Gesundheitsimmobilien:Pflegeheim als Renditeobjekt

Gesundheitsimmobilien: Beschwerden über gravierende Mängel in der Pflege haben zuletzt nicht immer zu Verbesserungen geführt. Eine neue Anlaufstelle des Freistaats soll schnellere Abhilfe schaffen.

Beschwerden über gravierende Mängel in der Pflege haben zuletzt nicht immer zu Verbesserungen geführt. Eine neue Anlaufstelle des Freistaats soll schnellere Abhilfe schaffen.

(Foto: Tom Weller/dpa)

Private Investoren erobern den deutschen Gesundheitsmarkt - manche wittern das große Geschäft. Was bedeutet das für die Versorgung der Senioren?

Von Marianne Körber

Corona hat Lücken gerissen, in den Familien und in den Alten- und Pflegeheimen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts starben in Deutschland mehr als 80 000 Menschen an oder mit der Viruserkrankung, davon schätzungsweise mindestens 29 000 in Heimen. In Bayern war seit Beginn der Pandemie bis Januar 2021 fast jeder zweite Corona-Tote ein Bewohner oder eine Bewohnerin einer stationären Pflegeeinrichtung.

So mancher Unternehmer, der Seniorenheime betreibt oder gerade neue bauen möchte, beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Denn in der Pandemie sind nicht nur viele ältere Menschen gestorben, viele zögern auch, in ein Heim zu gehen. Und es sind nicht wenige, die in diesem Markt agieren: Laut Statistischem Bundesamt gab es 2019 in Deutschland 15 380 Pflegeheime mit 969 553 Plätzen. Davon waren 6570 in privater Trägerschaft, doppelt so viele wie vor 20 Jahren.

Die anhaltende Privatisierung der Pflegeheime wird befeuert durch die Niedrigzinspolitik der EZB, die Investoren in einen Anlagenotstand getrieben hat, außerdem durch die Zunahme des Seniorenanteils in der Bevölkerung. Die Nachfrage nach Pflegeheimplätzen wird weiter steigen, rechnen Branchenexperten immer wieder vor. Deutschland braucht bis zum Ende dieses Jahrzehnts jährlich zwischen 210 und 390 zusätzliche Pflegeheime, heißt es beim Zentralen Immobilien Ausschuss ZIA, der bei der International Real Estate Business School (IREBS), Teil der Uni Regensburg, eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben hatte.

Professionelle Anleger wie Fonds, Versicherungen und Private-Equity-Firmen aus dem In- und Ausland haben das vernommen und investieren kräftig. Die Käufe und Verkäufe von Pflegeheimen sind laut Immobiliendienstleister CBRE auf Rekord-Niveau. 2020 stieg das Transaktionsvolumen mit deutschen Gesundheitsimmobilien - Alten- und Pflegeheime, Häuser mit betreutem Wohnen, Versorgungszentren, Ärztehäuser, Reha-Einrichtungen und Kliniken - um 61 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro. Pflegeheime hatten daran einen Anteil von 72 Prozent.

Wo der Staat sich heraushält, wittern manche das große Geschäft

Jüngster Coup war die Übernahme von 19 deutschen Pflegeheimen durch die belgische Aedifica, ein börsennotiertes Unternehmen, das sich auf Investitionen in europäische Gesundheitsimmobilien spezialisiert hat. Aedifica investierte für die Heime der bundesweit agierenden Azurit-Gruppe 245 Millionen Euro. Das Unternehmen baut aber auch selbst - mit der Begründung, dass von staatlicher Seite in den Ländern Europas zu wenig getan wird, um die wachsende Nachfrage zu decken. Private Betreiber und Behörden verließen sich darauf, dass Investoren die Immobilien erstellten und finanzierten, heißt es auf der Homepage des Konzerns.

Neben Aedifica sind unter anderem auf dem Markt aktiv: Cofinimmo (ebenfalls belgisch, erwirbt, entwickelt und verwaltet Mietobjekte, Wert des Gesundheitsportfolios in Deutschland 597 Millionen Euro), Threestones Capital (Investmentgesellschaft mit Sitz in Luxemburg, letzte große Transaktion: der Verkauf eines Pflegeheimportfolios an Swiss Life Asset Managers für 425 Millionen Euro, (bestehend aus 27 Gesundheitsimmobilien in ganz Deutschland), die Deutsche Wohnen (hält Pflegeimmobilien mit 10 600 Pflegeplätzen und Apartments für betreutes Wohnen) und INP Invest (in Hamburg ansässiger Fondsanbieter).

Auch die schwedische Hemsö gehört zu den größten Investoren in der Pflege (besitzt, verwaltet und entwickelt Objekte für Altenwohnen, größter Mieter ist die AWO Hessen-Süd, geplant ist der Erwerb weiterer Altenpflegeheime in Deutschland), ebenso Carestone (bezeichnet sich als hierzulande führender Entwickler und Anbieter von Seniorenwohn- und Pflegeimmobilien, verkauft auch Pflegeapartments an kleine Privatanleger) sowie die Hamburger Magna Care (entwickelt, plant und baut Immobilien rund um das Thema Wohnen im Alter). Selbst amerikanische Firmen steigen jetzt in den deutschen Markt ein; die Beteiligungsgesellschaft I Squared Capital aus Miami erwarb 2020 über ihre französische Tochter Domidep, einem der größten privaten Betreiber von Altenpflegeheimen in Europa, den im rheinland-pfälzischen Schifferstadt ansässigen Betreiber Römergarten.

Es wird gebaut, aber selten von kommunalen Trägern

Das große Interesse am Pflegemarkt spiegelt sich auch in den Bauaktivitäten. Das Internetportal Pflegemarkt.com listet für den Zeitraum November 2017 bis April diesen Jahres 210 aktuelle Pflegeheimprojekte auf, mit 16 564 Betten. "Wenig überraschend befinden sich die meisten im Bau befindlichen Objekte auch in unserer aktuellen Erhebung in privater Hand (63 Prozent). 34 Prozent der Einrichtungen werden von gemeinnützigen Organisationen errichtet, nur drei Prozent von kommunalen", schreibt Yannic Borchert, Autor von Pflegemarkt.com.

Der Run auf den Pflegemarkt mag verwundern, denn der weist im Vergleich zu anderen Gewerben einige Besonderheiten auf: Er ist unübersichtlich, kleinteilig und stark reguliert. Die Regeln für den Bau und Betrieb von Pflegeheimen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland, mal ist in Neubauten eine Einzelzimmerquote von 75 Prozent vorgeschrieben (Bayern), mal von 100 Prozent (NRW). Als Zimmermindestgröße können 14 Quadratmeter vorgeschrieben sein (NRW), 22 (Baden-Württemberg) oder 14 Quadratmeter (Bayern). "Das Fehlen bundeseinheitlicher Standards erschwerten und erschweren sowohl Betreibern und Investoren als auch Bewohnern und ihren Angehörigen die Vergleichbarkeit der Regelungen und Angebote", heißt es 2018 in der Studie "Pflegeheime in Deutschland, Zukunftsinvestment mit Renditevorteil" des Immobiliendienstleisters JLL.

Investoren, Projektentwickler und Betreiber betonen unisono ihre Verpflichtung der Menschheit gegenüber, wollen aber natürlich Geld verdienen. Aber wie viel ist das? Im ersten Quartal 2021 lagen die mit Pflegeheim-Transaktionen erzielten Spitzenrenditen bei vier Prozent, berichtet die Immobiliendienstleistungs- und Investmentfirma CBRE. Spitzenrendite, das bezieht sich auf die Anfangsrendite für Immobilien mit bester Qualität und Ausstattung in absoluten Spitzenlagen. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Spitzenrendite in den Top-7-Großstädten für Büroimmobilien lag bei 2,85 Prozent.

Und beim Betrieb der Heime? "Im bundesdeutschen Durchschnitt liegt die Nettoumsatzrendite eines Pflegeheim-Betreibers, also das Betriebsergebnis bezogen auf den Umsatz nach Abzug von Steuern, Zinsen und Miete bei rund 3 Prozent", berichtete Markus Bienentreu, Geschäftsführer von Terranus, Investoren und Betreibern von Sozialimmobilien, 2019 in einem "Faktencheck". Und fügte hinzu: "Vorausgesetzt, alle Parameter stimmen."

Das tun sie nicht überall, wie Zahlen aus dem Pflegeheim Rating Report 2020 vom RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zeigen: "Knapp 4 Prozent lagen 2017 im "roten Bereich" mit erhöhter Insolvenzgefahr, 24 Prozent schrieben einen Jahresverlust", heißt es dort. Jedes vierte Heim im Minus, das bedeutet auch weitere Konsolidierung auf diesem Markt.

Die französische Korian ist größter Betreiber in Deutschland - mit drei Prozent Marktanteil

Größter Betreiber von Pflegeheimen in Deutschland und in Europa ist ein französisches Unternehmen: die börsennotierte Korian-Gruppe. Sie hat in den vergangenen Jahren ständig Niederlassungen errichtet und Betriebe zugekauft, so in Deutschland die Unternehmen Evergreen, Sentivo, Helvita, Curanum, Casa Reha, Schauinsland und Qualivita. Insgesamt gehören 252 Pflegeeinrichtungen zu Korian. Weitere Übernahmechancen werden gern wahrgenommen: "Bitte sprechen Sie uns an, wenn Sie als Träger sich mit Verkaufsabsichten tragen", heißt es auf der Homepage von Korian Deutschland.

Trotzdem hat Korian hierzulande nur einen Marktanteil von etwa drei Prozent. Die 30 größten Betreiber kommen zusammen auf etwa 23 Prozent, errechnete Pflegemarkt.com. Doch die Anteile werden steigen, in den nächsten Jahren wird es zu weiteren Übernahmen und Zusammenschlüssen kommen, erwarten Experten.

Pflegeheim Curanum

Pflegeheim von Curanum in Karlsfeld bei München. Curanum gehört seit 2013 zum börsennotierten französischen Korian-Konzern.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das käme den Investoren entgegen, sie wünschen sich - sofern sie die Objekte nicht nur gleich mit Gewinn weiterverkaufen wollen - starke Betreiber. Außerdem, wie alle in der Immobilienbranche, günstige Baugrundstücke und niedrige Baukosten, um mehr Projekte umsetzen zu können. Bei Letzterem könnte eine Standardisierung helfen, wie das der Projektentwickler Cureus tut: Häuser bauen mit gleicher Größe, Anordnung und Ausstattung spart Kosten, ebenso die gebündelte Beschaffung etwa von Bodenbelägen oder Aufzugsanlagen. "Wir fangen nicht jedes Mal neu an, eine Immobilie zu entwickeln", so Cureus-Geschäftsführer Gerald Klinck vor Kurzem beim "Jahreskongress Wohnen und Pflege im Alter", einer Veranstaltung der Heuer Dialog GmbH.

Mehr Neubau käme auch den Senioren und ihren Familien entgegen, die bisher oft lange auf einen Heimplatz warten mussten. Sie wollen aber nicht irgendwo unterkommen, sondern in einer gut geführten und modernen Einrichtung, mit engagiertem Personal und zu bezahlbaren Kosten. Der durchschnittliche monatliche Eigenanteil, den Betroffene in Pflegeheimen aufbringen müssen, liegt nach Angaben des Verbands der Ersatzkassen bei 2068 Euro (Januar 2021, in NRW bei 2460, Sachsen-Anhalt 1465, Bayern 2078 Euro). Für viele ist das zu teuer, auch deshalb werden mehr als die Hälfte aller Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 2 bis 5 zuhause von ihren Angehörigen versorgt.

Private Akteure können den Pflegemarkt entlasten oder zusätzlich belasten. Sie können helfen, den Bedarf zu decken und das Wohnen im Heim bezahlbar zu machen. Investoren können Pflegeheime aber auch zum Spielball ihrer Interessen machen. Das Ausufern der Kosten zu verhindern ist Aufgabe der Politik; wohin Übertreibungen führen können, zeigt ein Blick in die USA. Dort sind inzwischen auch Hospize in den Fokus von Investoren geraten. Private-Equity-Firmen sorgten im ersten Quartal für ein Allzeithoch mit dem Kauf und Verkauf von Einrichtungen zur Sterbebegleitung.

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