Reichsbürger:Eine allzu lange verharmloste Bedrohung

Reichsbürger: Die Bundesanwaltschaft hat am 7. Dezember mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen, darunter Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.).

Die Bundesanwaltschaft hat am 7. Dezember mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen, darunter Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.).

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Bei einer Razzia am 7. Dezember nehmen Sicherheitsbehörden 25 Verdächtige fest. Leser halten die Gruppierung für grundsätzlich gefährlich.

"Geladen" vom 15. Dezember, "Rollator-Putsch" vom 14. Dezember, "Diese Leute sind brandgefährlich für unsere Demokratie" vom 12. Dezember und "Sicherheitskräfte vereiteln Staatsstreich" vom 8. Dezember:

Gute Terroristen, böse Terroristen

Die Medien berichteten von einer Razzia in der Reichsbürgerszene. Den Mitgliedern dieses rechtsextremistischen Netzwerkes wird vorgeworfen, einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland vorbereitet zu haben. Unter den 25 Festgenommenen sind nicht nur eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin, ein Prinz und Immobilienunternehmer aus Frankfurt, sondern auch diverse Ex-Elitesoldaten und ein KSK-Mitarbeiter. Da die Gruppe wohl auch über Waffen verfügte, hätte es bei einem gewaltsamen Umsturzversuch sicher auch Tote gegeben. Diese Enthüllungen zeigen, dass unser Staat massiv von rechts bedroht wird, was seit Langem bekannt ist, was aber vor allem von den rechtslastigen Parteien wie CSU, CDU und FDP verharmlost und nie ernst genommen wurde. Im Zuge dieses Schmusekurses mit den rechten Bewegungen und der AfD konnten sich diese Netzwerke ungestört entwickeln. Auffällig ist, dass immer wieder staatliche Sicherheitskräfte involviert sind.

Wenn sich aber Klimaaktivisten auf die Straße kleben, gibt es immer wieder einen großer Aufschrei aus diesen Parteien. Dann droht die Welt zusammenzubrechen. Schärfere Gesetze sollen her und die jungen Leute am besten gleich in den Knast - politische Kriminalisierung von ungeliebten Oppositionellen, wie das schon in APO-Zeiten üblich war.

Conrad Fink, Freiberg am Neckar

Entlarvende Worte

Die Rede der AfD-Chefin Alice Weidel, die das Thema Reichsbürger als "Rollator-Putsch" bezeichnet, enthält zwei entlarvende Aussagen. Erstens eine Verharmlosung der Reichsbürgerbewegung, ihrer Rechtsorientierung, Gewaltbereitschaft und Nähe zur AfD. Zweitens eine hintergründig zutage tretende Herabsetzung von gangunsicheren, alten und behinderten Menschen, die auf einen Rollator zur selbstbestimmten Teilhabe am Gemeinschaftsleben angewiesen sind. Das ist in höchstem Maße zynisch, meinungsmanipulativ, demokratiefeindlich und menschenverachtend. Wann endlich werden solche Äußerungen, die das Antidiskriminierungsgesetz von 2006 verletzen, strafrechtlich verfolgt?

Prof. Dr. med. Andreas Zieger, Oldenburg

Verfassungsfeindlicher Sumpf

Nichts weniger als einen blutigen Staatsstreich in der Bundesrepublik haben braune Demokratiefeinde um die sogenannten Reichsbürger geplant, die jetzt durch die bundesweite Razzia an diesem Verbrechen gehindert wurden. Besonders beunruhigend ist, dass konkrete Hinweise auf verfassungsfeindliche Strukturen in Bundeswehr, Polizei und auch den Bundestag deuten. So soll eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD - eine heutige Richterin - auch zu den Verdächtigen gehören.

Noch hat sich ja der Rechtsstaat wehrhaft gezeigt, was unbedingt nötig ist. Der Vorgang verlangt jedoch weitere Konsequenzen. So ist die AfD offensichtlich noch tiefer in den verfassungsfeindlichen Sumpf verstrickt, als bisher angenommen. Ein Verbotsantrag gegen dieses von alten Nazis durchsetzte demokratiefeindliche Sammelbecken ist geboten, wenn wir diesen Staat mit seinem Grundgesetz, der besten freiheitlichen Verfassung, die es in Deutschland je gab, beschützen wollen. Die Feinde der Demokratie stehen mal wieder rechts, und dies fordert die Wachsamkeit aller Demokratinnen und Demokraten.

Manfred Kirsch, Neuwied

Alarmistisch

Die Schlagzeile "Sicherheitskräfte vereiteln Staatsstreich" ist alarmistisch und nicht der Gefahr angemessen. Es erinnert fatal an Chile, Argentinien oder Brasilien, wo ganz andere militärische Machtblöcke bestanden. Die Dimensionen von 25 beziehungsweise 52 Rädelsführern verdient nicht das bedrohliche Wort Staatsstreich. Aufmerksamkeit muss man haben für 500 Sympathisanten - und energisch dagegen vorgehen.

Jochen Bloss, München

Warum dürfen Querdenker das?

Jochen Kopelke schreibt über die "Letzte Generation", sie breche "bewusst Gesetze" oder teste "strafrechtliche Grauzonen aus". Genau das erlebe ich in Rosenheim seit Monaten bei den Demonstrationen der Querdenker. Vergangenen Winter haben sie sich wöchentlich mit Vorankündigung und - ich habe beim Ordnungsamt nachgefragt - ohne Anmeldung versammelt, um durch die Stadt zu ziehen. Ich habe Einsatzkräfte, die den Zug begleiteten, darauf aufmerksam gemacht, dass eine unangemeldete Demonstration stattfindet. Antwort: Das sei vom Polizeigesetz gedeckt. Mir stellt sich da die Frage: Wo bitte ist der Unterschied? Die Menschen behinderten in Rosenheim ebenfalls den Verkehr und sie kündigten an, es wieder zu tun. An der örtlichen Polizeidienststelle kann es nicht liegen, denn als eine Menschenkette zwischen Rathaus und Klinikum gebildet wurde, um auf die Situation der Pflegekräfte aufmerksam zu machen, waren die Auflagen so streng, dass es mehr Ordner pro Demonstrant geben musste, als der Betreuungsschlüssel für das Kinderturnen vorschreibt. Ich bleibe ratlos: Welche Kriterien werden in Bayern angewendet, und wo kann ich mich danach erkundigen?

Susanne Heunisch, Rosenheim

Waffenrechtsverschärfung

Die Reichsbürger dienen Nancy Faeser nun als Anlass zur Verschärfung des Waffenrechts. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber geht die reelle Bedrohung dieser Republik wirklich von den oft kleinbürgerlich und schräg wirkenden Reichsbürgern aus, denen man bedenkenlos die Hauptrollen in der "Muppet Show" überlassen könnte und die schon jetzt daran denken, was der mit ihnen sympathisierende Starkoch in ihrer neuen Reichsregierungskantine serviert? Vielleicht.

Unterschätzen darf man diese Leute sicher nicht. Schließlich haben Personen aus deren Umfeld bereits Morde begangen. Genauso wichtig wäre es aber, die mittlerweile erschreckende Alltagsgewaltkriminalität schnell und entschieden zu bekämpfen. Dazu gehört ein striktes Verbot von Hieb- und Stichwaffen, das auch durchgesetzt werden muss, denn Zahl und Brutalität der Messerattacken und sonstiger Rohheitsdelikte sind erschreckend. Da sollte die Bundesregierung genauso ansetzen, wie sie das nun mit dem Waffenrecht im Zusammenhang mit den Reichsbürgern vorhat.

Claus Reis, Schwabach in Franken

Vollzugsdefizit

Wenn man Reichsbürger entwaffnen wollte, stünden schon jetzt alle Möglichkeiten hierfür zur Verfügung. Denn nach einhelliger Rechtsprechung gilt diese Gruppe seit mehr als zehn Jahren als unzuverlässig. Hier ist kein Rechts-, sondern ein Vollzugsdefizit. Was bringen die strengsten Regelungen, wenn die Behörden sie nicht anwenden? Ein Beispiel: Der erstinstanzlich verurteilte Polizistenmörder von Kusel hatte seit 2020 keinen Jagdschein mehr, trotzdem ließ ihm die zuständige Behörde die Waffenbesitzkarte, mit der er Schusswaffen leihen konnte. Es ist ein bequemer Weg, wenn man, wie die saarländische Politik, umgehend eine Waffenrechtsverschärfung fordert, anstatt das Versagen der eigenen Behörden zu kritisieren.

Das geltende Waffenrecht sieht Anfragen bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Verfassungsschutz und beim Bundeszentralregister vor, bevor eine Erlaubnis erteilt wird. Weitgehend gläsern sind legale Waffenbesitzer also schon heute. Eine Nachjustierung wäre im Bereich der Vernetzung von Behördenwissen denkbar, wobei die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss. Anlasslose Regelanfragen bei Gesundheitsämtern sind abzulehnen, hingegen müssen Behörden befugt sein, konkrete Sachverhalte, die Anlass zu Zweifeln an der Staatstreue oder an der Eignung bieten, weiterzugeben. Statt sich diesen Baustellen zuzuwenden und die in der Koalition vereinbarte Waffenrechtsevaluierung voranzutreiben, fordert Bundesinnenministerin Faeser nun ein "Verbot von Halbautomaten" (also auch Pistolen). Sicherheitsgewinne sind ausgeschlossen, aber scheinbar sollen Pawlowsche Reflexe jener Waffengegner bedient werden, um deren Stimmen Teile der Koalition buhlen.

Dr. Michael Pießkalla, München

Ein peinlicher Heinrich

Ausgerechnet ein Nachkömmling aus dem Fürstentum der Reußen, den kleinsten Bundesstaaten des Deutschen Reiches, derer von Gera und Greiz. Sein Vorfahr Heinrich XXII. verteidigte einst vehement die Rechte der Bundesstaaten gegen eine zentralistische, preußisch gelenkte Reichsregierung. Ein Rebell, der sich querlegte, wo immer es ging. So fauchte er wütend gegen das Reichsseuchengesetz: "Der Entwurf des Reichsseuchengesetzes fordert meinen ganzen Unwillen heraus. Das fehlte uns gerade noch zur Glückseligkeit, daß die Medicinalpolizei in Reichshände überginge und auch noch auf diesem Gebiet die Schnüffelei, Stänkerei und Chicane ihren Einzug hielten. Dieses Gesetz wäre eine nutzlose Centralisationsmaßregel, wie sie widerwärtiger kaum erdacht werden möchte. Ich will nichts davon wissen, insbesondere nichts von einem Reichsgesundheitsrathe, nichts von Reichskommissaren, nichts von Anordnungen des Reichskanzlers an Landesbehörden! Greiz, den 8. Februar 1893." Heinrich XXII. stimmte gegen das Sozialistengesetz, gegen Kriegskredite für eine "internationale Expedition" gegen China, die man nicht Krieg nennen durfte. Er tat es! Seine Landesfarben waren Schwarz - Rot - Gold.

Ein Rebell, ein wertkonservativer, aber standhaft, und ein authentischer Gegner des Reiches. Und nun das: Ein Reichsreaktionär gleichen Namens will das alte Reich zurück. Welche Schande.

Dr. med. Ulrich Paschen, Fahrdorf

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung, gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de. Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: