Süddeutsche Zeitung

SPD:Im Groko-Dilemma

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Das neue Führungsduo der SPD hat ein schweres Amt angetreten: Regieren ja, aber bitte den Koalitionsvertrag nachbessern. Ein Balanceakt, für den einigen Lesern das Verständnis fehlt. Einer hält beide bereits für eine Übergangslösung.

Zu " SPD-Fraktion hält an Koalition fest" und " Ganz anders - aber ganz vorsichtig" vom 3. Dezember sowie zu " Minister auf Abruf" und " Wenn eins plus eins nicht zwei ergibt" vom 2. Dezember:

Vom Bremsklotz zum Vorreiter?

Die neue Parteispitze der SPD gibt Hoffnung. Doch noch immer ist da die geballte Macht der Wirtschaft, die Deutschland beim Klimaschutz zum Bremsklotz werden ließ. Ökologische und soziale Fortschritte werden mit dem Arbeitsplatz-Argument totgeschlagen. Total verdrängt wird dabei, dass die Wirtschaft ohne die Konsumausgaben der Arbeitnehmer, Hartz-IV-Empfänger und Rentner keine Löhne und Gehälter auszahlen könnte, also keine Arbeitsplätze anbieten könnte. Ebenso wenig, wenn der Produktionsfaktor Natur vollends "verbrannt" wäre. Nun hat die Europäische Investitionsbank (EIB) beschlossen, bis Ende 2021 die Kreditvergabe für alle Projekte mit fossilen Brennstoffen einzustellen und Kredite nur noch für Wind- und Solarparks zu geben. Leider haben Deutschland und Italien diesem Schritt bis zuletzt die Unterstützung verweigert. Wird unser Land jetzt endlich wieder vom fatalen Bremsklotz zum Vorreiter des ökologischen und sozialen Fortschritts?

Hans Oette, Neuenstadt

Fehlinterpretationen

Mike Szymanski schreibt in "Ganz anders - aber ganz vorsichtig", die "noch gut 45 Prozent" für Olaf Scholz und Klara Geywitz ließen sich "auch als Votum für die Fortsetzung der großen Koalition interpretieren". Das ist eine abenteuerliche Behauptung. Wenn eine Mehrheit von 53 Prozent der abstimmenden SPD-Mitglieder für das Vorsitzendenduo votiert, das gegen die große Koalition ist, kann man wohl kaum sagen, dass die Partei eigentlich das Gegenteil will. Noch klarer wird die Sache, wenn man sich die Zahlen ansieht: Von 425 630 stimmberechtigten SPD-Mitgliedern haben exakt 98 246 für Scholz/Geywitz votiert, also 23,1 Prozent. Dieses Ergebnis kann man nicht ernsthaft als Votum für die Fortsetzung der großen Koalition interpretieren.

Robert Peter-Gehrke, Aachen

Ein Wahlverlust ist nicht das Ende

Die öffentliche und mediale Diskussion über das Ergebnis des doch gar nicht so überraschenden Vorstandswahlen-Marathons zeigt Defizite im Demokratieverständnis in unserem Lande: Eine Wahl beschert den Beteiligten naturgemäß immer einen (oder auch zwei) Sieger und auf der anderen Seite Unterlegene. Warum aber muss, wie jetzt in Bezug auf Olaf Scholz, der Zweitplatzierte Konsequenzen ziehen, zurücktreten als Finanzminister?

Jeder Entschluss, sich einer demokratische Wahl zu stellen, wäre dann die Entscheidung zum politischen Selbstmord. Wer nicht gewinnt, muss gehen! Das kann doch ernsthaft niemand wollen, auf diese Weise politische Führungskräfte generell kaltzustellen. Vielleicht steckt ja aber auch lediglich politisches Kalkül und nicht moralische Wertsetzung hinter solchen Forderungen. Als Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, gab es jedenfalls keine medialen Forderungen an den Unterlegenen Jens Spahn, nun über sein Ministeramt nachzudenken, und auch Verlierer Friedrich Merz hat sich nicht in den politischen Ruhestand zurückgezogen. Im Gegenteil, beide werden weiterhin munter als Kanzlerkandidaten gehandelt, und die Siegerin AKK wurde umgehend als mögliche Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel infrage gestellt. Zweierlei Maß. Unverkennbar!

Christoph Berger, Hamburg

Die Übergangslösung

Die Ungläubigkeit bis hin zum Entsetzen (und Jubel) über den Ausgang des SPD-Mitgliedervotums ist allenthalben spürbar, zu groß war die Selbstgewissheit der Etablierten, auch in der SPD, über ihren Machteinfluss. Politisch-pragmatisch ist der Sieg der "linken" Kandidaten nicht erklärbar. Aber die SPD ist dabei unter die Räder gekommen, und man sollte nicht vergessen, dass sie sich gegen eine Neuauflage mit Händen und Füßen gesträubt hatte und erst von einem Bundespräsidenten, von Hause aus Sozialdemokrat, in die "staatsbürgerliche Pflicht" genommen wurde. Und man sehe sich auch die künftigen Alternativen nach dem Platzen der Regierung an - im Osten Deutschlands gibt es bereits die erste Minderheitsregierung, von dem völlig offenen Ergebnis von Neuwahlen ganz zu schweigen.

Die Weiterarbeit in der jetzigen großen Koalition wird übrigens nicht erst von dem neuen SPD-Führungsduo infrage gestellt, wie jetzt in Kommentaren suggeriert wird. "Seehofer ist eine Gefahr für Europa", meinte die frühere SPD-Vorsitzende Andrea Nahles 2018. Olaf Scholz sah durch das Vorgehen von Frau Kramp-Karrenbauer gegenüber Bundesaußenminister Maas in der Türkei-Frage "Maßstäbe verletzt, die für ordentliches Regieren gelten müssen". Und ein CDU-Vorsitzender im Wartestand wie Friedrich Merz findet die Arbeit dieser Koalition "grottenschlecht" und kann sich nicht vorstellen, "dass diese Art des Regierens noch zwei Jahre geht".

Das jetzige neue Führungsduo dürfte aber sowieso nur eine Übergangslösung sein und ein "Sprungbrett" für eine neue, jüngere Mannschaft, deren Spitzenmann zum jetzigen Wechselkurs der Partei kräftig beigetragen hat. Hier sind die Weichen also gestellt. Bei der Union noch lange nicht.

Wilfried Mommert, Berlin

An Grundsätze halten

Wie verlogen ist das denn? Vor der Wahl hieß es bei der SPD, dass eine Mehrheitsentscheidung selbstverständlich zu respektieren ist. Kaum aber haben die "Favoriten" den erwarteten Sieg eben nicht eingefahren, tönt es auf Landes- und Bundesebene von Mandatsträgern und Amtsinhabern, bei einer vorzeitigen Beendigung der Koalition würden Erfolge gefährdet, sozialpolitischen Nachholbedarf gebe es nicht, und die designierten Parteivorsitzenden müssten sich dringend von Herrn Kühnert emanzipieren. Bleibt zu hoffen, dass sich das Duo Esken/Walter-Borjans nicht irre machen lässt und an seinen Grundforderungen (Reparaturen beim Klimaschutzgesetz, Anhebung des Mindestlohns und Investitionen in die marode Infrastruktur) festhält.

Gert Hüfner, Schwarzenbek

Raus aus der Falle

Der 30. November 2019 kurz nach 18 Uhr war für alle, die der Sozialdemokratie in Deutschland mit Sympathie und Wohlwollen gegenüberstehen, ein glücklicher Moment. Mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ist für die SPD ein Zurück zur Sozialdemokratie möglich, und es ist nur zu hoffen, dass es unter der Führung dieser beiden auch gelingt. Mit Zorn und Unverständnis habe ich die teils hämische Berichterstattung bezüglich der Befähigung von Frau Esken und Herrn Walter-Borjans als künftige SPD-Vorsitzende verfolgt. Da wird ihnen vorgeworfen, sie hätten keine Erfahrung in Führungspositionen, und man tut gerade so, als ob die beiden, just vom Baum gefallen, die SPD führen sollen.

Was soll das? Beide sind seit vielen Jahren politisch tätig. Wohin ist die SPD mit den "erfahrenen" Kräften in Führungspositionen gekommen? Wohin ist der Weg unter Kurt Beck, Franz Müntefering, Siegmar Gabriel, Andrea Nahles etc. gegangen? In Umfragen liegt die SPD bei 13 Prozent. Soll das der sozialdemokratische Weg sein? Ein Weiterwursteln mit einem Herrn Scholz in der großen Koalition? Wenn die SPD wieder erfolgreich sein will, dann muss sie raus aus der für die Partei tödlichen Falle Große Koalition.

Klaus Brinnig, München

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Quelle:
SZ vom 10.12.2019
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