Sprachlabor:Ausdrucksentladung

Sprachlabor: undefined

Wie anfangsbetont deutsche Sätze sein können, und warum "künstliche Beatmung" durchaus mangelhaft sein kann.

Von Hermann Unterstöger

ALS DER PROPHET ELISCHA einmal zu einem toten Kind gebeten wurde, legte er sich auf den Knaben, Mund auf Mund, Augen auf Augen, Hände auf Hände, und siehe, da nieste der Knabe siebenmal, tat seine Augen auf und kehrte ins Leben zurück (2. Kön 4,32 f.). Vorausgesetzt, der Bub war nicht wirklich tot, sondern nur komatös, hätten wir hier einen frühen Fall von künstlicher Beatmung respektive, wie Leser Prof. Dr. D. sagen würde, von Beatmung: Diese sei stets künstlich, der Begriff künstliche Beatmung somit ein Pleonasmus. Herr D. hat recht, als Thoraxfachmann ebenso wie als Sprachfreund, und wenn wir den Pschyrembel (online) zu Rate ziehen, so führt dieser von der künstlichen Nase bis zum dito After zwar vielerlei Behelfe, nicht aber die künstliche Beatmung. Dennoch hat der Laie seine Freude an dem üppigen, durch das überschüssige Adjektiv auch vom Kampf der Medizin gegen die respiratorische Insuffizienz kündenden Terminus, und es geschieht bei dessen Verwendung so wenig Unheil, wie wenn man sagt, man habe etwas "mit eigenen Augen" gesehen. Ja, womit denn sonst?

DEN WENIGSTEN ist bewusst, dass sie, wie die Grammatik das nennt, einen "Drang zur Ausdrucksentladung" haben und deswegen den "Sinnkern" eines Satzes von dessen Ende an den Anfang rücken. Ein Kollege, der diesem Drang nachgab, schrieb folgenden Satz: "Ein schlechtes Gewissen hat Nova deshalb keines." Warum Nova (ein Youtuber) kein schlechtes Gewissen hat, tut nichts zur Sache, wohl aber muss uns bekümmern, dass das Gebilde Leser W. wehtut und er sagt: "Ein fehlerfreies Deutsch ist das keines." Um die Sache zu entzerren, sei darauf verwiesen, dass nicht das schlechte Gewissen verneint werden sollte, sondern die Aussage, dass Nova ein solches haben könnte, und bei solchen Satzverneinungen greift man zu nicht statt zu kein: "Ein schlechtes Gewissen hat Nova deshalb nicht." In der Umgangssprache wird das oft missachtet: "Ich esse keine Kartoffeln gern" statt "Ich esse Kartoffeln nicht gern."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: