Pflege:Das ganze System muss neu gedacht werden

Menschen sind keine Ware, meint ein Leser. Daher könne man den Gesundheitssektor auch nicht so behandeln wie andere Wirtschaftszweige. Andere Leser pflichten ihm bei.

Pflege: Mobilitätsfördernde Maßnahmen - Fehlanzeige: Pflegehausbewohnerin in Hamburg.

Mobilitätsfördernde Maßnahmen - Fehlanzeige: Pflegehausbewohnerin in Hamburg.

(Foto: dpa)

"Mangelwirtschaft" vom 14. Februar, "Kostenkrank" vom 9. Februar:

Menschen sind keine Ware

Pflege ist eine "Beziehungsdienstleistung" und die unterscheidet sich, ökonomisch betrachtet, dadurch von der Produktion von Waren, dass der sogenannte Leistungsempfänger kein Stück Metall oder Stoff, sondern ein Mensch ist, der selbst seinen Teil zur Leistung beiträgt, indem er den sogenannten Leistungserbringer zum Beispiel durch seinen Willen, gesund zu werden, unterstützt. Ähnlich wie in der Bildung - auch eine Beziehungsdienstleistung - die Lehrenden ihre Schüler nur unterrichten können, müssen die Schüler das Lernen selbst tun, damit eine "Bildungsdienstleistung" zustande kommt. In der Betrachtungsweise von Nikolaus Piper im Artikel "Kostenkrank" wird nicht unterschieden, da wird jede Art von Leistung als Ware betrachtet, die in unserem kapitalistischen System markttechnisch gehandhabt und dementsprechend mit Preisen versehen wird. Das Problem ist also nicht, dass "der modernen Gesellschaft Autos wichtiger sind als alte, bedürftige Menschen", wie Piper schreibt, sondern dass beide von der herrschenden Ökonomie und Politik unterschiedslos als Waren betrachtet werden.

Dass aus Therapie und Pflege und aus Medizinprodukten, Medikamenten und Krankenhausleistungen Gewinn gezogen werden darf und dieser ständig steigen soll, wird heute offenbar nicht mehr problematisiert. Deshalb ist das Gesundheitswesen krank und die "cost disease" ist nicht heilbar, wenn man weiterhin nur der Leitlinie der WTO folgt, dass alles, was Ware werden kann, auch Ware und damit "Wertschöpfer" werden muss, obwohl das Gesundheitswesen seiner gesellschaftlichen Funktion nach ein "Wertverbraucher" ist.

Die steigenden Verschreibungs- und Operationszahlen sind dann nur eine logische Konsequenz: Mehr "Warenverkauf" führt zu mehr Gewinn!

Dr. Gerhard Herz, Gröbenzell

Privatisierung - gescheitert

Nikolaus Piper irrt, wenn er von einer "Kostenkrankheit" im Dienstleistungsbereich und insbesondere in der privaten Pflege spricht. Unsere Gesellschaft leidet nicht an einer Kostenkrankheit, sondern am Kapitalismus, der möglichst hohe Gewinne bei maximal niedrigen Kosten erwirtschaften will. Deshalb wird den Menschen seit Jahr und Tag eingeredet, dass die Pflegerinnen und Pfleger in der Krankenhäusern und Pflegeheimen "nicht so produktiv", also unproduktiv sind. Die Produktivität in der Dienstleistung bemisst sich aber nach den Personalkosten. Sind die Personalkosten niedrig, sind die dort arbeitenden Menschen halt unproduktiv. Das gilt aber nur für das Pflegepersonal, nicht für Ärzte, nicht für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder von großen Pflege- und Krankenhauskonzernen und nicht für die Eigentümer von Pflegeeinrichtungen.

Solange wir es zulassen, dass sich mit Pflege und Gesundheitsarbeit viel Geld verdienen lässt, haben wir enorme Kosten, aber nicht die entsprechenden Leistungen. Eine Lösung wäre die Integration von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern in die Kommunalen Haushalte. Da müssten die vielen Beschäftigten in der Alten- und Krankenpflege nicht auch noch die horrenden Gewinne finanzieren. Der Trend der Privatisierung hat sich nicht bewährt. Er macht vielmehr die Menschen kaputt.

Ursula Schäfer, Berlin

Über Steuern besser finanziert

Die von Nikolaus Piper ganz zu Recht diagnostizierte "Kosten-Krankheit" in der Altenpflege hat auch eine historisch-politische Ursache: Seit ihrem Start unter Bismarck im 19. Jahrhundert werden die Sozialsysteme über Aufschläge auf den Arbeitslohn finanziert. Wer in seinem Betrieb Löhne vermeiden kann, indem er zum Beispiel voll automatisiert mit materialintensiven Einwegdosen arbeitet, statt arbeitsintensiv Pfandflaschen zu reinigen und wieder zu befüllen, kann sich gleichzeitig von der Mitfinanzierung des Sozialsystems verabschieden. Solange in der Alten- und Krankenpflege, in der Kinderbetreuung, aber auch in Forschung und Bildung vorrangig Menschen und kaum Roboter am Werk sind, verschärft das überkommene System der Finanzierung unseres Sozialsystems über Lohn-Nebenkosten die Kostenkrankheit in diesen Branchen. Wenn ein Seniorenheim wirklich bewohnerfreundlich geführt wird, steigt der Anteil der Arbeitskosten an den Gesamtkosten des Betriebs auf bis zu 90 Prozent!

Der Abschied von Bismarck ist daher überfällig: Am Beginn der digital getriebenen nächsten Automatisierungswelle muss der Faktor Arbeit von der mörderischen Lohnnebenkostenlast befreit werden. Der Sozialstaat muss mehr und mehr durch Energie-, Daten- und Kapitalertrags-Nebenkosten, also durch Steuern, finanziert werden.

Bernhard Suttner, Windberg

Dämmern im Cosy Chair

Auf so einen Artikel wie "Mangelwirtschaft" von Renate Meinhof habe ich gewartet - vielen Dank dafür. Er beschreibt endlich einmal die aktuelle Situation in der Pflege aus Sicht der Pflegebedürftigen. Die Geschichte von Ursula M. ist aber leider kein Einzelfall, wie ich als examinierter Altenpfleger nur zu gut berichten kann: Wenn alte Menschen nicht ruhiggestellt werden, dann finden mobilitätsfördernde Maßnahmen einfach zu wenig statt - sei es aus Desinteresse, Wissens- oder Zeitmangel. Es mangelt einfach an Anreizen zur Bewegung. So sieht die typische "Mobilitätskarriere" eines Heimbewohners nach der mobilen Phase, gegebenenfalls mit Rollator, in dieser Reihenfolge Rollstuhl, Multifunktionsrollstuhl und Cosy Chair vor. Bis am Ende dann nur noch als dauerhafter Lebensort das Bett bleibt. Manchmal auch krankheitsbedingt. Es muss jetzt Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein, Pflege neu zu denken.

Sascha Rakers, München

Es geht nicht mal "so nebenbei"

Unser Pflegeproblem liegt in unserem völlig überholten Pflegesystem, das uns, der Bevölkerung, neben der Finanzierung auch noch die Hauptpflegeleistung überlässt. Dieses System des 19. Jahrhunderts gehört auf den Prüfstand des 21. Jahrhunderts. Angehörige dürfen nicht weiter gesetzlich zwangsverpflichtet werden, die Sorgeleistung "so nebenbei", neben Beruf und familiären Verpflichtungen, vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Alltagsbewältigung in einer globalisierten Welt zu erbringen. Politik muss mit uns Bürgern ins Gespräch kommen, sie muss unsere Probleme ernst nehmen und mit uns gemeinsam nach neuen zukunftsweisenden Systemstrukturen suchen. So, wie es ist, kann es jedenfalls nicht bleiben, wenn wir in der Pflege einer gefühlten Menschlichkeit für Pflegebedürftige und Pflegende wieder einen Platz einräumen wollen.

Brigitte Bührlen, München

Antwort auf große soziale Nöte

Als Geschäftsführerin des Kaiserswerther Verbandes, der in Deutschland diakonische Träger vertritt, die in der Diakonissentradition ihren Ursprung und bis heute ihren Fokus im Bereich Gesundheit und Soziales haben, war ich sehr irritiert darüber, dass in dem Artikel "Mangelwirtschaft" das aktuell schlechte Image der Pflegeberufe mit der Pflegetätigkeit konfessioneller Einrichtungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere mit der von Diakonissen, begründet wird. Die Gründung der sogenannten Mutterhausdiakonie durch Theodor und Friederike Fliedner im 19. Jahrhundert war von evangelischer Seite eine Antwort auf die großen sozialen Nöte der damaligen Zeit. Von dieser sind wegweisende Impulse zur Entwicklung einer professionellen modernen Pflegearbeit und zur Organisation der Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich ausgegangen. Evangelischen Frauen, die sich für das dafür entwickelte Lebensmodell einer Diakonisse entschieden haben, wurde einerseits der Zugang zu einer fachlichen Ausbildung und andererseits zur Berufstätigkeit eröffnet, was im 19. Jahrhundert den meisten Frauen vorenthalten war. Es ist daher eine sehr verkürzte Darstellung, die Diakonissen auf missionarisches Anliegen zu reduzieren, wo diese für neue Maßstäbe in der Qualität der Pflege gesorgt haben.

Christa Schrauf, Kaiserswerther Verband dt. Diakonissen-Mutterhäuser, Berlin

PflegerIN

Als langjährig berufstätige Fachpflegekraft für Anästhesiologie verfolge ich mit großem Interesse Ihre kritische und fundierte Berichterstattung über die Missstände in der Pflege. Im Wissen, dass 85 Prozent der Pflegenden weiblich sind, erachte ich es als befremdlich und äußerst unangebracht, in Ihren Artikeln durchgehend die maskuline Form "Pfleger" lesen zu müssen. Mir geht es hier nicht um eine militante Einhaltung des korrekten geschlechtergerechten Sprachgebrauchs, sondern um die Wertschätzung und den Respekt aller Pflegekräfte, die durch eine richtige Schreibweise erreicht werden kann. Daher bitte ich wenigstens um die Einhaltung der neutralen Form "Pflegekraft".

Lieve Echelpoels, Kempten

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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