Süddeutsche Zeitung

Schule in der Pandemie:Viele Fragen, wie es weitergeht

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Wieso gibt es für das Aufholprogramm für Schülerinnen und Schüler weniger Geld als für die Rettung von Konzernen? Warum werden Familien nicht prioritär geimpft? Und wieso verschwenden wir Zeit mit Studien statt nach vorn zu blicken?

Zu " Neue Chance auf offene Schulen" vom 30. April / 1./2. Mai, " Kaum dazugelernt" und " Giffeys Aufholprogramm für Kinder", beide vom 21. April, sowie zu " Schulen und Kitas haben oberste Priorität", 17./18. April:

Bildung ist systemrelevant

Seit einem Jahr sind Schulen und Universitäten zugesperrt. Junge Menschen haben kaum noch soziale Kontakte, keinen Zugang zu Bildung, Kultur oder Sport. Ohne Perspektive sitzen sie daheim vor Bildschirmen, werden apathisch und verängstigt. Nach Ostern wurden die Schulen mit Testpflicht für alle geöffnet, alles hat gut geklappt. Trotzdem wurde wieder alles zugesperrt. Diese jungen Leute sind die Zukunft unseres Landes. Wir brauchen sehr gut ausgebildete, motivierte und mutige Menschen als Fachkräfte. Besonders der Erwerb der essenziellen "Softskills" wird durch die Corona-Maßnahmen nachhaltig verhindert.

Längst sind Schulen und Unis in der Lage, alle Teilnehmer vor Beginn einer Lehrveranstaltung zu testen. Arbeiten darf man mit negativem Corona-Test, lernen nicht. Diese Ungleichbehandlung muss sofort abgestellt werden. Bildung ist systemrelevant und muss deshalb unabhängig von allen Zahlen in Präsenz stattfinden.

Karin Sixt, Unterhaching

Firmen bekommen leider mehr

Es ist ein Armutszeugnis für unsere Regierenden, dass für diejenigen, die die Zukunft unseres Landes bilden, nämlich Kinder, Jugendliche und Auszubildende, magere zwei Milliarden Euro da sind, während wegen Corona Zehntausende Milliarden Euro in Firmen gepumpt wurden und werden - im Mai 2020 alleine in ein einziges Luftfahrtunternehmen etwa sieben Milliarden. Man hätte diese Summe weit früher und weit klüger in Ressourcen der Ausbildungsinstitutionen und Schulen investieren können, sodass Teile der Defizite gar nicht zu beklagen gewesen wären.

Apropos Zukunft: Diejenigen, denen nun mit mageren Summen geholfen werden soll, dürfen in ein paar Jahren diesen staatlichen Schuldenberg abbezahlen. Da kann man nur hoffen, dass dieser bei den Unternehmen weniger zur Firmenrettung und Erhaltung des Status quo als mehr für zukunftsträchtige Innovation eingesetzt wurde.

Martin Hornsteiner, München

Schichtunterricht gab's schon mal

Ich kenne die Ausnahmesituation in der Schule aus eigener Erfahrung, als 1957 Geborener habe ich im München der 1970erJahre viele Jahre in der Schule erlebt, in der es keinen Sport, keine Ausflüge, keine Schülerreisen, keine Schullandheimaufenthalte gegeben hat. Niemand hat sich damals darum gekümmert. Es "war halt so", wir waren einfach zu viele Kinder, und nach uns kam erst der "Pillenknick", deshalb hat man nicht in Schulgebäude etc. investiert, sondern einfach alles gestrichen, was nicht unbedingt nötig war; und man hat uns, da es ja Homeschooling noch nicht geben konnte, in Schichtunterricht geschickt. Eine Woche vormittags, eine Woche nachmittags. Und die Umstände zu Kriegszeiten sind da noch viel schlimmer.

Also einfach mit dem Gejammer aufhören und schauen: Was kann man jetzt sinnvoll machen, und nicht, was kann man nicht machen. Und Kinder werden sich auch ohne Sportunterricht etc. positiv entwickeln. Es geht doch trotzdem!

Martin Berner, Mauern

Familien schneller impfen

Eltern von Kita- und kleinen Schulkindern sind seit einem Jahr besonders gebeutelt. Ich meine, dass sie deshalb mittlerweile an die Spitze der Priorisierungsliste beim Impfen gehören. Viele müssen schon lange Kinderbetreuung und Arbeit unter einen Hut bringen, ihre Kinder neben dem Home-Office und Homeschooling betreuen, sich dauernd auf wechselnden Schulbesuch und Distanzunterricht einstellen. Jetzt wächst noch eine neue Corona-Variante heran, die kleine Kinder besonders trifft, und somit auch Familien mit kleineren Kindern. Diese Eltern sind deshalb besonders gefährdet und hätten eine bevorzugte Behandlung verdient.

Dass die Ständige Impfkommission vorgegeben hatte, dass zunächst die Ältesten und dann die Alten geimpft werden, war und ist einzusehen. Aber warum mussten diese Alten gleich noch eine zweite Impfung bekommen? Dafür hätte mittlerweile schon die dritte und vierte Priorisierungsgruppe eine erste Impfung und damit Schutz vor einer Ansteckung bekommen können. Die mittlere Generation lässt sich von uns Älteren regelrecht veräppeln. Ich hätte von der Stiko und dem Ethikrat erwartet, dass sie pragmatisch an die Jüngeren denken und Familien wegen der besonderen Gefährdung über die Kinder speziell fördern.

Dr. Wolfram Bode, Gauting

Nicht auf dem Rücken der Jugend

Genetische Impfstoffe mögen für die Zukunft vielversprechend sein, werden aber gegen Covid-19 zum ersten Mal in der Humanmedizin eingesetzt. Alle Phasen der klinischen Studien wurden äußerst stark verkürzt und ineinandergeschoben. So wird im Artikel "Neue Chance auf offene Schulen" auch das Vorgehen der Entwicklung des Impfstoffes für Kinder von fünf bis zwölf Jahren beschrieben. Biontech erwartet im Juli 2021 erste Ergebnisse aus Studien, die dann während vier bis sechs Wochen ausgewertet werden sollen. Bereits im Herbst 2021 möchte Biontech die Zulassung beantragen! Durch diese extreme Zeitraffung liegt es auf der Hand, dass Langzeitstudien fehlen. Nebenwirkungen, die womöglich erst in ein bis zwei Jahren, oder später, auftreten, liegen in der Zukunft.

Zum Teil wird den Staaten die Verantwortung für etwaige Spätfolgen aufgebürdet, weil diese noch nicht abzusehen sind und die Pharmaunternehmen sie nicht tragen möchten. Durch einen Impfstoff mit derzeit so vielen offenen Fragen würden Kinder und Jugendliche meines Erachtens in ihren Grundrechten beeinträchtigt und hätten ein größeres Impfrisiko zu tragen als die Erwachsenen. Mit den Schulschließungen, die es nur in manchen Ländern Europas gab, und den Kontaktverboten wurde den Kindern und Jugendlichen bisher sehr viel an Rücksichtnahme abverlangt.

Ich empfinde es als gesellschaftliche Aufgabe, Kindern und Jugendlichen, ohne Impfnachweis, dieselben Freiheiten wie den geimpften Erwachsenen zurückzugeben. Eine angestrebte Herdenimmunität von 70 Prozent der Bevölkerung mag wünschenswert erscheinen, aber lasst uns das nicht auf dem Rücken der Jugend erzwingen.

Gertraud Bracker, Weilheim

Der Zukunftsblick fehlt

Das Ifo-Institut stellt Schulen ein schwaches Zeugnis aus. "Trotz der langen Vorlaufzeit hätten Schulen keine 'angemessene Beschulung aller Kinder und Jugendlichen' sicherstellen können", schreibt die SZ in "Kaum dazugelernt". Damit ist die Verantwortung dann ja auch wieder zugewiesen, und wir müssen nicht weiterdenken. Vergessen wir mal einen Moment, ob es überhaupt eine sinnvolle Studie ist (und die Erkenntnis, dass die Schulschließungen für Kinder und Familien belastend ist hätte vielleicht nicht wirklich einer Studie bedurft). Wieso glauben wir eigentlich, dass diese Situationen vergleichbar sind? Wie kommen wir auf die Idee, dass Zeitstunden in Schule mit Zeitstunden in der eigenen Wohnung vergleichbar sind? Tatsächlich sind sie das nicht, denken wir nur an Ablenkungen, Konzentrationsfähigkeit etc. Warum nehmen wir an, dass Schule realistisch ersetzt werden kann? Selbst ohne die Realität der einzelnen Schüler, die natürlich in vielfacher Weise, wie durch technische Ausstattung, (nicht) vorhandenen Zugang zu schnellem Internet etc. zu Problemen führt, ist es denkbar, dass Schule nicht simuliert werden kann.

Was diese Studie und dieser Artikel aber zeigt, ist vor allem unsere Konsumhaltung. Es ist also den Schulen nicht gelungen, sich während der Pandemie komplett umzustellen, Konzepte zu entwickeln die es noch nicht gibt, und eine Didaktik zu erschaffen für eine Unterrichtsform, die nicht existierte. Ein Glück, dass Lehrer keine Familien haben und nicht von Einschränkungen betroffen waren. Da hätte "die lange Vorlaufzeit" ja locker ausreichen müssen.

Was Bildung jetzt braucht, ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie es weitergeht. Was Bildung jetzt braucht, ist eine Bedarfsfeststellung und eine Zustandsanalyse. Was Bildung nicht braucht, ist ein Hinweis, dass die Zustände während des Lockdown schlecht waren. Das wissen wir, wir waren alle dabei.

Jörg Blume, Dahlenburg

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URL:
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Quelle:
SZ vom 06.05.2021
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