Pränataldiagnostik:Eltern - schlecht beraten

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Wie kann es passieren, dass Eltern ein behindertes Kind zur Welt bringen und sich anschließend darüber beschweren? Das liegt auch daran, dass Ärzte Eltern zu selten an psychosoziale Beratungsstellen verweisen.

In seinem Artikel "Daumen hoch" vom 27./28. Februar fragt Michael Neudecker, was schiefläuft in unserer Gesellschaft, wenn Eltern vor Gericht ziehen, weil die Behinderung ihres Kindes im Mutterleib nicht erkannt wurde. Als Mitarbeiterin einer psychosozialen Beratungsstelle zu Pränataldiagnostik habe ich darauf zwei Antworten:

1. Eltern von Kindern mit einer Behinderung bekommen nach wie vor zu wenig gesellschaftliche Unterstützung, und zwar sowohl in finanzieller als auch praktischer Hinsicht. Der erhöhte Betreuungs- und Förderungsbedarf für das Kind führt nicht selten zu eingeschränkter Berufstätigkeit zumindest bei einem Elternteil. Wenn schon die Gesellschaft sich nicht ausreichend verantwortlich zeigt, liegt für manche Eltern offensichtlich die Idee nahe, nach anderen Verantwortlichen zu suchen - und sei dies der Pränataldiagnostiker, der angeblich seinen Job nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat. Ich finde dies absolut nicht richtig, aber aus Sicht der betroffenen Eltern doch irgendwie verständlich. 2. Die Pränataldiagnostiker, die meiner Erfahrung nach im Zweifelsfall eher zu mehr als zu weniger Abklärung mithilfe von weiterer Diagnostik raten, verweisen in der Tat immer noch viel zu selten Patientinnen an die psychosozialen Beratungsstellen - obwohl das Gendiagnostikgesetz dies auch vor Inanspruchnahme einer Diagnostik vorsieht. Die Frage, ob und, wenn ja, welche vorgeburtlichen Untersuchungen in Anspruch genommen werden sollen, ist für die Eltern ja keineswegs nur eine medizinische. Die psychosoziale Beratung übernimmt genau diese im Artikel geforderte "Lotsenfunktion" durch das mittlerweile schwer überschaubare Angebot der Pränataldiagnostik. Und zeigt dabei auch die möglichen Risiken und Konsequenzen der Diagnostik auf: Eltern können dadurch in eine Situation kommen, sich gegen das Leben eines gerade noch erwünschten und möglicherweise schon lebensfähigen Kindes zu entscheiden. Richtig ist: Der medizinische Fortschritt ist nicht mehr zu stoppen. Aber parallel dazu braucht es Aufklärung über die individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen von Pränataldiagnostik. Der gesellschaftliche Diskurs hinkt hier noch weit hinterher, doch ist der Artikel ein guter Beitrag dazu. Vielen Dank dafür! Kirsten Hellwig, Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. München

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© SZ vom 07.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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