WENN LESERINNEN und Leser ein Wort zum „Unwort“ erklären, hat das oft mit persönlicher Abneigung zu tun, und man kann sagen, ja, gut, dann gefällt’s dir halt nicht, auch kein Unglück. Bei unserer Leserin W. geht das nicht so einfach. Ihrer Meinung nach ist Kriegsmüdigkeit ein Unwort, und sie fragt die SZ, in der dieses Wort dann und wann vorkommt, ob es ein Ziel sei, „die ,Kriegsmüdigkeit‘ in ,wach bleiben, um zu sterben‘ umzuwandeln“.
Da und dort ist über das Wort Kriegsmüdigkeit zu lesen, dass es im Ersten Weltkrieg zur Blüte gekommen sei, wohl als Reaktion auf die Kriegsbegeisterung von 1914 und das darauf bald folgende Elend. Natürlich gab es das Wort vorher auch schon, und wahrscheinlich in allen Sprachen. Cicero zum Beispiel sagt von den Vejentern, mit denen Rom lange Zeit im Krieg lag, sie seien „des Krieges müde“ gewesen, bello fessi.
Gegen Ende des Ersten Weltkriegs entstand jedenfalls eine der schärfsten Aburteilungen von kriegsmüde. Das sei, schrieb Karl Kraus, „das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat“. Er fuhr fort: „Kriegsmüde sein das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos“, und er schloss mit dem Satz, dass man immer kriegsmüde sein müsse, aber nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen habe. Wie sich das änderte, sah man Jahre später. In der Zeitschrift „Die SA.“ vom 30. Mai 1941 wurde Gorch Fock folgendermaßen zitiert: „Wer kriegsmüde ist, der ist heimatmüde, ist deutschmüde“, und die Deutschen müssten „starke, aufrechte Menschen in großer, eherner Zeit“ sein.
Ohne den Kolleginnen und Kollegen von der politischen Redaktion ins Herz sehen zu können, sei vermutet, dass sie unter anderem dies denken: Wenn sich einer das Diktum, man müsse schon vor Kriegsbeginn kriegsmüde sein, hinter die Ohren hätte schreiben sollen, dann der Friedensfürst im Kreml. Den Krieg hasst jeder, doch da es ihn nun einmal gibt, gibt es auch die Kriegsmüdigkeit als Terminus technicus dafür, dass die Bereitschaft, der Ukraine zur Seite zu stehen, sinkt.