Süddeutsche Zeitung

Regierungsaufgabe:Bildung besser wertschätzen

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Im Wahlkampf hat das Thema kaum eine Rolle gespielt. Dabei wäre es wichtiger denn je. SZ-Leserinnen und -Leser fordern größere zentrale Anstrengungen des Bundes und weniger Länder-Partikularismus.

Zu "Arm im Geiste" vom 2. Oktober:

Ach!

Michael Krüger beklagt in seinem Artikel zu Recht, dass es im Wahlkampf an keiner Stelle um Bildung und Kultur ging. Für mich gehört in besonderer Weise die Wissenschaft dazu, da nicht nur ihre Produkte (Chips, Smartphones), sondern auch das dazugehörige Weltbild die Gegenwart und die sich darin auslebende Gesellschaft prägt.

1970 - lang, lang ist es her - da erschien im Suhrkamp-Verlag die Reihe "suhrkamp wissen", nicht zu verwechseln mit der Reihe "Suhrkamp Wissenschaft". Jene hält sich vom Naturwissenschaftlichen fern und blüht noch, während das kleine "wissen" mit seinen Planeten und Proteinen krachend gescheitert ist, was einen Blick lohnt. Als "suhrkamp wissen" angekündigt wurde, hieß es, "schon heute steht die Mehrheit der Menschen den Problemen der Naturwissenschaft verständnislos, ratlos gegenüber. Man spricht von einer Bildungskatastrophe". Sie ist nicht nur gekommen, sie hat schlimmer gewütet, als viele meinen.

Eine Generation nach dem ausgeschlagenen Angebot "suhrkamp wissen" meinten die deutschen Forschungsorganisationen, endlich etwas tun zu müssen, um auf die Suhrkamp-Diagnose zu reagieren, und so startete man die Initiative "Public Understanding of Science", die zwar den Versuch zu einer "Wissenschaft im Dialog" ins Leben gerufen hat, die aber beide vollständig misslungen sind. Wer das nicht glaubt, braucht nur die Ankündigung zu lesen, mit der das Herausgebergremium des "Kursbuchs" im Jahre 2021 den Eintritt einer Physikerin begründet: "Wir stehen derzeit vor einer Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen, die ganz entscheidend den Transfer wissenschaftlichen Wissens in die Öffentlichkeit verlangen", wie das bislang hilflose Soziologenteam schreibt. Und während dies zu lesen ist, lädt die Friedrich-Ebert-Stiftung, die eine eigene Abteilung für "Bildung und Wissenschaft" hat, für den 1. Oktober zur Vorstellung einer Studie ein, in der es um die Frage geht: "Wissenschaft für das Allgemeinwohl, die Wirtschaft oder die Politik?" Wem das schon ziemlich ungebildet vorkommt, dem wird bei dem begleitenden Text noch übler. Hier kann man lesen: "Wissenschaft hat Konjunktur", und zwar deshalb, weil nur sie "einen Ausweg aus der Jahrhundertkrise der Corona-Pandemie" zeigen kann. "Ach!", würde Loriot sagen, ohne zu ahnen, dass nach diesem lächerlichen Auftakt noch ein höchst erschreckender Satz kommt: "Gleichzeitig ist Wissenschaft für viele ein unbekanntes Terrain", wie zu lesen ist, und die meisten Menschen "wissen wenig darüber, wie sie funktioniert".

Wohlgemerkt - das schreiben Menschen, die für Bildung zuständig sind, ein halbes Jahrhundert, nachdem die Suhrkamp-Macher der Öffentlichkeit attestiert haben, bei Themen der Wissenschaft verständnislos, ratlos und dann auch hilflos zu sein. Witzigerweise hört man aus Kreisen, die sich gerne wissenschaftskritisch nennen, obwohl sie nur die Kunst praktizieren, es nicht gewesen zu sein, den Vorwurf, die Wissenschaft verstecke sich in einem Elfenbeinturm. Darauf kann man genüsslich mit Gustave Flaubert antworten: "Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben, aber ein Meer von Scheiße schlägt an seine Mauern, genug, um ihn zum Einsturz zu bringen." Es wird den Deppen bald gelingen. Sie halten genug Scheiße in der Hand.

Prof. Dr. Ernst Peter Fischer, Heidelberg

Bildung als Rüstzeug

Nicht nur Bildung fehlte als Thema im Wahlkampf, sondern auch Aufrüstung und Waffenexporte. Die Antwort auf dieses Problem gab Elizabeth Currid-Halkett im SZ-Interview vom 1. Oktober 2021: "Wenn wir nur einen winzigen Bruchteil dessen, was wir für Verteidigung ausgeben, in die Bildung stecken würden, könnten wir die meisten Probleme lösen."

Artur Borst, Tübingen

Heilig's Bleche

Der Autor spricht mir aus dem Herzen! Als pensionierter Lehrer (Grund- und Hauptschule, Bayern) kann ich nur beipflichten. Als idealistischer 68er hatte ich mich 1970 an der Uni eingeschrieben, um die Welt der Kinder zu verbessern. Ich könnte seitenweise schildern, wie mir meine Illusionen Stück für Stück abhandenekommen sind. Von wegen Kultur als hohes Gut: Man muss sich nur die Galerie der bayerischen (Schul-)Kultusminister seit dieser Zeit ansehen und dann versuchen, Wut und Tränen zu unterdrücken. Der Jetzige macht es leider auch nicht besser: Herumeiern und -wursteln auf hohem Niveau. Das zeigt, leider nicht nur in Bayern, welchen Stellenwert die Förderung unserer Jugend für die Politiker besitzt.

Man braucht sich nur die Löhne eines Bandarbeiters in der Automobilindustrie und die Gehälter von Erzieherinnen und Erziehern oder Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern ansehen und vergleichen: "Heilig's Bleche" ist mehr wert. Was ich aus meinen Erfahrungen gemacht habe? Eigeninitiative ergriffen und nach meinen Möglichkeiten Lösungen gesucht und realisiert. Das würde wieder Seiten füllen. Dafür habe ich zum Teil Lob, aber auch heftige Schelte unseres CSU-Bundestagsabgeordneten erhalten. Ceterum censeo: Die Kultusministerien der Länder sollten abgeschafft oder zumindest beschnitten und dem Bund zugeordnet werden. Rechtschreibung, Fremdsprachen und Naturwissenschaften sollten in allen Bundesländern gleich unterrichtet werden. Ist ja wohl überall gültig, oder nicht? Dazu braucht es keine unterschiedlichen 16 Lehrpläne und keine teuren, weil in den einzelnen Ländern eigens zugelassenen Unterrichtsmaterialien. Die Ersparnismöglichkeiten sind enorm.

Julius Ullmann, Sengenthal-Buchberg

Oben, unten, seitlich, rückwärts

Bezüglich des oberflächlichen, unglaublich redundanten und simplifizierenden Informationsmülls, der einen nicht nur zu Wahl-Zeiten überflutet, gebe ich Michael Krüger völlig recht. Aber seien Sie mal bitte ganz ehrlich: Verstehen Sie den Satz des Soziologen Nassehi: dass die "Kulturentwicklung eine Bewegungsrichtung annimmt, die in immer abstraktere und damit unübersichtliche Formen sozialer Kohäsion mündet, womit die Anforderungen an den Einzelnen durch die Kultur, durch ein starkes Über-Ich größer werden"?

Welche der vielen Kulturen in unserer pluralistischen Gesellschaft schlägt eine, also, eine einzige, Bewegungsrichtung ein? Bewegung? Wohin? Nach oben, nach unten, seitlich, rückwärts? Welche immer abstrakteren und komplexere Bindungskräfte (Kohäsion) innerhalb unserer Gesellschaft ergeben sich daraus? Welche Anforderungen an den Einzelnen durch die angebliche eine Kultur werden größer? Hat diese angeblich eine Kultur oder der Einzelne ein "starkes Über-Ich"? Nun, Freud muss für vieles herhalten und ich beschäftige mich mit den verschiedenen psychotherapeutischen Schulen seit meinem 16. Lebensjahr. Gesellschaftliche, gesellschaftspolitische sowie gesellschaftsphilosophische Überlegungen (Gellner, Arendt) sind mir auch nicht ganz fremd, aber ich verstehe dieses Zitat nicht. Aber vielleicht hat das Schulversagen bereits in meiner Schulzeit begonnen.

Dr. med. Thomas Lukowski, München

Zersplitterte Gesellschaft

Bei der Lektüre des Artikels von Michael Krüger kamen mir noch ganz andere Gedanken zum Thema Gesellschaft. Es gibt so viele Fragen, und zu jeder Frage gibt es unendlich viele Antworten. Die Menschheit zersplittert immer mehr in Kleinstgruppen, vielleicht sogar in Individualisten. Wenn man Einzelpersonen fragt, was wichtig ist, antwortet ein Großteil der Befragten mit ganz persönlichen Wünschen und Überzeugungen. Es geht nur noch darum, was für den Einzelnen wichtig ist, der Einzelne sieht nur sich. Warum sieht er (auch sie) nicht die Gesellschaft? In ihr muss er (sie auch) schließlich leben. Aber der Einzelne denkt, ich will ein Stück vom Kuchen, nur ein kleines.

Corinna Hahn, Böblingen

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Quelle:
SZ vom 11.10.2021
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