Nachhaltigkeit:Ideen für die Zukunft des Bauens

Lesezeit: 5 Min.

Ein "Solarbaum", der Energie generiert und Schatten spendet, gehört zum Entwurf der Karlsruher Studenten, die ein Gründerzeithaus um drei Stockwerke in nachhaltiger Holzbauweise ergänzen wollen. (Foto: RoofKIT/SDE 21/22)

Wie kann man umweltfreundlich bauen und Stadtviertel sinnvoll nachverdichten? Studenten aus ganz Europa haben sich dazu Gedanken gemacht. Ein Entwurf überzeugt besonders.

Von Lars Klaaßen

Diesen Tag wird Regina Gebauer nicht so schnell vergessen, der erste Jubel, die vielen Umarmungen, der Weg zur Bühne. Im Juni holte ihr Team "RoofKit" vom Karlsruher Institut für Technologie den Gesamtsieg beim Solar Decathlon, dem Hochschulwettbewerb für nachhaltiges Bauen in Wuppertal. "Angefangen hat bei uns alles mit einem Masterentwurfskurs im Sommersemester 2020", erzählt sie.

Mittlerweile ist Regina Gebauer wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie hat das Gewinner-Team bis zur Abschlussveranstaltung geführt. Auf dem Weg dorthin stießen immer wieder neue Mitglieder hinzu, andere verabschiedeten sich. Seit 2020 hatten mehr als 100 Studierende von verschiedenen Fakultäten des Instituts am Projekt gearbeitet. Rund 30 waren am Ende in Wuppertal mit dabei.

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In ihrem Entwurf haben sie sich mit der Aufstockung eines Cafés beschäftigt, die zentralen Bausteine: Holz und Solarenergie. Der Entwurf war so ausgeklügelt, dass die Jury sie am Ende zum Gesamtsieger kürte. Teil des Teams waren auch Studierende aus anderen Bereichen des Instituts, etwa Wirtschaftswissenschaftler und Bauingenieure. Die Gruppe bekam auch Hilfe von externen Profis, unter anderem von einem Zimmerei- und Tischlereibetrieb aus dem Bregenzerwald. "Deren Mitarbeiter haben den Studierenden zuerst jede Maschine erklärt, dann Teilbereiche der Einheit gemeinsam mit ihnen gebaut", erzählt Gebauer.

16 Hochschulteams aus zehn Ländern kamen nach Wuppertal

Den Solar Decathlon gibt es schon länger. Das US-Ministerium für Energie hat den Hochschulwettbewerb erstmals 2002 ausgelobt, damit die Teilnehmer energieautarke Gebäude für das Wohnen im Jahr 2015 entwerfen. Seit 2008 gibt auch eine europäische Version des Solar Decathlon. In Europa wie in den USA gibt es alle zwei Jahre eine neue Ausschreibung.

Nun fand der Wettbewerb zum ersten Mal in Deutschland statt. 16 Hochschulteams aus zehn Ländern kamen nach Wuppertal. Erstmals ist auch die Aufgabenstellung eine andere. Es geht um die Energiewende in urbanen Quartieren. "Zusätzlich zu technologischen und baulichen Innovationen ist vor allem ein gesellschaftliches Umdenken gefragt", sagt Katharina Simon, Direktorin für Architektur und urbane Innovation des Solar Decathlon 21/22 an der Universität Wuppertal. Ein Konsortium, geleitet von der Hochschule, richtete den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Wettbewerb aus.

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Die Teams konnten eine von drei Bauaufgaben wählen, die echte Herausforderungen im Gebäudebestand abbilden: Sanierung und Erweiterung von Bestand, Baulückenschließung oder die Sanierung und Aufstockung eines Hauses. Jeder dieser Aufgaben wurde ein bestimmtes Objekt im Mirker Quartier zugeordnet, mitten im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld, wo rund 8600 Menschen leben.

Den Bestand prägen vor allem typische Gründerzeitbauten, gemischt mit Nachkriegsgebäuden aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Wie in vielen anderen Stadtteilen Deutschlands befinden sich die Wohnhäuser in sehr unterschiedlichen Zuständen. "So zeigt das Mirker Quartier die Umstände auf, die urbane Transformation schwierig machen, und steht damit repräsentativ für eine Vielzahl urbaner Quartiere in Deutschland und Europa", sagt Simon. Es biete die perfekte Grundlage, konkrete Lösungen für städtebauliche und sozio-ökonomische Herausforderungen der Energiewende zu entwickeln.

"Als die Module dann geliefert wurden, ging alles ganz schnell"

Das Team um Regina Gebauer hat sich ein Café vorgenommen, das im Wettbewerb als Referenzobjekt diente. "Unser Entwurf sieht vor, den Gründerzeitbau um insgesamt drei Stockwerke zu ergänzen. Dabei setzen wir auf Holzmodulbauweise, um den Bauprozess schneller, effizienter und kostengünstiger zu machen." Sonnenenergie soll auf allen möglichen Gebäudeflächen gewonnen werden, ergänzt durch zusätzliche Solaranlagen im Hinterhof, wie einem "Solarbaum", der nicht nur Energie generieren kann, sondern auch Schatten spendet.

Im Entwurf des Gewinnerteams wird ein Gründerzeitbau um drei Stockwerke ergänzt. Holzmodule sollen den Bauprozess schneller und kostengünstiger machen - und Sonnenenergie auf Dachflächen gewonnen werden. (Foto: RoofKIT/SDE 21/22)

Die zwei oberen Geschosse sind zum Wohnen vorgesehen. Eine dieser Wohnungen hatte das Team auf dem Wettbewerbsgelände in Wuppertal als Modell aufgebaut. "Wir fingen spät mit dem Aufbau der Holzmodule an, da erst die Gerüstkonstruktion aufgebaut werden musste. Andere wunderten sich schon, dass bei uns fast noch nichts zu sehen ist", erinnert sich Gebauer. "Als die Module dann geliefert wurden, ging alles ganz schnell. Der Holzbau stand innerhalb weniger Stunden."

Die Teams mussten nicht zwingend eines der Objekte in Wuppertal als Referenz für ihre Entwürfe nehmen. Das Team "coLLab" der Hochschule für Technik in Stuttgart (HFT) hat sich auch für eine Aufstockung entschieden, allerdings am Beispiel eines Gebäudes auf dem eigenen Campus. Die Mitglieder kamen aufgrund einer Initiative von Studierenden zustande, die weitere Interessierte samt Professorenschaft mit ins Boot holten, um sich beim Solar Decathlon zu bewerben. "Wir entschieden uns für einen Zeilenbau aus den Sechzigerjahren", sagt Annabell Gronau, Teammanagerin und akademische Mitarbeiterin an der HFT Stuttgart.

Der Hintergedanke: Von dieser Art Gebäude stehen viele in Deutschland und die meisten wurden so stabil konstruiert, dass man sie ohne statische Bedenken aufstocken kann. "Unser Entwurf soll auch auf ähnlichen Gebäuden funktionieren", so Gronau. Deshalb hat "coLLab" darauf geachtet, dass das Modell anpassungsfähig ist. Neben flexiblen Grundrissen hat das Team auch an variierende Ausrichtungen zur Sonne gedacht.

Grundlage für den Entwurf ist eine Skelettkonstruktion aus Holz. Dieses dreidimensionale Gitter lässt sich in unterschiedlichen Strukturen aufbauen. Das ermöglicht es, die Konstruktion auf verschiedene bestehende Häuser zu setzen. "Im zweiten Schritt werden die Wohneinheiten selbst linear in das Holzgitter eingeschoben", so Gronau. Das Gitter habe nicht nur eine tragende Funktion, sondern auch eine energetische. "Seine Zwischenräume sollen entsprechend den klimatischen Rahmenbedingungen des Standortes und der Ausrichtung des Bestandsgebäudes gefüllt werden: mit Kollektoren zur regenerativen Strom- oder Wärmegewinnung, Sonnenschutz, Begrünung oder tageslichtdurchlässigen Gittern und Durchbrüchen." Das Team erhielt für den Entwurf unter anderem den ersten Platz in der Kategorie Gebäudetechnik & Bauphysik.

"Wir haben uns gegenseitig unterstützt, uns gefreut, wenn auch die anderen Erfolge hatten"

Nach der Aufbauphase von zwei Wochen präsentierten die Teams ihre voll funktionsfähigen ein- bis zweistöckigen Wohngebäude. Am stillgelegten Mirker Bahnhof, wo sonst Festivals und andere Großveranstaltungen stattfinden, besuchten mehr als 115 000 Interessierte an zwölf Veranstaltungstagen den Solar Campus, das 22 000 Quadratmeter große Wettbewerbsgelände. "Die Wochen in Wuppertal gemeinsam mit den anderen Teams zu verbringen, war noch mal etwas ganz Besonderes", sagt Gronau. "Wir alle hatten dasselbe Ziel, saßen im selben Boot, standen vor den gleichen Aufgaben und Herausforderungen." Konkurrenzdenken? Ganz im Gegenteil: "Wir haben uns gegenseitig unterstützt, uns gefreut, wenn auch die anderen Erfolge hatten." So habe man sich schon mal eine Schubkarre und Werkzeug geliehen oder bei Fragen weitergeholfen.

Die Module sind mittlerweile wieder abgebaut worden. Das Stuttgarter Modell steht bei einer Partnerfirma, wie es damit weitergeht, ist noch offen. Der Holzbau der Gesamtsieger um Regina Gebauer befindet sich jetzt auf dem Campus in Karlsruhe und wird ab Herbst als Living-Lab für die Forschung am KIT genutzt. Als Living Labs - sprich: Reallabore - sind die Entwürfe der Teams auf dem Solar Decathlon im Prinzip alle entworfen worden.

Heißt: Die Konstruktionen sind voll funktionstüchtig und können bewohnt werden. So lässt sich unter Realbedingungen feststellen, ob das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente tatsächlich funktioniert - und zwar im komplexen Alltag, der sich beim Entwurf ja auch nicht komplett vorausberechnen lässt. So können, ebenfalls von Herbst an, acht weitere Modelle als Teil des Nachfolgeprojekts "Living Lab NRW" in Wuppertal besichtigt werden.

Auch für die Teilnehmer geht es nach dem Solar Decathlon weiter. "Wir freuen uns nun über Kontakte in aller Welt", sagt Annabell Gronau. Vor ein paar Wochen, erzählt sie, kam das Team aus Taipeh auf seiner Europareise zu Besuch nach Stuttgart.

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