Süddeutsche Zeitung

Rente:Schlecht konzipiert und nicht richtig korrigiert

Lesezeit: 3 min

Mehr Berufsjahre sollten vor Eintritt in die Rente diskutiert werden und warum nicht auch ein obligatorischer Aktienfond.

Zu "Armutsfalle Ruhestand" vom 7. Oktober und "Mehr Nachhaltigkeit bei der Rente" vom 27. Oktober:

Späterer Renteneintritt

Alexander Hagelüken konstatiert, dass von der Politik während der Kanzlerschaft Angela Merkels zu wenig getan worden sei, um die gesetzliche Alterssicherung zu retten. Dies stellt aber bei genauer Betrachtung eine Verkürzung der Tatsachen dar: Bereits 1957 hat der Erfinder des Umlagesystems, der Bonner Ökonom Wilfrid Schreiber, auf mehrere Fakten hingewiesen: 1957 sei es unumgänglich, eine Umlagefinanzierung einzuführen, da die Rentenkassen durch die Nazis für deren Kriegsvorhaben geplündert worden waren. Zudem sei es notwendig, möglichst rasch eine Kapitaldeckung einzuführen.

Noch in den 1980er-Jahren plakatierte Sozialminister Norbert Blüm, dass die Renten sicher seien, und auch er nahm keine Umstellung hin zur Kapitaldeckung vor. Seitdem haben verschiedene Sozialminister keine wirkliche Reform vorgenommen, und auch der kommende Kanzler Olaf Scholz scheut sich offenbar, den Menschen reinen Wein einzuschenken und spricht stattdessen von einer Garantie des Rentenniveaus bis 2070, dem Jahr, in dem er das 112. Lebensjahr vollenden wird.

Aktuell werden etwa 25 Prozent der Haushaltsmittel zur Finanzierung der Rentenkasse verwendet. Diese Steuermittel bringen auch alle Nicht-Rentenbezieher auf. Wichtig ist es nun, den Menschen reinen Wein einzuschenken: Das Renteneintrittsalter muss aufgrund unserer längeren Lebenserwartung weiter angehoben werden. Eine schrittweise Hinführung in eine Kapitaldeckung ist dringend notwendig. Die Eigenvorsorge jedes Einzelnen ist ebenso zwingend. Die Diskussion, welche Berufsgruppen eine Anhebung des Renteneintrittsalters nicht leisten können, muss geführt werden. Die Digitalisierung wird aber weitere Menschen unter Umständen abhängen, da deren Tätigkeit zukünftig automatisiert werden wird.

Die Hinzunahme von Beitragszahlern (Abgeordnete, Freiberufler und Selbstständige) führt kurzfristig zu mehr Einnahmen; langfristig aber auch zu mehr Leistungsempfängern. Der Staat wird es sich nicht leisten können, seine Beamten im Rentensystem zu inkludieren, da das Beitragsaufkommen nicht aus den Haushalten zu stemmen sein wird.

Michael von Ameln, Krefeld

Obligatorischer Aktienfonds

Die Standardrente netto vor Steuern (45 Beitragsjahre mit durchschnittlichem Arbeitslohn, 2019: 39 301 Euro) betrug im Jahr 2019 monatlich 1327 Euro. Die Kaufkraft dieser Standardrente ist seit 1991 um sechs Prozent gesunken. Keine wesentliche gesellschaftliche Gruppe außer der Rentner hat eine solche Entwicklung zu verkraften, die Arbeitnehmer nicht und selbst die Perspektive der Niedriglöhner ist eine bessere. Was will man an einer solchen Rente noch abschmelzen?

Was eine neue Regierung auf keinen Fall tun sollte: Die Privatisierung der Säulen zwei und drei reformieren und sie beibehalten: Wie viele Milliarden Euro staatlicher Förderung und privat angelegtem Alterssicherungskapital sollen noch in die Privatwirtschaft fließen über dort angelegte Betriebsrenten und die Riester-Rente. Die hohen Kosten der Vertragsabschlüsse und der Kontenführung sind doch nun wirklich hinlänglich bekannt. Viele dieser Institute befinden sich in einer kritischen finanziellen Situation und reduzieren ihre Alterssicherungsleistungen. Soll wirklich Rentenkapital für die Renditen von Finanzinstituten verwendet werden? Die Alternative liegt doch auf der Hand: ein obligatorischer Aktienfonds durchaus in unterschiedlicher sozialer Ausprägung angesiedelt unter dem Dach der deutschen Rentenversicherung analog zum schwedischen Renten-Aktien-Fonds AP-7.

Dr. Lothar Sowa, Rohrenfels Irgendwie bewahrheitet sich jetzt: Unser Rentensystem ist ein gigantisches "Schneeballsystem", seit es unter Konrad Adenauer, welcher den Herren Pferdmenges und Müller-Armack folgte, und 1958 das Kapitaldeckungsverfahren in ein Beitragsumlageverfahren abgeändert wurde. Vergessen, dass die "Rentenmark" mit ihrer Kapitalausstattung das Deutsche Reich aus der staatlichen Finanzkatastrophe führte. Die Umdeckung wurde und wird immer noch als Generationenvertrag von den Regierungen verkauft, obwohl es keinen Vertrag gibt, den man kündigen kann/könnte.

Bei näherer Betrachtung ist festzustellen, dass die ursprünglich vorhandene Beitragspflicht von 50 Beitragsjahren für Männer und 45 für Frauen anscheinend nicht mehr Gültigkeit hat, sondern auf 35 Jahre reduziert wird. Das sind 15 Beitragsjahre weniger. Um gleiches Beitragsaufkommen rein rechnerisch zu sichern, sind diese 15 fehlenden Jahre auf die jetzigen 35 Beitragsjahre zu verteilen. Wer soll aber das von der beitragsgedeckelten Arbeitnehmerschaft erarbeiten und bezahlen? Noch dazu, als der Rentenbeginn auf 63 gesenkt wurde, während das alte System für Männer mit 65 Jahren offensichtlich ausgedient hatte. Hier handelt es sich um eine ganz besondere Quadratur des Kreises. Warum belässt die Politik es nicht bei 50 Beitragsjahren? Wer weniger Beiträge zahlt, der darf aus diesem Topf nur weniger und nicht, wie es jetzt aussieht, mehr Rente bekommen.

Und nebenbei: Ich fühle mich mit meiner Ehefrau von der Gesellschaft und Politik "verarscht"! Wir zahlten 48 und 49 Beitragsjahre, und was bekommen wir? Was hätten wir bei einer kapitalgedeckten Rentenversicherung heute an Rente bekommen?

Ludwig Stemmer, München

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Quelle:
SZ vom 07.12.2021
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