Süddeutsche Zeitung

Rundfunkbeitrag:Ein Politikum um 86 Cent

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff hat ein Gesetz zur Erhöhung von Fernsehgebühren zurückgezogen, um nicht mit der AfD abzustimmen. Doch der Streit um die Rolle öffentlich-rechtlicher Anbieter schwelt weiter.

Zu "Diagnose Ost" vom 4. Dezember, "Krise auf Wiedervorlage" vom 3. Dezember, "Die 86-Cent-Frage" und "Komplizen der AfD", beide vom 2. Dezember:

Hoffen aufs Verfassungsgericht

Die Blockadehaltung der CDU in Sachsen-Anhalt hat nun dazu geführt, dass der Rundfunkbeitrag nach mehr als elf Jahren um lächerliche 86 Cent nicht erhöht werden kann. Mit dieser Handlungsweise hat sich die CDU dort in eine Abseitsfalle der AfD verrannt, denn auch die hätten gegen eine Erhöhung gestimmt, weil sie grundsätzlich gegen die ihrer Meinung nach links-grün manipulierten Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten immer wieder agitieren.

Das Bundesverfassungsgericht wird nun das letzte Wort haben und hoffentlich zukünftig die 16 Landesregierungen von politischer Einflussnahme auf den Rundfunk konsequent ausschließen, indem sie diese Zustimmungspraxis unterbindet!

Thomas Henschke, Berlin-Reinickendorf

Gefährdete Karrierepläne

Nein, es geht in Sachsen-Anhalt längst nicht mehr um "Sachfragen" oder 86 Cent. Es geht vielmehr darum, dass ein erheblicher Teil der Landtagsabgeordneten der CDU die Koalition mit SPD und Grünen vehement ablehnt und stattdessen lieber mit der AfD zusammenarbeiten würde.

Schmerzhaft für den ländlich geprägten rechten Flügel der CDU war der Verlust des Landwirtschaftsministeriums an die Grünen. Ministerpräsident Reiner Haseloff war das (letzte?) Bollwerk gegen eine Zusammenarbeit von CDU und AfD. Seitdem er aber erklärt hat, nach der Landtagswahl 2021 nicht in den Ruhestand zu gehen, sondern noch einmal für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren, sahen einige Personen ihre Karrierepläne gefährdet. Da war die Abstimmung über 86 Cent eine Möglichkeit, Platz auf dem Sessel des Ministerpräsidenten zumachen. Darum ging es.

Prof. em. Dr. Wolfgang Renzsch, Berlin

Falsches Signal

Die CDU von Sachsen-Anhalt hat nicht gelernt aus der skandalösen Wahl von Herrn Kemmerich zusammen mit FDP und AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen. Dass sie ausgerechnet zwei Wochen nachdem AfD-Gäste im Bundestag Abgeordnete bedroht haben, eine Zusammenarbeit mit der AfD angestrebt hatte, macht mich fassungslos. Sie wollte eine Gebührenerhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk um 86 Cent als Grund für einen Koalitionsbruch nutzen, um den lang gehegten Wunsch der AfD zu unterstützen, die Axt an ARD und ZDF zu legen. Ein furchtbares Signal in dem Bundesland. Besorgt machte mich auch das laute Schweigen der CDU-Vorsitzenden und der drei Kandidaten für den Vorsitz und die Kanzlerkandidatur der Partei.

Winfried Wolf, Hamburg

Einfach mal abschalten

Da lassen sie sich in Sachsen-Anhalt von der AfD geradezu an der Nase herumführen. Und das zu einer Zeit, in der die Menschen auf das Fernsehen angewiesen sind, weil Kino und Theaterbesuche nicht möglich sind, da man zu Hause bleiben muss. Schade, dass man für ein Bundesland das Fernsehen nicht einfach ein paar Tage abschalten kann. Für mich ist der Rundfunkbeitrag sowieso eher niedrig, wenn man ihn mit Preisen für Kinobesuche vergleicht!

Wolfgang Meyer, Memmingen

Sparen ist angesagt

Es würde mich freuen, wenn die Erhöhung des Beitrages scheitern würde. Sparen wäre angesagt. Information und Unterhaltung zählen laut Staatsvertrag zum Programmauftrag. Diese Vorgabe wird jeden Tag und jeden Abend übererfüllt. Corona-Sondersendungen ohne Ende. In einer "Tagesschau" bis zu fünf Mal Detailaufnahmen des Setzens einer Corona-Spritze und mehrmals das Arbeiten im Labor mit der Analyse von Corona-Abstrichen. Anschließend noch eine Sondersendung dazu mit den fast gleichen Akteuren. Wenn schon die Berichterstattung zu Corona als so wichtig erscheint, dann bitte mal fünf widerstreitende Virologen an einen Tisch, und das dann abendfüllend.

Es gibt keinen Grund dafür, dass Deutschland sich weiterhin den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt gönnt und dass dieser nun mit zusätzlichen 400 Millionen Euro jährlich unterstützt wird. Winzige Rundfunkanstalten, die seit Jahren Verluste machen - weg damit. Es braucht nicht mehr als 70 verschiedenen Radioprogramme. Es braucht auch keine Formate und Magazine, die vermeintliche Vielfalt simulieren, aber Einfalt abbilden. Das Anliegen der CDU wird nicht deshalb automatisch falsch, weil auch die AfD es vertritt. Die Landes-CDU vertritt seit vielen Jahren eine Reform des Rundfunks. Sie muss nun nicht davon abrücken, nur weil die AfD das auch vertritt. Durch ein solches Abstandsverhalten könnte die AfD letztlich jede Debatte beenden.

Dipl.-Ing. Siegfried Engelke, Korbach

40 Jahre Westfernsehen umsonst

Im Streit um die Gebühren sollte sich die Magdeburger CDU-Fraktion an DDR-Zeiten erinnern: Damals waren DDR-Bürger dankbar für jede Nachricht, die sie in West-Radio oder -Fernseher empfangen konnten. Obwohl das Einschalten von "Feindsendern" verboten, mindestens verpönt war, bauten Zigtausende DDR-Bürger Antennen auf ihre Dächer, um ARD oder ZDF zu sehen: "Tageschau", "heute", "Tagesthemen", "heute-journal", politische Sendungen ebenso wie Dokumentationen über die nahe, ferne, ihnen verschlossene Welt. Der Empfang dieser Programme, der täglichen Nachrichten, die 1989 im Zuge der "Friedlichen Revolution" ihr ganz besonderes Gewicht bekamen, war übrigens für DDR-Bürger, auch für die älteren Mitglieder der CDU-Fraktion Sachsen-Anhalts, damals kostenfrei, vierzig Jahre lang wurden Gebühren gespart. Insofern wären die heute erhobenen Rundfunkgebühren plus 86 Cent geradezu ein "Schnäppchen" für die Freiheit.

Joachim Jauer, ehemaliger ZDF-Korrespondent DDR, Kirchberg/Wald

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Quelle:
SZ vom 15.12.2020
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