Süddeutsche Zeitung

Siemens:Wie viel Verantwortung muss ein Konzern tragen?

Der Konzern ist mit einem kleinen Auftrag an einem umstrittenen Kohleprojekt in Australien beteiligt. Dagegen gab es Proteste - und von Lesern Kritik. Aber Siemens-Chef Kaeser bekommt auch Zuspruch: Verträge sind einzuhalten!

Zu "Ich und die Welt" vom 23. Januar, "Kleiner Auftrag, großer Ärger" und "Das falsche Signal" vom 14. Januar sowie zu "Unmoralisches Angebot" vom 13. Januar:

Überzogene Einmischung

Siemens hat einen Vertrag geschlossen, wonach eine Tochterfirma im Nordosten von Australien für 189 Kilometer Schmalspureisenbahn die notwendigen Signal- und Ampelanlagen liefert. Auf dieser Strecke soll Kohle aus einer australischen Mine an die Küste verbracht und von dort weiter, insbesondere nach Indien verschifft werden. Die Aktivisten von Fridays for Future verlangen kategorisch, dass Siemens alle Arbeiten unterlässt, weil Siemens sich stattdessen an das Klimaschutzabkommen von Paris zu halten habe.

Eine solche Forderung ist in vielerlei Hinsicht abwegig. Zum einen heißt es nichts anderes, als dass Siemens rechtskräftig geschlossene Verträge mit seinem australischen Vertragspartner vorsätzlich bricht. Der auf der ganzen Welt geltende Grundsatz der Vertragstreue, wonach Verträge einzuhalten sind, soll hier kurzerhand außer Kraft gesetzt werden. Wer würde mit Siemens noch einen Vertrag schließen, wenn er befürchten muss, dass Siemens Verträge aus Gründen, die gerade auf der politischen Agenda stehen, kurzerhand nicht erfüllt, sondern bricht?

Die Forderung der Aktivisten lässt aber auch profunde Wissenslücken erkennen, denn sie stellen den absurden Anspruch, dass Siemens sich an das Pariser Klimaabkommen halten soll, ein Abkommen, welches zwischen einzelnen Staaten, nicht aber zwischen Staaten und Firmen abgeschlossen worden ist und deshalb nicht zur Anwendung kommen kann.

Darüber hinaus ist diese Forderung von häufig anzutreffendem deutschen Dünkel und Hochmut getragen: Australien soll gehindert werden, das zu tun, was es als souveränes und demokratisches Land für richtig hält, weil unter anderem wir deutsche Umweltschützer es einfach wieder mal besser wissen. Indien, bettelarm, aber immerhin eine Demokratie, soll nicht mehr mit Kohle beliefert werden. Das heißt, der in keiner Weise demokratisch legitimierte Friday-for-Future-Verein schwingt sich auf, nicht nur die Welt zu belehren, sondern einem Volk mit über 1, 339 Milliarden Menschen seinen Willen aufzuzwingen.

Wolfram Salzer, Neustadt bei Coburg

Kaeser ist Siemens verpflichtet

Mit Interesse las ich die ausführliche Dokumentation auf Seite Drei zu Siemens-Chef Joe Kaeser. Für einen Manager, der seit Jahren einen solch großen wie komplexen Konzern leitet, ist es heute nicht leicht, es jedem recht zu machen. Es scheint inzwischen Mode zu sein, sämtliche Entscheidungen eines Konzernlenkers ausschließlich aus dem Blickwinkel der Umweltproblematik zu betrachten - Greta Thunberg lässt grüßen. Ausgerechnet ein Konzern, der sich seit Beginn seines Bestehens mit der Ware Strom - der umweltverträglichsten Technologie - beschäftigt, steht plötzlich am Pranger der schon an Hysterie grenzenden Umweltbewegung.

Auch Joe Kaeser ist dem einstigen Firmengründer Werner von Siemens verpflichtet, von dem folgende Sprüche überliefert sind: "Mir würde das verdiente Geld wie glühendes Eisen in der Hand brennen, wenn ich treuen Gehilfen nicht den erwarteten Anteil gäbe", sprich, ich setze bewährte Mitarbeiter nicht von heute auf morgen auf die Straße, nur weil sich plötzlich der Wind dreht. Weiter ist überliefert: "Für den augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht!", das unterstützt im Grunde denselben Aspekt. Einen Überseedampfer kann man kurzfristig auch nicht von einer in die andere Richtung steuern, alleine sein Bremsweg beträgt 60 bis 80 Kilometer.

Uwe Marx, München

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Australien ist der größere Sünder

Sicher ist es richtig, das Verhalten des Siemens-Konzerns in diesem Fall zu hinterfragen. Und sicher hätte Siemens leicht auf den Ertrag dieses Geschäfts verzichten können. Der eigentliche Skandal aber ist doch, dass Australien leichtfertig seine Natur und seine Ressourcen an einen indischen Konzern verkauft hat. Käme Australien, insbesondere vor dem Hintergrund der Katastrophe, die sich derzeit dort abspielt, auf die gute Idee, den Kohleabbau im eigenen Land zu verhindern, stellte sich die Frage nach dem lächerlichen Beitrag einer Zugsignalanlage von Siemens gar nicht mehr. Ich fände es richtig, wenn Fridays for Future nicht nur vor den Toren von Siemens, sondern auch vor der australischen Botschaft energisch darauf hinweisen würde, dass der Verkauf eines Stücks Australien zulasten der Umwelt und unserer Zukunft eine unverzeihliche Sünde ist!

Norbert Goldschatz, Dietramszell

Zweierlei Maß

Es stimmt mich als Leser schon bedenklich, wenn Journalisten die Ausgewogenheit immer betonen und selber nicht vollziehen. Da zitieren sie die Umweltorganisation mit den Worten: "... eine schlechte Nachricht für die Wasservorkommen, die wilden Tiere ..." und "Milliarden Liter Grundwasser werden hier für die Kohleförderung entnommen". Bei der Kohlemine (Australien) wird mit dem Wasserverbrauch sowie der Zerstörung von Lebensraum argumentiert und dabei vergessen, dass auf der anderen Seite der Welt (Südamerika) die Wasserentnahme tausendfach höher ist bei der Gewinnung von Lithium für die ach so umweltfreundlichen Batterien der Elektroautos.

Der Lebensraum für die indigene Bevölkerung ist bereits jetzt zerstört, daraus lässt sich ermessen, mit welch fadenscheinigen Argumenten berichtet wird, ohne das gegenseitige Abwägen zu betrachten. Zu der Aussage von Frau Baerbock, Siemens hätte sich "rausverhandeln" können, kann man nur ihre fehlende Kenntnis internationaler Verträge zugutehalten, denn das schlechteste, was passieren könnte, wäre, dass die Firma international als unzuverlässiger Geschäftspartner gebrandmarkt würde, was nicht nur den Umweltbereich betreffen würde. Da die Aktivisten von FFF die Kündigung des Vertrages forderten und Herr Kaeser sein Versprechen zum Thema Umwelt und umweltnahe Aufträge halten soll, wäre doch ein Vorschlag, den Bereich Energie, mit Ausnahme Wind/Solar zu schließen und Aufträge, die umweltrelevante Themen berühren, nicht zu akquirieren, was bestimmt mit Beifall der FFF belohnt würde. Als Umweltaktivist muss man ja nicht auf Arbeitsplatzsicherung bestehen.

Helmut Schuessler, Augsburg

Moral höher werten als Geschäft

"Es gibt Verträge, die geschäftlich Sinn ergeben mögen - die man aus moralischer Sicht aber nicht mehr unterschreiben sollte", meint der SZ-Kommentator Fromm zum Fall Siemens. Völlig richtig. Ob das mal jemand unserer deutschen Rüstungsindustrie nahebringen könnte?

Rolf Borrmann, Grevenbroich

Falscher Glaube an Kapitalismus

"Nur die Unternehmer haben die Kompetenz und die Mittel, die Umwelt wirklich zu schützen." Dieser Satz steht in Marc Beises Kommentar "Unmoralisches Angebot" zum Treffen zwischen Joe Kaser und Luisa Neubauer. Beise begründet seine Ansicht, dass primär auf Wertschöpfung bedachte Unternehmen und Konzerne die wahre Kompetenz in Sachen Umwelt- und Klimaschutz haben, Regierungen zum Beispiel erwähnt er mit keinem Wort. Glaubt er an eine unsichtbare ökologische Hand des Kapitalismus? (Und wo ist die schon in Erscheinung getreten?) Ignoriert er, dass Unternehmen weltweit sehr gut an umwelt- und klimaschädlichen Geschäftsmodellen verdienen, und sich sträuben, diese zu ändern?

Robert Peters-Gehrke, Aachen

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SZ vom 28.01.2020
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