SPD:Ein Leben ohne Visionen

In einem sogenannten Debattencamp suchten SPD-Mitglieder nach Zielen für "die SPD von morgen". An Briefen von Lesern wird zunehmend deutlich, dass sie sich eine Rückkehr zur alten SPD wünschen. Denn die hatte noch echte Ziele.

SPD

Wie wird es weitergehen? Luftballon mit SPD-Logo.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

"Wir waren Helden" vom 7. November, "Eine Zäsur, die viele Menschen verunsichert" vom 31. Oktober/1. November sowie "Und wieder ein Plan" vom 29. Oktober :

Schröder wollte was werden

Wer austauschbar ist, hat keine Identität. Darin liegt heute ein Grundproblem der SPD und auch der CDU. Die Damen und Herren reden gleich, haben das gleiche Gehabe und bleiben im Ungefähren, um sich morgen korrigieren zu können. Sie leben alle ohne Visionen. Gerhard Schröder war kein Held. Er war ein Machtmensch. Der wollte was werden und ist etwas in der falschen Partei geworden. Damit begann der Untergang der SPD. Die Fortsetzung gab es in der großen Koalition und mit der Finanzkrise. Heute traut sich keiner aus den sogenannten Volksparteien SPD und CDU, Tacheles zu reden. Die Analysen der Parteifunktionäre gehen am eigenen Ich vorbei.

Was fehlt? Helden?! Wie einst Brandt, Wehner, Strauß, Geisler. Statt stromlinienförmiger Charaktertypen brauchen wir in der Politik Menschen mit Leidenschaft, einem außergewöhnlichen Intellekt. Wir brauchen Nachdenkliche, Querdenker und Politiker, die keine Angst haben, auf die Schnauze und aus dem Politsystem zu fallen, von dem sie abhängig sind.

Ulrich Lhotzky-Knebusch, Kellinghusen

Ist der Wähler zu dumm?

Im Artikel "Und wieder ein Plan" zitieren Sie die Aussage von Andrea Nahles, Thorsten Schäfer-Gümbel habe "nichts falsch gemacht". Die gleiche Aussage traf Natascha Kohnen nach der Wahl in Bayern. Jetzt frage ich mich, warum die Wahlergebnisse so schlecht sind, wenn man nichts falsch gemacht hat. Ist das Wahlvolk einfach zu dumm, um zu verstehen?

Dr. Ingrid Bausch-Gall, München

Zusammenschluss mit den Linken

Peer Steinbrück scheint ja einen bemerkenswerten Läuterungs- und Erkenntnisprozess durchlaufen zu haben, vom feurigen Anhänger der Deregulierung und Globalisierung zum Proselyten und Rückbesinner auf eine Marktwirtschaft, die ohne die Beantwortung der sozialen Frage, kaum eine Überlebenschance hat. Mit der Agenda 2010 begingen der damalige Kanzler Gerhard Schröder und die damalige SPD-Führung den Kardinalfehler, die soziale Frage für entschieden gehalten zu haben, gleichwohl sie sich mit all ihren Einschnitten und Verzichten bei den Arbeitnehmerrechten und Sozialabbau, im Zuge schrankenloser Märkte, einer weltweit ausgebrochenen rasenden Goldgräberstimmung, eines Libertinismus, offener denn je zeigte.

Die Folgen waren Vertrauensschwund, Auflösungserscheinungen der Demokratie, gesellschaftliche Zersetzungstendenzen, Verantwortungslosigkeiten und Überschreitung krimineller Tabuzonen in der Finanzwelt und auch der Wirtschaft. Begleitet von einer Paralyse der politischen Entscheidungsträger, denen zunehmend die Kontrolle über außer Rand und Band geratene Märkte entglitt. Wir brauchen eine Stärkung des sozialen Gewissens. Technischer Fortschritt und Digitalisierung allein finden, ohne die Einbettung in einen sozialen Mindestkonsens, keine Akzeptanz unter der Bevölkerung und werden damit keinen Erfolg haben. Darüber hinaus müssen wir uns endlich der unerträglichen Verteilungsasymmetrie in der Welt zuwenden, die das Grundübel bildet so vieler Konflikte. Es ist dringend ein Umdenken, eine Korrektur vonnöten, wenn die brutalen Gesetzmäßigkeiten freier Märkte beginnen, die Menschen zu verbiegen, zu entstellen, krank zu machen und ihre Seelen aufzufressen. Das Wohlergehen des Menschen muss im Zentrum stehen und nicht übersteigerte Renditeerwartungen, deren Realisierung nur durch eine Entmenschlichung und Materialisierung der arbeitenden Bevölkerung gelingt. Da nähern wir uns mit Erstaunen einem Gesellschaftsmodell an, das als Sozialismus bei uns in Ungnade gefallen ist, unter anderem weil der einzelne Mensch darin nichts und das Kollektiv (in diesem Fall das Kollektiv der Geldeliten) alles bedeutete.

Die Zeit scheint deshalb überreif zu sein für einen Zusammenschluss von SPD und Linken. Denn alleine schafft die SPD es nicht mehr, als Garant wahrgenommen zu werden, für sozialen Ausgleich, Verteilungsgerechtigkeit, breitere Bildungschancen, Innovationen und die Stabilisierung des Gesellschaftsgefüges. Vielleicht wäre ein Oskar Lafontaine, um 20 Jahre verjüngt, die bessere Alternative als Bernie Sanders. Lafontaine besäße die nötige intellektuelle Schärfe, Leidenschaft, Wucht des Wortes, Geschliffenheit des Ausdrucks und verfügte über jenen Furor, der Menschen überzeugen und mitreißen kann.

Unter den Verbliebenen fällt mir keiner ein, der ein derartiges Anforderungsprofil besäße. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert etwa besitzt gute Anlagen, aber ihm fehlt es an Erfahrung und Reife, um eine derartige Aufgabe zu stemmen. Es fehlen zurzeit einfach die Brecher-Naturen.

Wolfgang Gerhards, Berlin

Rückkehr zur Gerechtigkeit

Peer Steinbrücks Aussagen verdeutlichen, wie eine Person nach Jahrzehnten in der Politik (und damit auf der Sonnenseite des Lebens in seiner Glaskugel) die Realität einfach nicht mehr wahrnimmt. Mein Vater und mein Schwiegervater waren in der SPD. Das war für mich in Ordnung, weil die SPD unter Willy Brandt und Helmut Schmidt die Partei der sozialen Gerechtigkeit war. Dieser Weg wurde unter Gerhard Schröder (zusammen mit dem Grünen Jürgen Trittin) verlassen. Es erfolgte der Einstieg in die Altersarmut mit der Senkung des Rentenniveaus. Es folgte Ulla Schmidt (SPD) mit der seit 2005 geltenden Krankenversicherungspflicht auf Altersbezüge der Rentner (voller Beitragssatz auf Zahlungen aus Direktversicherungen, Pensionskasse usw.). Dann 2008 die Einführung der 25-prozentigen Abgeltungssteuer (statt 45 Prozent Spitzensteuersatz).

Steinbrück sollte sich besser fragen, wann die SPD zur sozialen Gerechtigkeit zurückkehrt! Dann weiß der Wähler auch wieder, wofür die SPD steht.

Markus Maier, Berlin

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