeichnet werden könne, wohingegen es sich bei der Angst um einen "ungerichteten Gefühlszustand" handle, um eine Gestimmtheit, welche "die Welterschließung im Ganzen betreffe". Das läuft wieder einmal schnurgerade auf Heidegger zu, dem zufolge das "Wovor der Angst ... kein innerweltliches Seiendes" und "nichts von dem innerweltlichen Zuhandenen" sei. Vielmehr: "Wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst."

Schärfer kann man's nicht sagen, und trotzdem wird man damit gegen die weitverbreitete Vermischung von Angst und Furcht wenig ausrichten. Eine bezeichnende Gleichsetzung findet sich in Platons Dialog "Protagoras", worin die beiden Gestimmtheiten als die "Erwartung eines Übels" definiert werden, "mögt ihr es nun Furcht oder Angst nennen". Vergleichbar unscharf zeigen sich uns Phobien wie die Klaustrophobie oder die Thalassophobie, die üblicherweise mit Angst vor engen Räumen oder Angst vor dem Meer übersetzt werden, und das, obwohl doch sowohl die engen Räume als auch das Meer zum "innerweltlichen Zuhandenen" gehören und als solches jedes Recht hätten, dass man ihnen mit Furcht begegnet.

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