Süddeutsche Zeitung

Sitzmöbel:Stühle aus Joghurtbechern

Möbel aus recyceltem Plastik sind en vogue. Doch ob sie tatsächlich nachhaltig sind, hängt noch von weiteren Faktoren ab.

Von Martina Kind

Jeder kennt den "Monobloc", der aus einem einzigen Stück Plastik besteht und der ein überaus trauriges Dasein als anspruchslose Sitzgelegenheit an den Imbissbuden, Eisdielen und Vereinsheimen dieser Welt fristet. Bei dem milliardenfach verkauften weißen Plastikstuhl dürfte wohl kaum einer die Frage wagen: Sitzen Sie gut? "Der Monobloc wird als hässlich und billig angesehen, und man ist sich einig, dass seine weitverbreitete Verwendung unseren Planeten verschmutzt", sagt der deutsche Designer Konstantin Grcic. Und doch, man kann durchaus gut auf einem Monobloc sitzen, auch mit gutem Gewissen - wenn er aus voll recyceltem und recycelbarem Kunststoff besteht.

So wie der "Bell Chair", den Gcric auf Anfrage für das norditalienische Designunternehmen Magis entworfen hat. Begeistert von der Idee einer Neuinterpretation des Monoblocs war er anfangs indes nicht. Braucht die Welt wirklich noch einen Plastikstuhl? Überzeugen konnte ihn letzten Endes der Werkstoff: ein zu 100 Prozent recyceltes Polypropylen, hergestellt aus den Kunststoffabfällen der eigenen Magis-Produktion und lokalen Automobilindustrie. Außerdem gebe es eben "einen Bedarf an Stühlen, die sowohl erschwinglich als auch vielseitig einsetzbar sind", während die Produkte auf dem Markt dazu neigten, entweder billig oder zu exklusiv zu sein.

Für 77 Euro ist der "Bell Chair", die nachhaltige Variante des verpönten Klassikers, nun also in drei Farben zu haben, schwarz, weiß und orange; mit seinem Gewicht von 2,7 Kilogramm ist er laut seinem Designer nur halb so schwer wie der durchschnittliche Armlehnstuhl - entsprechend weniger Energie verbraucht er in der Herstellung. "Die Verantwortung des Designs endet aber nicht mit dem Produkt selbst", betont Gcric. Demnach entwickelte die Designfirma Magis ein Logistikkonzept für den Stuhl, um zusätzliche Ressourcen zu sparen. Dazu gehört eine speziell konstruierte wiederverwendbare Lieferpalette, die bis zu 24 Stühle sauber stapeln kann. "Dadurch wird weniger Verpackungsmaterial verbraucht und die vertikale Stapelung reduziert den Platzbedarf beim Transport."

Auch, was einst als Shampoo-Flasche in den Badezimmerschränken oder als Joghurtbecher in den Kühlschranken der deutschen Haushalte lagerte und später achtlos im Gelben Sack landete, kann sich irgendwann in einen 280 Euro teuren Stuhl verwandeln. So besteht der schon im Jahr 2011 von den Briten Edward Barber und Jay Osgerby für Vitra designte Schaukelstuhl und vollständig recycelbare "Tip Ton RE" aus aufbereitetem Haushaltsmüll, der direkt aus der kommunalen Abfallentsorgung in Deutschland stammt. "Nach der Aussortierung von Metallen und Verbundmaterialien wird das Plastik geschreddert, gereinigt und zu einem Mehrweggranulat verarbeitet", erklärt Christian Grosen, Chief Design Officer bei Vitra.

Weil die natürliche Farbe des Recylingwerkstoffs ein dunkles Grau ist, und man auf den Einsatz von Farbstoffen habe verzichten wollen, gibt es den "Tip Ton RE" ausschließlich in dem Anstrich, aber mit winzigen Einsprengseln, die von Stuhl zu Stuhl variieren können. "Durch diese kleinen Unterschiede ist jeder Stuhl eine Persönlichkeit. Das ist wie bei einem Stück Holz, bei dem die Struktur etwas über die Wachstumszyklen des Baumes aussagt", sagt Grosen.

Etwa 3,6 Kilogramm recyceltes Polypropylen wird bei der Produktion des Schaukelstuhls, der sich um einige Grade nach vorne neigen lässt, fällig; zu seinem Besitzer kommt er in einem wiederverwertbaren Karton. Laut Grosen ist die Nachfrage nach dem "Tip Ton RE" groß; bei Vitra arbeite man daher aktuell an weiteren Produkten aus upgecyceltem Plastikmüll. Eines davon könnte womöglich aus der Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern des Schweizer Elite-Internats "Institut auf dem Rosenberg" entstehen; dort forschen die Jugendlichen in einem Workshop zu nachhaltigem Produktdesign mit dem Vitra-Team an neuartigen und nachhaltigen Materialien.

Nicht alle können sich mit einem Kunststoffstuhl anfreunden, so umweltverträglich er sein mag. Für das Münsteraner Unternehmen Conmoto hat Werner Aisslinger den "Chairman"-Stuhl designt, bei dem zumindest die Sitzschalen aus einem vollständig recycelbarem Material gefertigt sind, während das Untergestell wahlweise aus Eiche oder Metall besteht. "Wir experimentieren im Studio schon seit einigen Jahren mit nachhaltigen, kompostierbaren und recyclebaren oder upcyclebaren Materialien", sagt Aisslinger. Formfleece sei dabei eine relativ junge Technologie, die durch das Recycling von PET-Flaschen möglich wurde und im Vergleich zu Verformungsverfahren aus erdölbasierten Kunststoffen sehr viel günstigere 3D- verformte Shapes ermögliche - so auch bei Sitzschalen, wie der Berliner Designer erklärt.

"Cradle to Cradle" nennt sich das Designprinzip - Wiege zu Wiege -, bei dem alle Ressourcen irgendwann wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. Neben Werkstoffen, die upgecycelt und recycelt werden können, experimentieren immer mehr Designer mit neuen Materialen, die Kunststoffe oder Metalle ersetzen sollen. Auf den Ausstellungen dieser Welt sei er in den vergangenen Jahren immer öfter auf beeindruckende Ideen und Entwicklungen gestoßen, erzählt Aisslinger. "Wir leben gerade in einer spannenden Zeit, in der Lederersatz aus Ananasblättern gefertigt wird oder Verbundplatten aus Muschelresten der Fischereiindustrie."

Wie nachhaltig ein Möbel ist, hängt von vielen Faktoren ab

Wie nachhaltig ein Möbelstück tatsächlich ist, hängt von mehreren Faktoren ab, erklärt Matthias Held, Professor für Design an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd. Neben dem Werkstoff an sich spielten die Funktionalität, Stabilität und Haltbarkeit des Möbels, eine schadstoff- und emissionsarme Herstellung, aber auch die Ästhetik und die Frage, wie es sich reinigen lässt, eine Rolle.

So sei ein weißer Stuhl, der schnell schmutzig werde und schwer zu reinigen sei, in Hinblick auf die Nachhaltigkeit ebenso problematisch wie einer, der ein zu extravagantes Design habe, an dem man sich womöglich schnell satt sieht. Zeitlos sollte das Design also sein. "Wenn ich jetzt einen Kunststoffstuhl aus recyceltem Plastik habe, dann mag das zwar erstmal gut klingen", so Held. Gehe der Einsatz des Materials jedoch auf Kosten der Haltbarkeit oder einer der anderen Kriterien, sodass der Stuhl bald wieder ersetzt werden müsse, dann sei er in der Gesamtbilanz schlechter zu bewerten.

Schließlich stelle sich die Frage, ob ein recycelbarer Stuhl wirklich in den Werkstoffkreislauf zurückgeführt werde, wenn er am Ende seiner Lebensdauer angekommen ist. "Da habe ich momentan noch meine Zweifel", sagt Held, der Jurymitglied des Bundespreises Ecodesign ist.

Ähnlich wie die Bundestagsfraktion der Grünen sich für eine Pfandpflicht auf ausgediente Smartphones und Tablets ausspricht, um gegen den Elektroschrott vorzugehen, schlägt Held dies auch für recycelbare Möbelstücke vor. "Irgendeine Form des Anreizes muss man schaffen." Denn künftig werde die Nachhaltigkeit im Möbeldesign und der -produktion zunehmend an Bedeutung gewinnen. "Es gibt inzwischen viele Bestrebungen in diese Richtung, wir sehen das zum Beispiel beim Bundespreis Ecodesign. Immer mehr Firmen bewerben sich mit nachhaltigen Produkten." Die Nachfrage sei definitiv da.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5262225
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/weka/mai
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.