Süddeutsche Zeitung

Pazifismus:Frieden schaffen ohne Waffen

Von den Kompromissmöglichkeiten zwischen absoluter Gewaltlosigkeit und Waffenlieferungen.

"Der Traum vom Frieden" vom 7./8. Mai:

Frieden hat oberste Priorität

Paul Munzinger hat die Meinung von Bertha von Suttner gut dargestellt - auch die widersprüchlichen Gesichtspunkte. Es bedarf Waffen, um sich gegen Aggressionen zu wehren, aber Frieden ist die oberste Priorität: "Frieden schaffen, ohne Waffen!" Es ist für Deutschland positiv, wie Olaf Scholz mit der widersprüchlichen Weltlage umgeht. Wer die Lieferung von "schweren Waffen" propagiert, hat dies nicht begriffen.

Andreas Renner, Düsseldorf

Es lebe Bertha von Suttner!

Ich war über 40 Jahre Mitglied der DFG VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen), jetzt habe ich sie verlassen. Eingetreten war ich 1974 während des Zivildienstes, weil ich von einer friedlichen Welt träumte und mich für den Frieden einsetzen wollte. Von Suttners Maxime "Nie wieder Krieg" teile ich nach wie vor. Ich finde nicht, dass der Pazifismus gescheitert ist. Natürlich ist es im Ukraine-Krieg wichtig, dem Wunsch nach schweren Waffen etwas entgegenzusetzen und bei jeder Gelegenheit auf eine diplomatische Lösung zu drängen. Pazifisten werden dringender denn je benötigt.

Umso bedauerlicher ist es, dass die DFG VK in ihrer heutigen Form gescheitert zu sein scheint. Viele ihrer Vertreter/Vertreterinnen haben in den vergangenen Jahren Verständnis für Wladimir Putins Politik gezeigt - wie sich zeigt, viel zu viel und zu oft. Die Opfer seiner Politik (Anna Politkowskaja, Alexej Nawalny, Boris Nemzow, Wladimir Kara-Mursa, Serwer Mustafajew, Yulia Tsvetkova und viele andere) habt ihr, liebe DFG VK-ler, unter den Tisch gekehrt. Auch für die Opfer seiner Armee in Tschetschenien und Syrien hättet ihr euch mehr engagieren können. Und die russischen Söldner der Gruppe Wagner in Mali, stören die euch nicht? Wer heute eine glaubhaft pazifistische Einstellung vertreten will, darf nicht auf dem Putin-Auge blind sein. Heute würde Bertha von Suttner ihr "Nie wieder Krieg" auch Putin entgegenschleudern.

Jürgen Bauer, Nürnberg

Komplizierte Welt

Beim Versuch einer historischen Einordnung der Friedensbewegung in Deutschland übergeht Paul Munzinger die entschiedensten Kämpferinnen und Kämpfer gegen Militarismus und Krieg: Clara Zetkin, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Mit dem Appell der europäischen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg: "Kein Arbeiter darf auf Arbeiter schießen", scheiterten sie an der Burgfriedenspolitik der SPD-Führung. Diese entzog Clara Zetkin die Chefredaktion der "Gleichheit". Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kamen ins Gefängnis. Die Losung der SPD-Führung hieß: "Krieg dem Krieg!" Sie traten für den Kampf gegen alle Kriegstreiber ein, denn Krieg ist nicht gleich Krieg. Und tatsächlich war es die Oktoberrevolution von 1917, die für das revolutionäre Russland den imperialistischen Krieg beendete - mit größten Zugeständnissen im Frieden von Brest-Litowsk. In Deutschland machte die Novemberrevolution 1918 Schluss mit Krieg und Kaiserreich.

Heute feiern wir den Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus (8. Mai) - dank des Kriegs der Alliierten, an dem die damals sozialistische Sowjetunion den opferreichsten Anteil trug. Wer wirklichen Frieden will, wird den bewaffneten Kampf des kurdischen Volks gegen den IS und Erdoğan befürworten. Sie oder er können den Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen die Aggression Russlands unterstützen und zugleich die kriegstreibende Politik der ukrainischen Regierung und der Nato ablehnen, die den Weg in einen dritten Weltkrieg vorantreiben. Das erscheint widersprüchlich und kompliziert. Aber die Welt ist eben kompliziert und widersprüchlich.

Anna Bartholomé, Gelsenkirchen

"Humanitäre Intervention"

Dass in Kriegsgebiete keine Waffen geliefert werden sollten, darüber sind sich Pazifisten und die Vertreter feministischer Außenpolitik, wie sie die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag anstrebt, einig. Dies würde den Krieg weiter aufheizen und verlängern. Die Folge wäre: deutlich mehr Tote, Verwundete, Traumatisierte, Flüchtlinge und Zerstörung. Wenn die "Hilfen" waghalsig und verantwortungslos gesteigert werden, bis der Krieg zum atomaren Schlagabtausch eskaliert und den "mutigen Helfern" die Bomben um die Ohren fliegen, haben Letztere wenigstens die Genugtuung: Der Aggressor ist schuld, wir sind bedauernswerte Opfer.

Niemals hätte Bertha von Suttner den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA und weiterer Nato-Staaten ohne Uno-Mandat im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er-Jahren gutgeheißen. Der erst anlässlich dieses Krieges neu geprägte Begriff "humanitäre Intervention" tarnte die geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen - vor allem der USA, die im Kosovo so einen ihrer größten europäischen Militärstützpunkte in Europa errichten konnten. Unsere "Freunde"/Bündnispartner jenseits des Atlantiks liefern seit Jahren Waffen an die Ukraine und können von Generalsekretär Stoltenberg, Bundeskanzler Scholz und anderen wohl nur mühsam gezügelt werden. Das Zitat eines Ex-US-Diplomaten, "Wir kämpfen bis zum letzten Ukrainer", spricht Bände.

Anne von Grudzinski, Waiblingen

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Quelle:
SZ vom 08.06.2022
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