„Jetzt hilft nur noch beten“ vom 19./20. Juli:
Strafender Gott als Imageproblem
Eindrucksvoll beschreibt Josef Wirnshofer am Beispiel Sankt Gertrud in Essen exemplarisch einen Teilaspekt des Niedergangs der katholischen Kirche in Deutschland. Leider lässt er sich dabei kaum auf die offensichtlichen Ursachen dafür ein. Tatsache ist, dass die katholische beziehungsweise christliche Theologie eben nicht so eindeutig aufgeht und schlüssig ist, wie wir sie von klein auf kennen. Angefangen von der Jungfrauengeburt bis hin zur Frage der Theodizee. Es gibt viele ungelöste beziehungsweise unlösbare theologische Probleme.
Einer meiner Lehrer hat bereits vor vielen Jahren gesagt: „Die Kirche funktioniert deshalb nicht mehr, weil man die Hölle abgeschafft hat.“ Wie wahr! Es ist eine entscheidende Frage, ob wir heute und in Zukunft ein tragfähiges Gottesbild finden oder nicht. Der Papst und viele Bischöfe, so scheint es jedenfalls, haben kein Konzept, wie die Kirche in den kommenden 100 Jahren aussehen soll. Sie sind deshalb häufig rückwärtsgewandt (zum Beispiel Ablassgewährung durch den jetzigen Papst) und predigen auch heute noch weithin einen primär strafenden Gott. Und das machen die Leute nicht mehr mit.
Dr. med. Willi Wegele, Odelzhausen
Lieber klein und linientreu
Der Artikel über die Schließung einer katholischen Kirche in Essen lässt mich zurückdenken an ein Fernsehinterview mit Joseph Ratzinger, damals noch Chef der Glaubenskongregation. Auf die Frage, was er dort als seine Aufgabe sehe, antwortete er sinngemäß: Den Laden zusammenhalten. Dabei machte er mit seinen Händen eine Geste, als ob er einen unsichtbaren Gegenstand zusammendrücken wollte.
Ich verstand das damals so und verstehe es auch heute noch so: lieber eine kleinere katholische Kirche, dafür dann linientreue Mitglieder. Insofern ist die Kirchenschließung in Essen kein Unfall, sondern eine hinzunehmende Begleiterscheinung. Auch die Bischöfe in Deutschland arbeiten fleißig an diesem Verkleinerungsprojekt. Und ich zitiere den verstorbenen Theologen und Buchautor Professor Hans Küng: „Ratzinger und Wojtyła haben einen Scherbenhaufen hinterlassen.“ In Essen kehren sie gerade die Scherben zusammen.
Dr. Christoph Spagl, Kirchheim
Freie und bemühte Kirche
Die Aussage „Ein Land verliert seinen Glauben“ stimmt so nicht ganz. In Deutschland bezeichnen sich weniger Menschen als gläubig oder religiös als Mitglieder in Kirchen gemeldet sind. Das ist schon länger bekannt und sehr auffällig, zum Beispiel auch gegenüber Staaten wie den USA, wo der Anteil der Menschen, die sich als religiös wahrnehmen, fast doppelt so hoch ist wie bei uns und es keine „Staatskirche“ gibt. Dass die Menschen aus der Kirche austreten, hat aber nicht nur mit der Abnahme von Menschen tun, die sich als religiös wahrnehmen.
Die Kirchen tun nichts oder fast nichts dafür, Menschen in ihrem Glauben zu unterstützen. Seelsorge ist nur nach Voranmeldung möglich. Und meistens geht es bei Gesprächen zwischen Mitgliedern der jeweiligen Kirchen und dem Kirchenpersonal um Organisatorisches: Trauung, Taufe und so weiter.
Meine Folgerung aus dieser Tatsache war, dass ich vor zwei Jahren an den Petitionsausschuss des Bundestags geschrieben und gebeten habe, die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche zu unterbrechen. Ich bin überzeugt, dass sich bei einer „freien“ Kirche durch tätige Mitarbeit und durch Unterstützung der Organisation die Anzahl der Kirchenmitglieder erhöht und auch vielen Menschen dabei geholfen wird, zurück zum Glauben zu kommen.
Obwohl die Einnahmen der Kirchensteuer trotz Austritten in den letzten Jahren gestiegen ist, hat die Kirche sehr schnell reagiert und viele Kirchen geschlossen. In einem Bistum sind inzwischen mehr als die Hälfte der Kirchen profaniert. In derselben Zeit ist weniger als die Hälfte der Mitglieder ausgetreten. Da kann man denken: Die Kirche hat den Glauben ans Geld noch nicht verloren.
Mathias Bethäuser, Heidelberg
Positive Entwicklung
Dass der Verlust von Glaube und Kirchenbindung soziale Anpassungsprobleme mit sich bringt, ist zutreffend. Es ist jedoch unangemessen, deswegen ein ausschließlich oder auch nur überwiegend negatives Bild dieser Entwicklung zu zeichnen. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Zeiten, in den etwa eine interkonfessionelle Mischehe selbst zwischen christlichen Partnern ein großes Problem für viele Familien war, in denen ledige Mütter und uneheliche Kinder stigmatisiert wurden oder Homosexualität strafbar war. Wenn uns das heute sehr weit entfernt zu sein scheint, bleibt doch festzuhalten, dass all dies gegen den Widerstand der Kirchen verschwunden ist und dass diese sich überwiegend erst im Nachhinein notgedrungen den gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst haben.
Noch heute beanspruchen die christlichen Kirchen die moralische und rechtliche Deutungshoheit für die ganze Gesellschaft und nicht nur für ihre Mitglieder (siehe die aktuellen Vorgänge um die Verfassungsrichterwahl) und wollen alle Bürger zum Beispiel in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs durch nur religiös nachvollziehbare Wertabwägungen bevormunden. Sie kämpfen verbissen darum, ihren Einfluss in Politik und Institutionen zu bewahren, obwohl dieser inzwischen im Vergleich zum Anteil der Kirchenmitglieder in der Gesellschaft weit überproportional ist (bei einem Anteil von noch zehn Prozent der Bürger in ostdeutschen Städten bis zu gerade mal knapp über der Hälfte in Bayern). Säkulare Moral- und Sinnressourcen werden fälschlich als unzureichende Grundlage der Gesellschaft dargestellt.
Dr. Michael Murauer, Deggendorf
Eine Schreckensbilanz
Die Schließung seiner Kirche und der allgemeine Glaubensschwund mag für den Herrn Pfarrer sicher erschütternd sein. Erschütternder ist es aber, wenn man gegenrechnet, was das Christentum gebracht hat. Eine kurze Bilanz. Im christlichen Mittelalter unzählige Verfolgungen und Ermordungen von vermeintlichen Ketzern und Hexen. Kriege zur Eroberung des sogenannten heiligen Landes. Der Wahnsinn der Religionskriege. Eine extreme soziale Ungleichheit: reichtumsfette Kirche und verelendetes Volk. Bekämpfung von Aufklärung und rationaler Wissenschaft. Leibfeindlichkeit, sexuelle Verklemmtheit, Frauenunterdrückung. Paktieren mit Despoten zur Sicherung der eignen Herrschaft.
Und heute? Mitleidlose Abwehr von Flüchtlingen durch die deutschen C-Parteien. Im katholischen Polen ein brutales Abtreibungsgesetz, das den Tod von Frauen billigend in Kauf nimmt. Massenhafte Kinderschändungen im Schoß der Una Sancta Ecclesia selbst samt Vertuschung und Wegdrücken von Verantwortung. Fazit: eine Bankrotterklärung.
Hermann Engster, Göttingen
Folgen fürs Miteinander
Mit dem Satz, dass sich eine schrumpfende Kirche, katholisch und protestantisch, auf die Statik unserer Demokratie auswirkt, wird wirklich der Kern des Themas getroffen. Religion und Kirche kennenzulernen und den Wert der christlichen Grundsätze zu kennen, hat vielfach Auswirkung auf den Alltag. Die schwindende Bedeutung der beiden großen Kirchen durch Austritte wird sich so richtig in fünf und ganz massiv in zehn Jahren zeigen. Dann werden die Kirchen eine Randexistenz in unserem Land spielen – das ist ein heftiger Traditionsabbruch mit starken Folgen für unsere Zivilisation. Wir können es heute schon in den ostdeutschen Bundesländern sehen, wo die niedrige Mitgliedszahl meines Erachtens ein Faktor für die verbreitete Ruppigkeit und Rücksichtslosigkeit ist. Ihr Artikel ist ausgezeichnet.
André Maßmann, Duisburg
Vor der eigenen Tür kehren
Man staunt: Die (katholische) Kirche verhindert Rechtsextremismus?Etwa so wie 1937? Schuld am Schwinden der Schäfchen sind natürlich die egoistischen Individuen und die Gesellschaft (der Wohlfahrtsstaat, soso), nicht etwa die Kirche selbst? Dabei schaufelt sie sich ganz allein ihr eigenes Grab. Ehrenamt in Frauenhand, weil die Frauen so blöd sind, nicht geschlossen auszutreten aus einem Verein, in dem men only beruflich was werden können. Über den Körper von Frauen bestimmen Männer. Wenn sich die Herren mal um das geborene Leben genauso kümmern würden wie um das ungeborene. Solidarität sah zu meiner Zeit so aus, dass der quasiverbeamtete Geistliche am Wahlsonntag im Gottesdienst Wahlwerbung für die CSU machte, er sich bei sämtlichen Anlässen wie Taufe, Kommunion, Firmung, Beerdigung fürstlich hat bewirten lassen und im Beichtstuhl die Kinder gezwungen hat, irgendwas zu beichten, obwohl sie überhaupt nichts verbrochen hatten. Notfalls wurden „unkeusche Gedanken“ konstruiert, die wohl eher auf der anderen Seite des Beichtstuhls herrschten. In den kirchensteuerfreien USA hat ein Geistlicher die Kirchenbesucher und Kirchenbesucherinnen nach dem Gottesdienst per Handschlag verabschiedet, es fand im Anschluss ein gemeinsames Kaffeetrinken oder Ähnliches statt. Da schimmert schon eher ein bisschen Solidarität durch, ausgerechnet. Dies sind nur einige wenige Motivlagen, aus der Kirche auszutreten, eine vollständige Aufzählung der von der Kirche selbst gesetzten Gründe würde Seiten und mehr füllen. Soll sie halt was Anständiges tun, was einzelnen Kirchenvertretern gelingen mag, statt rumzujammern. Und als Allererstes vor der eigenen Haustür kehren, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen. Elisabeth Schmitt-Grünewald, Berlin
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