Süddeutsche Zeitung

Pflege:Auf Kosten der anderen

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Über Fairness beim Abwerben ausländischer Pflegekräfte und steigende Eigenbeteiligungen von Familien.

Zu " Sicher, die werden hier fehlen" vom 29. Februar / 1. März und " Nur 1,5 Prozent für die Pflege" vom 11. Februar:

Jeder Mensch sucht den für ihn selbst richtigen beruflichen Weg, der ihn nach vorne bringt. Aus der persönlichen Sicht ist der beschriebene Aderlass von Pflegekräften aus Serbien in Richtung Deutschland nachvollziehbar. Ist die staatliche Förderung dieser Strategie aber für die Gesellschaften Europas auch nachhaltig? Die letzten Jahre habe ich zahlreiche osteuropäische Staaten bereist von Litauen bis Bulgarien. Es gab viele nachdenklich stimmende Gespräche, teils auf offener Straße, auch weil man als Besucher aus dem "reichen" Deutschland erkannt wurde. Überall wurde der Aderlass von Menschen beklagt. Vor allem die Jungen würden auf der Suche nach auskömmlicher Arbeit das Weite suchen, die Länder würden ausbluten.

Aus deutscher Sicht ist es sehr komfortabel, schon fertig ausgebildete Menschen ins Land zu holen, um die eigene Wirtschaft kostengünstig am Laufen zu halten. Mit den neu gewonnenen Arbeitskräften können wir wiederum unsere Waren und Dienstleistungen besser verkaufen. Alles gut für die Wirtschaft? Ich habe die Europäische Union immer auch als Solidargemeinschaft verstanden, wo die Menschen und Völker sich gemeinsam Wohlstand und Frieden erarbeiten. In Wirklichkeit stellt sich die Union auch als neues Instrument der Kolonialisierung dar. Früher waren Bodenschätze das Objekt der Begierde, heute sind es Arbeitnehmer von anderen, schon fertig ausgebildet. Wir lassen insbesondere unsere östlichen Nachbarn ausbluten, damit es uns gut geht. Als "postimperiale Strategie" wird das zu Recht in dem Artikel beschrieben. Ein richtiger Ansatz wäre es, Arbeit statt Waren und Dienstleistungen zu exportieren und zudem Löhne und Arbeitsbedingungen bei uns in Mangelberufen, wie etwa im sozialen und medizinischen Bereich, anzuheben, damit sich hier wieder mehr Menschen dafür entscheiden, statt den bequemen Bürosessel zu wählen.

Günter Koch, Stutensee

Deutschland gibt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gemessen an der Wirtschaftsleistung wenig Geld für Altenpflege aus. Meine 66-jährige Frau lebt seit mehr als drei Jahren im Pflegeheim, leider. Für unseren Eigenanteil nehmen wir keine staatlichen Gelder in Anspruch. Bei Pflegegrad 4 gab es 2017 monatlich 1775 Euro von der Pflegeversicherung, genau wie 2020. Dagegen stehen Ausgabensteigerungen für die zu Pflegenden beziehungsweise deren Familien. Fakt ist: Die Einnahmen durch Rente und andere Einkünfte steigen nicht annähernd so stark wie die Ausgaben fürs Pflegeheim. Und die nächste Steigerung des Pflegesatzes kündigt sich an. Dies wird, wenn sich an der Teilhabe der Pflegeversicherung nichts ändert, zu einer neuen relativen Armut der Mittelschicht führen.

Ulrich Lhotzky-Knebusch, Kellinghusen

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Quelle:
SZ vom 17.03.2020
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