Paulskriche:Umstrittene Umbaupläne

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Sie steht sinnbildlich für die Demokratiegeschichte in Deutschland. Über Ideen zum Umbau der Paulskirche gehen die Meinungen auseinander.

Zu "Raum ohne Beispiel", vom 24./25./26./27. Dezember:

Warum soll eine Umgestaltung der Frankfurter Paulskirche zwingend verhindert werden? Meiner Auffassung nach sollte eine kritische Teilrekonstruktion durchaus fachlich geprüft werden. In Hamburg wurde bei der Sanierung der Hauptkirche St. Katharinen eine Teilrekonstruktion mit der behutsamen Erneuerung der Nachkriegs-Innenraumgestaltung gelingend verbunden. Diese Planung könnte ein Vorbild für eine neue Gestaltung der Paulskirche sein.

Der Innenraum der Kirche sollte meines Erachtens beides sichtbar zeigen. Die bedeutsame Geschichte der ersten Nationalversammlung von 1848/49 und den Neubeginn 1949 nach den monströsen Verbrechen der Nationalsozialisten.

Markus Erich-Delattre, Hamburg

Dass hochgeschätzte Historiker in die Mottenkiste des historischen Kulissenzaubers greifen, ist höchst bedauerlich und zudem politisch kontraproduktiv. Dass auch ein Fachkollege das Ziel des Gedenkens und Erinnerns verfehlt, indem er auf eine gut vermarktbare Rückbauattrappe setzt, wirkt für mich peinlich.

Glasklar hat Autor Gottfried Knapp herausgearbeitet, dass und auf welche Weise die Paulskirche in ihrer Wiederaufbaufassung von Rudolf Schwarz den ganzen Spannungsbogen demokratischer Bestrebungen in Deutschland von 1848 bis 1948 zukunftsoffen und anschaulich durch ihre historische Schale und ihren erhabenen lichterfüllten Innenraum verkörpert - und somit hochemotional zugleich Hoffnung und Ratio vermittelt.

Ebenso deutlich wie in Knapps Artikel wurden kürzlich auch die Warnungen und Empfehlungen des Hessischen Landesdenkmalrates zur Erhaltung dieses herausragenden Denkmals der jüngsten Geschichte formuliert.

Prof. em. Dr. Adrian von Buttlar, ehem. Vorsitzender Landesdenkmalrat Berlin

Die Diskussion um die Frankfurter Paulskirche offenbart einen zunächst kleinbürgerlich wirkenden Verhübschungswunsch, der von den renommierten und durchaus geschätzten Geschichtsprofessoren (H. Münkler, H.W. Hütter) mit den eleganten Vokabeln "Aura" und "ästhetische Evidenz" umschrieben wird. Der Verdacht, sie wollten so den Paulskirchenbau an die Fake-Aura des Historischen in der nahen Altstadt-Rekonstruktion anpassen, ist schwer zu entkräften. Insbesondere beim Bonner Lehrbeauftragten könnten kompensatorische Ästhetikbestrebungen in Betracht gezogen worden sein. Indessen darf wohl daran erinnert werden, dass gerade an derselben Bonner Universität ein gewisser Günter Bandmann auf die Architektur als Bedeutungsträger hingewiesen hatte.

Frankfurt ist eine alte Stadt mit großer nationaler Tradition vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert und hat diverse Zeitschichten, unter denen auch die phänomenale Zerstörung des Zweiten Weltkriegs und der von Betroffenheit gekennzeichnete Neuanfang Erinnerung verdienen. Die offen sichtbare Baugeschichte mit ihren Bedeutungsträgern (Bandmann) ist ein dafür prädestiniertes Mittel. Speziell die profane Rekonstruktion des sakralen Zentralbaus ist ein gutes Beispiel von bedeutungsvoller Erinnerungskultur und kein "erinnerungspolitisches Desaster". Denn die Geschichte der Gesellschaft besteht nicht nur aus ererbtem Reichtum und märchenhafter Harmonie; gerade Erinnerungsbauten wie der für die deutsche Demokratie-Geschichte sollten form-inhaltlich passend an die Zeitumstände erinnern, an die überwiegend selbst verschuldete Not und Armut der Nachkriegsgesellschaft.

Nicht nur der Krieg, sondern auch die ihn auslösende und gnadenlos führende Diktatur waren ein reales Desaster, das der Mahnung wert ist. Die Gestaltung soll ja zeigen, dass etwas falsch gemacht worden war, dass nun etwas bewusst geändert wird. Deshalb ist die gleichsam asketische Kargheit der Konzeption von Rudolf Schwarz (mit E. Blanck, G. Schaupp und J. Krahn) so zeitgemäß, quasi ein Abbild der damaligen Betroffenheit, in der die Demokratie zum zweiten Mal aufgebaut wurde. Zugleich lässt sie die heutige Überflussgesellschaft zumindest ahnen, dass der Luxus auch verspielt werden kann. Mit den reichen Formen der Vorkriegszeit gelingt dieser notwendige Hinweis nicht.

Wie die bereits gebauten Rekonstruktionen am Hühnermarkt wäre eine ästhetische Aufwertung oder Verhübschung des Demokratie-Mahnmals ein mindestens gedankenloser Kompromiss mit der Wahrhaftigkeit. Ein süßer Schnuller für die oberflächliche und harmoniebedürftige Gesellschaft und damit auch Abbild eines höfischen Denkens aus der Zeit Molières zum Zwecke einer angepassten Ästhetik des guten Tons und einer biedermeierlichen Atmosphäre der Harmonie.

Dr. Dipl.-Ing. Dietrich W. Schmidt, Bauhistoriker i.R. Stuttgart

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