Internationale Schulkooperation:Kreativität ohne Grenzen

Internationale Schulkooperation: Auf dem Gelände des im 13. Jahrhundert entstandenen Zisterzienserklosters Neuzelle wird heute auf vielfältige Art gelehrt und gelernt: In den historischen Gebäuden sind ein Gymnasium, eine Oberschule sowie eine Sprach- und eine Musikschule untergebracht.

Auf dem Gelände des im 13. Jahrhundert entstandenen Zisterzienserklosters Neuzelle wird heute auf vielfältige Art gelehrt und gelernt: In den historischen Gebäuden sind ein Gymnasium, eine Oberschule sowie eine Sprach- und eine Musikschule untergebracht.

(Foto: Peter Adamik/Rahn Education)

Exkursion zum jüdischen Leben, Vernissage, Fremdsprachentag: Die Initiative "Deutsch-Polnische Bildungsbrücke" zeigt, wie Schulen zur Völkerverständigung beitragen können - insbesondere nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

Von Stephanie Schmidt

Buntes Gemüse schmort in der Küche des Café Salomon in den Pfannen. Und es duftet nach orientalischen Gewürzen. Schülerinnen und Schüler der siebten bis elften Klasse aus Deutschland und Polen bereiten gerade auf dem Campus der gemeinnützigen Schulgesellschaft Rahn Education in Leipzig das nordafrikanische Gericht Shakshuka zu. Diese Speise isst man gern auch beim Laubhüttenfest (Sukkot) in Israel. Ein Teil der Gruppe gestaltet aus farbigem Papier Girlanden, die über der festlichen Tafel aufgehängt werden. Sie sind der Dekoration nachempfunden, mit der Israelis ihre Laubhütten schmücken. Aber was hat es überhaupt mit Sukkot auf sich? Michal Natovich, 42, Religionslehrerin der jüdischen Gemeinde in Leipzig, hat es den jungen Menschen zuvor in einem Vortrag erklärt: "Wir sitzen in der Sukka, essen dort und feiern das Erntedankfest. Die Laubhütte symbolisiert aber auch Schutz für das jüdische Volk und steht für Gastfreundschaft."

Der Abend ist einer der Höhepunkte des sich über mehrere Jahre erstreckenden Projekts "Menschen gedenken - Jugend macht Zukunft", an dem Jugendliche der Privatschule von Rahn Education in Neuzelle, das ganz im Osten Brandenburgs liegt, und Schüler aus dem polnischen Zielona Góra teilnehmen. Die Reise nach Leipzig mit einem Besuch des Museums Mendelssohn-Haus und einem Stadtspaziergang auf den Spuren jüdischen Lebens in der Stadt bildet die zweite Etappe des Projekts; nächstes Jahr soll es in Krakau fortgesetzt werden.

"Den Stadtrundgang fand ich toll. Jetzt kann ich mir viel besser vorstellen, wie die jüdischen Familien hier früher gelebt haben," sagt Chantal Schulz, 14, vom Campus Neuzelle. Gemeinsam mit anderen Teilnehmern wird sie einen Erfahrungsbericht für Mitschüler vorbereiten, die nicht in Leipzig dabei waren. "Hier geht es darum, Vorurteile zwischen Polen und Deutschen abzubauen. Und die jüdische Kultur besser kennenzulernen", erklärt Bozena Kempa aus Polen den tieferen Sinn der Veranstaltung. Die 54-Jährige begleitet die Gruppe und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Damit sie das Erlebte verinnerlichen, sei es wichtig, dass "die Schüler selbst aktiv und kreativ werden".

Zur Bildungsbrücke gehören jedes Jahr zehn bis 20 internationale Projekte

Die Exkursion nach Leipzig gehört zur Initiative "Deutsch-Polnische Bildungsbrücke" der Schulgesellschaft Rahn Education: Die Intensität, mit der hier grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird, ist im pädagogischen Bereich einzigartig. Zehn bis 20 interkulturelle Projekte veranstalten Lehrer und Schüler jedes Jahr für Sechs- bis 18-Jährige. Das Themenspektrum ist groß - es reicht von der Podcast-Produktion über Sportfeste bis hin zum Fremdsprachentag oder zur Vernissage. Auch das ist eine Besonderheit: Die Grundpfeiler der Bildungsbrücke formt zwar die Kooperation der Rahn-Education-Schulstandorte im Stift Neuzelle und am Spreebogen in Fürstenwalde mit Schulen in Zielona Góra - einst hieß die Stadt in Schlesien Grünberg. Doch es ist ausdrücklich gewünscht, dass sich andere Kulturen in die Aktionen einbringen - vor Kurzem zum Beispiel bei einem Kalligrafie-Projekt zur polnischen, chinesischen und ukrainischen Sprache.

Im Jahr 2011 hat Gotthard Dittrich die "Deutsch-Polnische Bildungsbrücke" gegründet. Der 68-Jährige ist Geschäftsführer der Schulgesellschaft mit Hauptsitz in Leipzig. Was motivierte ihn dazu? "Die wesentlichen Fragen unserer Zukunft können wir nur im interkulturellen Kontext bearbeiten und lösen. Dafür müssen wir die Schranken zwischen den Nationen niederreißen", sagt er. Daran mitzuwirken, mache ihm "großen Spaß", unterstreicht Dittrich, der familiäre Wurzeln in Schlesien hat und früher selbst als Lehrer gearbeitet hat.

Zu Rahn Education gehören 40 Bildungseinrichtungen in Deutschland, Polen, Russland und Ägypten. Das sind unter anderem Kitas, Grundschulen, Oberschulen, Gymnasien, Sprachschulen und Studienkollegs. Mit ihren Programmen für "Europäische Territoriale Zusammenarbeit" (Interreg) fördert die Europäische Union grenzübergreifende Kooperationen: Für die "Deutsch-Polnische Bildungsbrücke" und die Entwicklung des Campus Neuzelle gewährte sie mehr als sieben Millionen Euro Fördermittel.

Internationale Schulkooperation: David Totchilovski, Andrii Torhov, Anastasiia Kuzenkova (von links) sind aus der Ukraine nach Brandenburg geflüchtet und bereiten sich im Gymnasium im Stift Neuzelle auf das Abitur vor.

David Totchilovski, Andrii Torhov, Anastasiia Kuzenkova (von links) sind aus der Ukraine nach Brandenburg geflüchtet und bereiten sich im Gymnasium im Stift Neuzelle auf das Abitur vor.

(Foto: Rahn Education)

Auf dem Gelände des Zisterzienserklosters Stift Neuzelle aus dem 13. Jahrhundert, das sich unmittelbar an der polnischen Grenze befindet, sind ein freies Gymnasium, eine freie Oberschule sowie eine Musik- und eine Sprachschule untergebracht. 600 Schüler aus zwölf Nationen lernen in Neuzelle - die meisten von ihnen sind Tagesschüler, circa 80 Jugendliche besuchen das Internat. "Auch unser Lehrerkollegium ist multikulti", sagt Campusleiter Jan Olschewski, 42, der auch der Musikschule vorsteht. Warum er die "Deutsch-Polnische Bildungsbrücke" so wertvoll findet, beschreibt der Pianist und Dirigent so: "Eine positive interkulturelle Erfahrung trägt zum Weltfrieden bei. Nur was man kennt, wird man schätzen, respektieren und verteidigen." Dabei komme es auf jeden einzelnen Schüler und Lehrer an.

Im Stift Neuzelle leben und lernen viele Nationen gemeinsam

Manchmal können schon kleine Gesten dabei helfen, Ressentiments gar nicht erst entstehen zu lassen, meint Vladimir Grigoriev, Englischlehrer in Neuzelle. "Jedes Jahr bringen wir polnischen Erstklässlern Schultüten", erzählt der 51-Jährige. "Den Brauch kennen sie dort nicht. Wir geben ihnen Briefe mit und hoffen, dass eine Antwort kommt", sagt der Englischlehrer mit verschmitztem Lächeln. Der Russe lebt seit 25 Jahren in Deutschland, er betreut und koordiniert die Projekte der Bildungsbrücke. "Ich habe ein internationales Lebensgefühl", sagt er, "meine Familie hat Verbindungen nach Polen, und meine Mutter stammt aus der Ukraine." Die mehr als 20 Ukrainer, die in Neuzelle zur Schule gehen, sind froh, sich mit einem weltoffenen Menschen wie ihm unterhalten zu können.

Zu ihnen gehört Anastasiia Kuzenkova. Die 17-Jährige besucht in Neuzelle die zehnte Klasse und fährt jeden Tag mit dem Zug in die Schule. "Ich bin mit meiner Mutter und einer Katze nach Brandenburg gekommen", berichtet sie. Anastasiia besucht jeden Tag die Sprachschule auf dem Campus und spricht schon recht gut Deutsch. "Am Anfang hab' ich mir Sorgen gemacht, ob die russischen und die ukrainischen Kinder miteinander klarkommen. Aber das läuft gut", sagt Natalia Mollenhauer, die Leiterin der Sprachschule. Sie stammt aus Sibirien und lebt seit 19 Jahren in Deutschland. Ihre Schülerin Anastasiia floh aus Charkiw. Selbst wenn es möglich wäre - kann sie sich vorstellen, wieder in die zerstörte Heimatstadt zurückkehren? "Ich weiß es nicht", flüstert sie. Aber sie hat Zukunftspläne, das tröstet Anastasiia. "Nach dem Abitur möchte ich Architektur studieren." Linguistik kommt auch infrage.

Erfahrene Pädagogen helfen Ukrainern bei der Vorbereitung auf das Abitur

"Solche Pläne können sich aber schnell ändern", sagt Gerald Miebs, 67, der ehemalige Leiter der Deutschen Schule in Kiew. Seit Anfang August berät der erfahrene Pädagoge, der unter anderem in Japan und Abu Dhabi gelebt hat, die Schulleitung am Campus Neuzelle. Zu Beginn des Jahres betreute er den ersten Abiturjahrgang an der Deutschen Schule in Kiew. "Doch zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Abitur brach der Krieg aus." Er war gerade auf einer Auslandsreise, da teilte ihm die deutsche Botschaft mit, dass er nicht nach Kiew zurückkehren könne. Von da an quälte ihn die Frage: "Was soll jetzt aus meinen zwölf Abiturienten in Kiew werden?" Zu guter Letzt konnten alle das deutsche Abitur machen, "auch mithilfe der Kultusministerkonferenz in Berlin". Der Unterricht ging in den Wochen nach Kriegsbeginn digital weiter, obwohl sich viele Lehrer und Schüler inzwischen in anderen Ländern befanden. Manche Schüler besuchten von einer U-Bahn-Station in Kiew aus den Online-Unterricht. "Kiew hat die tiefste U-Bahn der Welt", sagt Miebs. "Wenn sich aber Schüler oberirdisch zuschalteten, kam es schon vor, dass einer sagte: ,Ich muss in den Keller'", erinnert er sich. Der Pädagoge ist froh, dass die zwölf Absolventen inzwischen an verschiedenen deutschen oder europäischen Hochschulen studieren.

Gerald Miebs half einigen seiner Schüler der Deutschen Schule in Kiew, die 2023 das Abitur machen wollen, nach Brandenburg zu flüchten. Im Internat des Stifts Neuzelle betreut er zum Beispiel die beiden Ukrainer David Totchilovski und Andrii Torhov. Für die beiden 17-Jährigen ist es ein Glück, dass der Campus Neuzelle den Sonderstatus "Schule internationaler Prägung" genießt. "Das macht es einfacher, eine Aufnahmegenehmigung zu bekommen", erklärt Olschewski. "Bei mir war das eine spontane Flucht. Ich bin allein mit dem Zug gefahren, meine Eltern sind noch in der Ukraine", erzählt Andrii, dem vorschwebt, Pilot zu werden. David hatte mehr Zeit, sich auf den Abschied vorzubereiten: "Mit meiner Mutter bin ich mit dem Auto durch Polen, Ungarn und die Slowakei nach Neuzelle gereist." Nach dem Abi möchte er Zellbiologie studieren.

Anastasiia, David und Andrii sind sehr froh darüber, dass sie an diesem friedlichen Ort weiterlernen können. Und dankbar für das finanzielle Entgegenkommen der Schulgesellschaft. Zu ihr gehört auch eine Stiftung, die Stipendien vergibt. Ohne Stipendium betragen die Internatsgebühren mit allem Drum und Dran 39 000 Euro pro Jahr. Aber die drei jungen Menschen haben Heimweh - jeden Tag chatten oder telefonieren sie mit ihren Verwandten zu Hause. "Wenn ich an die Ukraine denke, fehlt mir eigentlich alles", sagt Andrii. David und Anastasiia geht es ähnlich. In Neuzelle sind alle gespannt darauf, von ihnen mehr über ihre Kultur zu erfahren. Eines ist sicher: Die ukrainischen Einflüsse auf die "Deutsch-Polnische Bildungsbrücke" werden stärker. Das wird ihr nicht schaden, ganz im Gegenteil.

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