Süddeutsche Zeitung

1958:Auf den Rabenklippen

Oh Schattenvogel der Verzagtheit: Robert Neumann parodiert den Schriftsteller Ernst Jünger.

Von Robert Neumann

Humor kann eine wirkungsvollere Waffe sein als ein scharfer Verriss: Im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" karikiert der kämpferische Demokrat Robert Neumann zielsicher und ohne falsche Nachsicht den populären "In Stahlgewittern"-Autor Ernst Jünger (1895 - 1998). Dieser hatte vor allem in seinem Frühwerk der antidemokratischen "Konservativen Revolution" nahegestanden und die Weimarer Republik erbittert bekämpft. Obwohl ihn viele für einen Wegbereiter des Nationalsozialismus hielten, wurde Jünger in der Bundesrepublik von anderen noch jahrzehntelang beinahe kultisch verehrt. 1958 nahm ihn sich der in Wien geborene Schriftsteller Robert Neumann (1897 - 1975) vor, Jüngers oft schwülstiges Pathos in Perfektion nachahmend. Neumann war der richtige Mann dafür: Er gilt als Mitbegründer der literarischen Parodie in den Zwanzigerjahren und hatte wenig Grund, Jünger zu schonen. Als antifaschistischer Autor hatte er die Nazis vom englischen Exil aus bekämpft. Der für seine Zeit gewagte Text verhinderte allerdings nicht, dass Ernst Jünger ein Jahr später das Bundesverdienstkreuz erhielt.

An solchen Tagen traten wir aus der Rauten-Klause erst, wenn die Sonne in die Marina gesunken war, und schritten den Raben-Klippen zu, vorüber an verlassenen Gehöften, deren Sassen nach Burgund hinübergewechselt waren, ohne daß der Oberförster ihnen Permiß gegeben hätte, auch ihre Laren und gemeuchelten Erst-Geborenen mit sich zu nehmen.

Knaben-Rippen bleichten auf den gekippten Grenzpfählen der Klippen-Lippen, unbeschienen vom Mutter-Mond, der sein lunares Entsetzens-Antlitz in der Düsternis des Gewölkes barg. Weiterschreitend über gewundene Schlangenpfade hörten wir das Schnattern, in den femstverborgenen Kringeln, von erbleichten Speer-Ottern, Stern-Vipern und Ringel-Nattern, denen gleichend, die sich Erio in jenen versäumten Sonnentagen ins Haar geflochten hatte. Das Bölken eines Uhus, lautlosen Fluges nah-getragen, zog über ihre Spiele wie ein schatten-trächtiger Komet.

Oh, wie es in Moorestiefen brodelte, da wir über Felsenstufen höherklommen. In der, entlichteten Belichtung des Tannichts, Föhrichts und Fichtennichts gab es ein Heulen und Frohlocken, als ob die wilde Meute vorüberleutete. Es jodelte im Chor hinaus in die Pechschwärze der Rabennacht, und Bruder Otho, der neben mir dahinschritt, sah sich gleich mir an jene Zeit erinnert, da wir beide mit den Purpur-Korsaren segelten - doch hatten wir das Gemetzel nur mitgemacht, um unsere Lehenspflicht zu leisten: nicht daß wir jemals in hohem Ernst Jünger des Oberförsters gewesen wären.

In jenen Korsaren-Tagen ward ein Irrtum erst dann zum Fehler, wenn man in ihm beharrte

Auch damals, lavierend zwischen Sagunt und Trapezunt, gab es keine pontische Brandungslücke in jenem Schreck-Meer, durch die wir eine Brücke hätten erspähen können, um unser Schiff aus Mein-Tat und Neidungs-Werk an sie zu steuern und uns an Land zu retten. So wanderten wir aus nach innen, unsere Runen rück-versichernd zwischen den Zeilen unseres Herbariums.

In jenen Korsaren-Tagen ward ein Irrtum erst dann zum Fehler, wenn man in ihm beharrte. So bar der Vornehmheit hatten die Hinter-Sassen des ostgeborenen Oberförsters sich erwiesen, daß man mitunter am Klippenrand selbst niederstirnige Randalisten, Oktobristen, Harfenisten und Gebärden-Schwinger angesichts der sich lippen-üppig gleich einem Divenmund entfaltenden Grauens-Blume der Schlacht-Verlust-Gefahr in stumme Gedanken fallen sah. So berührte auch uns damals die Schwinge des Schatten-Vogels der Verzagtheit.

Zitternd leerten wir den Kelch des von Lampusa aus Wider-Wurzeln für uns gebrauten Bitter-Trunkes. Dann starrten wir einander in die Kreiden-Weiße unserer Gesichter und lagerten uns unter Blut-Blümlein, Perl-Zwittich und Rosamund in die Starre des Heidekrauts.

Zur Auswahl: Dasselbe in Versen

Auf den Rabenklippen bleichen Knabenrippen

Und der Mond verkriecht sich duster ins Gewölk,

Fern im Kringel schnattern bleiche Ringelnattern

Und der Uhu naht sich mit Gebölk.

Tief im Moore brodelts und im Chore jodelts

In die kohlpechrabenschwarze Nacht hinaus,

Keine Brandungslücke, keine Landungsbrücke

Gibts in diesem Meer von Schreck und Graus.

Selbst ein dummer Stänker wird ein stummer Denker,

Wenn er so viel Grauses hört und schaut.

Trinkt noch schnell 'nen Bittern, sinkt zur Stell mit Zittern

Und 'ner Kreidehaut ins Heidekraut.

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