Russland:Fünf Jahre nach der Krim-Krise sind neue Strategien gefragt

Lesezeit: 4 Min.

Sollen die Sanktionen weiterlaufen oder soll Europa einen Schritt auf Russlands Präsidenten Putin zugehen? Die Lesermeinungen dazu gehen weit auseinander.

Erst 2018 weihte Russlands Präsident Putin eine neue Brücke vom Festland auf die Krim ein. Zum Westen ist seine Verbindung schlechter. (Foto: dpa)

Zu " Naher Osten" vom 12. Juni und " Putin, Europa und der riesige Riss" vom 2. Juni:

Völkerrecht versus Wirtschaft

Nun reiht sich also auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in die Reihe der "Putin-Versteher" ein. Ob er dies aus innerer Überzeugung tut oder aus wahltaktischen Gründen, um der AfD Wähler abzujagen, bleibt offen. Der oberste deutsche Putin-Versteher ist ja der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Schröder kollaboriert völlig ohne Skrupel mit einem Autokraten, der eine aggressive Außenpolitik betreibt, die Europäische Union spalten will und regierungskritische Künstler und Journalisten einsperren lässt.

Die ostdeutschen Ministerpräsidenten sollen doch einfach ehrlich sein und zugeben, dass ihnen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wichtiger sind als die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte. Dass viele Menschen im Osten Deutschlands Putins Russland positiver sehen als die Menschen im Westen, ist erstaunlich und kann man nur mit einer Verklärung der Vergangenheit begründen. Die Beziehungen zwischen der sowjetischen Besatzungsmacht und der ostdeutschen Bevölkerung waren nicht so gut, wie es manche jetzt darstellen.

Es geht doch bei der Frage der Russland-Sanktionen nicht um eine Ablehnung der russischen Kultur. Es geht einfach darum, dass auch nach fünf Jahren der Bruch des Völkerrechts nicht hingenommen wird. Das Völkerrecht und die Menschenrechte sind manchmal wichtiger als die wirtschaftlichen Interessen.

Johannes Rietberg, Engelsbrand

Eine Entschuldigung steht aus

Herr Prantls Kommentar zu den bestehenden Sanktionen und wie man damit umgehen sollte, ist sehr interessant. Es ist in der Tat die Frage, ob die Sanktionen nicht endlich schrittweise wieder zurückgefahren werden sollten, um zu einem halbwegs vernünftigen Dialog zu kommen. Das ist aber schon deshalb schwierig, weil Russland kein Rechtsstaat ist und auch nicht meint, einer werden zu müssen. Die Justiz handelt auf Weisung der Regierung, und der Strafvollzug in Russland hat, wie immer wieder zu hören ist, mit Menschenwürde wenig zu tun.

Auch dürfen wir nicht vergessen, dass Putin eine Mitschuld daran tragen dürfte, dass über der Ukraine mit von Russland zur Verfügung gestelltem Gerät ein Passagierflugzeug mit mehr als 200 unschuldigen Passagieren hinterrücks und heimtückisch abgeschossen wurde, ohne dass bisher seitens Russland rechtliche Konsequenzen gezogen wurden oder auch nur eine öffentliche Entschuldigung an Angehörige erfolgte. Hierüber darf man nicht zur Tagesordnung übergehen!

Ein Staat, der solch eine Tat zulässt oder womöglich derartige Gewaltakte auch selbst begeht, kann politisch niemals zu Europa gehören.

Gerhard L. Mueller-Debus, Frankfurt

Ablehnung europäischer Werte

Allen Putin-Verstehern sei wärmstens empfohlen, das Buch von Masha Gessen "Die Zukunft ist Geschichte" mit dem Untertitel "Wie Russland seine Freiheit gewann und verlor" zu lesen. Masha Gessen bekam für dieses Buch im Frühjahr den Preis für europäische Verständigung. Sie beschreibt eindrucksvoll, mithilfe von sieben Protagonisten der russischen Gesellschaft, den Prozess von der Ära Gorbatschow bis hin zu Putin. Sie beschreibt diese Gesellschaft als eine totalitäre, in der jeglicher Individualismus als Auswuchs westlicher, europäischer Werte, als dem russischen Volk fremd deklariert wird. Putins Chefideologe Dugin, der zu den sieben Protagonisten gehört, hat 1994 das Buch "Die konservative Revolution" herausgebracht und hat enge Verbindungen zur Neuen Rechten in Europa. Als Folge der Ablehnung europäischer Werte wie der Universalität der Menschenrechte, ist die Verfolgung von Homosexuellen, Juden und Kritikern an der Tagesordnung. Das beschreibt Masha Gessen eindrucksvoll.

Der Soziologe Gudkow, einer der Protagonisten des Buchs, hat Merkmale des Totalitarismus beschrieben und schreibt: "Ein dauerhaft sehr niedriger Lebensstandard stützt den Totalitarismus." Insofern kann der Sinn von weiteren Sanktionen vielleicht bezweifelt werden. Auch Karl Schlögel beschreibt in seinem Buch "Moskau 1937" wie sich das Stalin-Regime unter anderem dadurch halten konnte, dass die Menschen in ständigem Mangelzustand gehalten wurden. Die Bereitschaft, sich mit einem autoritären Führer und der "Größe Russlands" zu identifizieren und Annexionen (Krim) und Kriege (Tschetschenien, Syrien etc.) gutzuheißen, steigt mit dem Elend der Bevölkerung.

Schon aus diesem Grunde gibt es für Europäer kaum einen Anlass zur Putin-Verehrung - im Vergleich zu der Masse der russischen Menschen geht's uns doch gut.

Ilse Onnasch, Herrsching

Gebrochenes Versprechen

In der Tat hat Russland die Krim annektiert, nämlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus dem zerfallenden Vielvölkerstaat Osmanisches Reich, erst praktisch-militärisch und am 8. April 1783 politisch formell durch die deutschstämmige Zarin Katharina II: "Russisch von nun an und für alle Zeiten". Das war vor rund 240 Jahren und die Krim blieb russisch mit einer überwiegend russischen Bevölkerung, bis der sowjetische Diktator Chruschtschow 1954 die Krim als Autonome Republik seiner Heimat, dem Gebiet der Ukraine (einen Staat gab es noch nicht), über den Willen der Bevölkerung (zwei Drittel Russen, der Rest verteilte sich auf 18 Ethnien, auch Deutsche) hinweg als "Geschenk" übermachte.

Jeder verantwortliche Politiker weltweit hätte anstelle Putins in der Krim-Frage genauso handeln und die Krim wieder in die Russische Föderation reintegrieren müssen. Der Staat Ukraine, formiert erst nach der Auflösung der UdSSR, betrieb, mit Zustimmung der USA, die Aufnahme in die Nato. Dies hätte bedeutet, dass auf der Krim Nato-Militärbasen mit Raketen hätten stationiert werden können. Man siehe das Beispiel Estland.

Putin weiß auch, dass die Westmächte ihr Versprechen bei den "Zwei-plus-vier-Wiedervereinigungsgesprächen" über Deutschland im Dezember 1990, dass keine Nato-Einheit oder kein Soldat je die damalige Grenze zum Warschauer Pakt überschreiten werde, gebrochen haben. Auch war die Reintegration der Krim 2014 eine Sezession von der Ukraine, wie es auch die Aufnahme des Landes in die Russische Föderation war, beides per Abstimmung der Bevölkerung gemäß Selbstbestimmungsrecht der Bürger der Krim, allerdings sicher mit großer Einflussnahme Russlands.

Wolfgang Nies, Bissen/Luxemburg

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: