Britisches Königshaus:Aus der Zeit gefallen

Britisches Königshaus: Eine Konstante in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist: Queen Elizabeth II. erlebte sieben Päpste und stand den 54 Staaten des Commonwealth vor.

Eine Konstante in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist: Queen Elizabeth II. erlebte sieben Päpste und stand den 54 Staaten des Commonwealth vor.

(Foto: Alastair Grant/AP)

Die Queen war entrückt vom Alltag. Und doch war sie festes Inventar desselben. Vielleicht haben sich ausgerechnet deshalb so viele Leserinnen und Leser für sie interessiert.

Von Claudia Fromme

Die Geschichte der Queen ist auch eine Geschichte der Keksdosen. Zu jedem ihrer vielen Jubiläen brachten britische Kaufhäuser eine neue limitierte Auflage heraus. Drinnen waren in der Regel schlichte Butterkekse, herrlich zum Tee, draußen gab es Kronen und Zepter. Zur Feier der Thronbesteigung vor 70 Jahren im Juni verkaufte Marks & Spencer eine silberne Keksdose in Form eines Karussells, in der eine Spieluhr verborgen ist. Zieht man sie auf, dreht sich das Kekskarussell mit der königlichen Garde, und es erklingt "God save the Queen". Meine Kinder lieben die Dose, sie ziehen sie auf, wieder und wieder, damit der royale Rummel immer weitergeht.

Elizabeth II. ist tot, das adelige Personalkarussell hat sich weitergedreht, nun regiert Charles III., auch in der Süddeutschen Zeitung. Von der Todesnachricht der Königin bis zu dem Abend elf Tage später, als sie dann beerdigt war, hatten Michael Neudecker und Alexander Mühlauer, die beiden Korrespondenten in London, kaum eine freie Minute. Flankiert von vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion schrieben sie kenntnisreich Zehntausende Zeilen, die unsere Leserinnen und Leser durchaus interessierten. In den ersten Tagen nach dem Tod der Queen war jeder vierte Text, den die Abonnentinnen und Abonnenten auf der Homepage lasen, einer, der sich mit dem Thema befasste. Für die gedruckte Zeitung gibt es keine Erhebung, die Erfahrung aus früheren Leserbefragungen deutet aber darauf hin, dass das Interesse mindestens genauso groß gewesen sein dürfte.

Die Queen einte die Nation in guten wie in schlechten Zeiten

Die Moderatorin Marietta Slomka leitete das Heute-Journal an jenem 8. September mit den Worten ein, dass die Nachricht vom Tod der britischen Königin für viele "ein Schock" gewesen sei. Natürlich war die Queen nicht unsterblich, aber es gab bei vielen Menschen tatsächlich diese irrationale Vorstellung, dass sie ewig weiterregieren könnte. Sie saß ja bereits seit 70 Jahren auf dem Thron. Und überhaupt: Sah sie bei den Feierlichkeiten zum Platinjubiläum im Juni nicht erstaunlich fit aus für ihre 96 Jahre?

Die Jubiläumskeksdose mit der Spieluhr illustriert den Grund des Schocks, wenn man ihn denn so nennen mag, sehr trefflich. Da ist die plötzliche Erkenntnis, dass sich das royale Karussell in der Form, wie viele es kennen, nicht mehr dreht, weil das Zugpferd nicht mehr da ist. Drei Generationen gab es, in ihrem Land, in der Welt, die kein Leben ohne Elizabeth II. kannten. Sie einte die britische Nation (die sich zuerst immer als Engländer, Schotten, Waliser und Menschen in Nordirland sehen, aber selten als großes Ganzes) in guten wie in schlechten Zeiten. Natürlich kann kein Monarch der Welt globale Krisen lösen. Aber die Queen sendete auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie 2020 eine Botschaft in den Lockdown: "We will meet again." Wir werden uns wiedersehen. Selbst Republikaner rührte die Ansprache. Wäre dem auch so gewesen, wenn Carl Gustaf von Schweden so gesprochen hätte? Oder Felipe von Spanien? Vermutlich nicht.

Einfach da zu sein, über Jahrzehnte, ist eine Eigenschaft, die man nicht unterschätzen sollte

Die britische Königin war entrückt vom Alltag, und doch war sie festes Inventar desselben. Es gibt eine Studie, die besagt, dass einer der häufigsten Träume der Briten war, dass die Queen spontan zum Tee vorbeikommt. Natürlich hat sie das nie getan, aber ihr öffentliches Bild war immer das einer Frau, die nie den Eindruck erweckte, etwas besseres zu sein als ihr Volk. Schon bei ihrer ersten Radioansprache anlässlich ihres 21. Geburtstags im Jahr 1947 beschrieb sie ihre zukünftige Rolle: "Ich erkläre vor Ihnen allen, dass ich mein ganzes Leben, ob es lang oder kurz ist, Ihrem Dienst widmen werde." Sie machte ihr Versprechen wahr.

Einfach da zu sein, über Jahrzehnte, ist eine Eigenschaft, die man nicht unterschätzen sollte. Das ist tatsächlich etwas, was an Königshäusern fasziniert. Sie sind Konstanten in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Das Hofzeremoniell mag veraltet anmuten, aber es ist auch ein beruhigender Gruß aus Zeiten, in denen Schnelligkeit nicht die höchste Maxime war. Und selbst diejenigen in der Redaktion, die finden, dass Königshäuser Inventar einer überholten Zeit sind, sahen die live übertragene Beerdigung der Queen. Der ganze historische und militärische Pomp inklusive ihres persönlichen Dudelsackspielers beeindruckte sie irgendwie doch.

Die Queen war die Konstante aller Konstanten, nicht nur, weil ihre Regentschaft so lange währte, sondern auch, weil ihr Wirkungskreis immens war: Sie war Königin von 15 Ländern, stand den 54 Staaten des Commonwealth vor. Sie hat sieben Päpste erlebt, und war ihnen in Gestus und Habitus oft näher als all die anderen gekrönten Häupter Europas. In den Niederlanden kann man zum Königstag Selfies mit Willem-Alexander machen, er hat das Amt von seiner Mutter Beatrix übernommen, als sie es sich nicht mehr zumuten wollte. Undenkbar bei Elizabeth II. Sie fühlte sich von Gott legitimiert, nur er konnte sie abberufen. Zwei Tage vor ihrem Tod ernannte sie noch Liz Truss zur neue britischen Premierministerin. God Save the Queen.

Blickt man nach London, wirkt ja wirklich alles aus der Zeit gefallen

Starker Tobak für die aufgeklärten Leserinnen und Leser der Süddeutschen Zeitung. Nachfrage in der Leserbriefredaktion: Wie ist die Stimmung? Viele, so ist zu erfahren, lobten die breite Berichterstattung, die auch das koloniale Erbe und die historische Schuld der englischen Krone nicht ausklammere. Manche erinnerten sich persönlich, so wie Leser K. aus Weiden: "Ich bin kein Anhänger der Monarchie, aber die englische Königin habe ich bereits zu meinen Schulzeiten, als die Sex Pistols sie mit ,God save the Queen' gewaltig aufs Korn nahmen, gemocht. Sie war auch in stürmischen Zeiten ein Fels in der Brandung." Für die Kritiker, und davon gab es tatsächlich sehr wenige, sei Leser T. aus Jüchen genannt. Er fand, dass der Königin "zu viel Raum in der SZ" eingeräumt wird, insgesamt werde "ein royaler Kitsch in den Medien verbreitet, als wenn wir noch im Mittelalter lebten". Der Tod Putins wäre für uns wichtiger, aber der würde nicht so breit abgehandelt, so seine Mutmaßung. Eine Meinung, die auch Leserin R. aus München teilte, sie wolle weniger "Gedöns", dafür "wieder mehr über die anderen, drängenderen Themen in der Welt lesen". Leser B. aus Schwerte schickte ein Gedicht mit dem Titel "Rest in Peace": "Sehr sehr schade, dass Queen Elizabeth II. nun ist tot, // ihr treues Volk deshalb aber nicht wird geraten in Not. // An der Himmelspforte das Zepter sie hat abgegeben, // auch ohne Monarchie die Briten könnten prima leben."

Britisches Königshaus: Wie aus der Zeit gefallen: Mitglieder des britischen Königshauses während einer Militärparade in London.

Wie aus der Zeit gefallen: Mitglieder des britischen Königshauses während einer Militärparade in London.

(Foto: Frank Augstein/AP)

Blickt man nach London, wirkt ja wirklich alles aus der Zeit gefallen. Besonders von Deutschland aus, wo die Monarchie 1918 abgeschafft wurde. Und doch interessieren sich viele insbesondere für das britische Königshaus, auch, weil es viele deutsche Wurzeln hat. Der Ururgroßvater der Queen war Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, ihre Ururgroßmutter, Königin Victoria, entstammt der Dynastie der Welfen, der deutsche Kaiser Wilhelm II. war ihr Enkel. Prinzgemahl Philips Mutter Alice war eine geborene von Battenberg, die nach Griechenland geheiratet hatte. Das Verhältnis Großbritanniens und Deutschlands war lange sehr schlecht, nicht ohne Grund, dann aber gut. Bundeskanzler Olaf Scholz hob nach dem Tod der Queen ihren "Einsatz für die deutsch-britische Aussöhnung nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges" hervor.

Das Märchenhafte hat im Alltag der Bundesrepublik keinen rechten Platz

Von Deutschland aus gesehen sind die Königshäuser der anderen Länder Europas eine feine Sache: Man kriegt den ganzen Pomp frei Haus, wird aber von den Nickeligkeiten des Tagesgeschäfts und nationalen Krisen nicht behelligt. Auch kostet der Glanz keine Steuergelder, Unterhalt für die Königsfamilie müssen die echten Untertanen zahlen. Gerne schauen in diesem Land viele auf die großen Hüte von Ascot, die Krönchen und Kutschen und den Wachwechsel der Bärenfellmützen vor dem Buckingham Palace; das eigene politisches Personal wartet doch eher nüchtern auf. Jedenfalls trägt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier keine Paradeuniform, Kanzler Olaf Scholz fährt nicht in einer goldenen Kutsche herum, und am Einheitstag wurde auch noch keine Ministerin mit einem Diamantencollier gesichtet.

Das Märchenhafte hat im Alltag der Bundesrepublik keinen rechten Platz, und ein bisschen davon möchten auch die klugen Leserinnen und Leser der Süddeutschen Zeitung zuweilen, gerade jetzt, da die Zeiten trüb sind. Aber, abgesehen von historischen Großereignissen wie dem Tod der Queen, wohldosiert. Royals sind Stammgäste in der Leute-Spalte im Panorama, wobei die Briten dort wesentlich häufiger auftauchen als die anderen europäischen Adeligen. Natürlich kennen alle Königin Silvia von Schwedens deutsche Wurzeln, natürlich hegen viele Sympathien für die kettenrauchende Margrethe von Dänemark - aber die großen News, die dann zu größeren Geschichten in der SZ führen, produzieren die Briten.

Sich den Frust über das eigene Königshaus von der Seele zu reden, wie Prinz Harry und seine Frau Meghan es vor einiger Zeit in einem Interview mit der US-Moderatorin Oprah Winfrey taten, könnte man sich bei Prinzessin Märtha Louise von Norwegen oder Prinzessin Cristina von Spanien nicht vorstellen. Sie wissen gar nicht, wer das ist? Absolut in Ordnung. Ihr Rang ist in ihren Ländern dem Harrys sehr ähnlich, aber wenn das Oberhaupt der britischen Royals 15 Ländern und den 54 Staaten des Commonwealth vorsteht, dann hat es doch mehr Relevanz, wenn Familienangehörige öffentlich zu Hause Kaltherzigkeit und Rassismus verorten.

Die meisten, auch in Deutschland, haben Elizabeth II. als ältere Dame kennengelernt, als eine Frau mit viel Lebenserfahrung, auf die man sich verlassen kann, während in ihrer Familie so mancher Skandalsturm tobte. Sie kommentierte nichts von größerer politischer Tragweite, das betraf auch die Krone als Institution, obwohl viele von ihr erwartet hatten, sich deutlich zur Kolonialgeschichte des britischen Königshauses zu verhalten. Sie tat es nicht, sie saß das aus. Sie war der archetypischen Märchengestalt der guten Großmutter nicht unähnlich, und zuträglich war diesem Image sicherlich auch, dass man gar nicht so viel über sie wusste, schon gar nicht, was sie dachte. Mit Charles III. wird sich dieses Verhältnis versachlichen. Das muss nicht unbedingt schlecht sein.

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