Süddeutsche Zeitung

Paradise Papers:Man sollte den Politikern genau auf die Finger schauen

Nach den Enthüllungen zu Steueroasen weltweit wird die Arbeit der SZ-Journalisten von vielen Lesern gelobt. Die meisten sehen nun die Regierungen in der Pflicht, zweifeln aber, dass sich etwas ändern wird.

"Die Asozialen" vom 11./12. November:

Von Lobbyismus geprägt

Ich gratuliere der SZ zu der großartigen Leistung bei der Enthüllung der Paradise Papers! Erlauben Sie mir den Hinweis, dass der Lobbyismus weltweit, so auch in der EU und insbesondere in Deutschland, bei der Beeinflussung politischer Entscheidungsträger außerordentlich effektiv ist: Dahinter verbergen sich mächtige Konzerne, Banken und vermögende Einzelpersonen, die unter anderem mithilfe von skrupellosen Anwälten ungestört Steuern hinterziehen können. Neben anderen Staaten scheint besonders Großbritannien den Lobbyisten hierzu ideale Voraussetzungen zu bieten. Je mehr Gewinne sich bei den privaten Konzernen, Banken und vermögenden Einzelpersonen ansammeln, um so effektiver und mächtiger wird der Lobbyismus, was wiederum die Gewinne steigert: ein Teufelskreis, durch den die Demokratie mehr und mehr durchlöchert wird.

Dr. Ingo Heinz, Schwerte

Es wird sich nichts ändern

Es ist niederschmetternd, was man als treuer Steuerzahler in den Panama, Paradise und was es noch alles für Papers geben wird, zu lesen bekommt. Doch letztlich kommt man zu der Erkenntnis: Was wird geschehen: nichts oder im besten Fall sehr wenig (Augenwischerei für das Wahlvolk). Der Betrug am normalen Bürger (Dienstleister, Handwerker, Ingenieur) wird, ausgehend von unseren lobbyverseuchten Regierungsmitgliedern, weitergehen. Solche Sachen sind doch nur möglich, weil es die von der Politik zu verantwortenden Gesetze zulassen. Für mich bleibt es dabei: Unsere gesamte Steuergesetzgebung ist viel zu kompliziert. Eine Vereinfachung der Steuergesetze und der Ermittlung der Steuerabgaben ist mehr als überfällig. Aber davor steht ja unser juristischer Wasserkopf.

Prof. Claus Wagner, Kolbermoor

Fehlender Wille zur Gerechtigkeit

Die SZ kann mit Recht stolz sein auf ihre Beteiligung an den Enthüllungen der Paradise Papers. Auch die in dem Artikel "Die Asozialen" angeführte Kritik auf sozialer und politischer Ebene ist vollkommen angebracht und gerechtfertigt. Bei aller Richtigkeit und Gerechtigkeit erscheint jedoch ein Aspekt nicht - nämlich dass es um Steuern geht, also Einnahmen von Staaten.

Es wäre eine populistische Verkürzung anzunehmen, dass höhere Staatseinnahmen automatisch ein besseres Leben der Bürger bedeuten. Wenn alle in den Paradise Papers aufgedeckten Großunternehmen plötzlich korrekt alle Gewinne versteuerten, würde das bedeuten, dass zum Beispiel Schulen saniert werden oder mehr Lehrer ausgebildet werden? Dass Kindertagesstätten nicht mehr mit knebelnden gesetzlichen Vorgaben arm gehalten werden und andere soziale Projekte vorankommen, für die vermeintlich nie genug Geld da ist? Würde Deutschland keine Waffen mehr in Kriegsgebiete liefern, weil genug Steuereinnahmen da wären? Würde der deutsche Fiskus darauf verzichten, jeden kleinsten Steuervorteil von Beziehern mittlerer Einkommen infrage zu stellen? In reichen Ländern wie Deutschland ist doch nicht wirklich Geldmangel ein Problem, sondern der fehlende politische Wille, bestimmte Dinge zu finanzieren. Dieser politische Wille würde sich durch höhere Steuereinnahmen nicht ändern.

Felix Schäfer, Ascheberg

Bessere Wahl erkennbar machen

Der Artikel "Die Asozialen" endet mit einem Appell an die Verbraucher, die steuervermeidenden Unternehmen durch bewusste Kaufentscheidungen zu sanktionieren. Obwohl die Idee durchaus sinnvoll erscheint, ergeben sich bei ihrer Umsetzung zwei wesentliche Fragen. Zum einen gibt es trotz aller bisherigen Leaks und Veröffentlichungen noch ein großes Transparenzdefizit. Wie auch im Artikel über die detaillierte Vermeidungspraxis von Nike ("Just do it" vom 6. November) aufgezeigt, müssen sich die Kunden bei der Suche nach Alternativen zu bekannten Steuervermeidern oftmals blind darauf verlassen, dass diese Alternativen auch wirklich eine bessere Wahl für das Gemeinwohl darstellen. In diesem Aspekt ist das Thema Steuervermeidung anderen globalen Problemen, wie beispielsweise der Nachhaltigkeit und der Kinderarbeit, ähnlich und provoziert die Frage, wie Mechanismen aussehen könnten, die den Kunden bei solchen Entscheidungen unterstützen.

Ein hypothetisches Beispiel für so ein Instrument könnte eine öffentlich einsehbare Steuervermeidungsampel sein, welche die Steuerpraktiken von Unternehmen bewertet. Um die Informationen für solche Initiativen zu sammeln, müssten gegebenenfalls gesetzliche Vorschriften angepasst werden, welche die Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichten. Ob unsere Politiker dazu willens sind, darf jedoch bezweifelt werden, wenn selbst unser kürzlich abgetretener Finanzminister den neuerlichen Skandal nur resignierend kommentiert. Dies führt zur zweiten und wesentlicheren Frage, nämlich ob man verantwortungsvoll handelnde Verbraucher erwarten kann, wenn selbst die Repräsentanten am Einfluss des ihnen übertragenen Handlungsmandats öffentlich zweifeln?

Johannes Unglert, München

Skandal: legal!

Bravo SZ! Bravissimo! Langsam bröckelt der Putz von den Fassaden des Neokapitalismus. Das System selbst steht auf dem Prüfstand. Dank einer freien und kritischen Presse. Sie legt offen, was den eigentlichen Skandal an der Masche der sogenannten "Steuervermeidung" ausmacht: dass sie legal ist. Da etabliert sich eine Diktatur innerhalb der Demokratie, die die offizielle Politik an der Nase herumführt.

Dr. Hans-Günter Melchior, Neuried

Verpfuschtes Image

Vielen Dank für die Berichterstattung in der vergangene Woche über die Paradise Papers und für das Fazit "Die Asozialen". Es tut gut, in einem Land mit einer freien Presse zu wohnen und zu leben, einer Presse, die sich nicht scheut, die Firmen und Abscheulichkeiten beim Namen zu nennen, wenn dies die Politiker schon nicht mehr können. Dazu gehört für mich auf jeden Fall Ihre Zeitung. Für mich haben die genannten Firmen jedes Image, das sie mit immensen Geldmitteln aufgebaut haben, dieses hegen und pflegen, auf Jahre hinaus verloren: Apple, Nike, Amazon usw.!

Bleiben Sie auch künftig dran und nennen Sie die Dinge beim Namen! Lassen Sie nicht locker und berichten Sie ungeschoren von den "Asozialen" dieser Welt! Für uns, für mich bleibt nur eines: Ich werde die genannten Firmen bei meinen Einkäufen künftig meiden. Es gibt seriösere Alternativen.

Götzfried Georg, Regensburg

Kumpane öffentlich bloßstellen

Das Fazit des Artikels, die Kunden sollten die Steuervermeider an der Kasse ignorieren, geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Welche/r Bürger/in kann beim Kauf einer Ware jeweils nachvollziehen, welche Steuervermeider hinter den jeweiligen Firmen stecken. Der/die Kunde/in müssten ja die Briefkästen in den Steueroasen dieser Welt (Malta, Isle of Man, Bahamas, Seychellen) präsent haben beim Einkauf. Von den steuersparenden Vereinbarungen der Konzerne mit den Niederlanden, Irland oder Luxemburg gar nicht zu reden. Da wird den Kunden eine Verantwortung zugeschoben, die sie nicht erfüllen können.

Richtig wäre es, die Parteien, die Regierungen, die Politiker (wie Juncker, Dijsselbloem, Schäuble) immer wieder in den Medien bloßzustellen, dass sie eine Kumpanei mit den Konzernen, den Reichen eingehen, indem sie wirksame Steuergesetze verhindern. Dann hätten die Kunden, die auch Wähler sind, die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.

Werner Natter, München

Freihandel muss Grenzen haben

Ich bin kein Jurist, aber ich frage mich, ob ein möglicher Ansatzpunkt wäre, die Lizenzverträge für sittenwidrig und damit nichtig zu erklären, mit denen Apple, Nike oder Google ihre Erträge über Ländergrenzen verschieben. Ein weiterer möglicher Ansatz wäre, solche Entgelte mit einer Art Ausfuhrzoll zu belegen. Mir scheint ohnehin mit Blick auf Donald Trump, Brexit, Ceta oder TTIP eine breite Debatte überfällig, wie weit die Globalisierung das Unternehmertum weiter begünstigen darf, ohne auch Sozial- und Umweltstandards oder Verbraucherrechte mit zu globalisieren. Den Ansatz dazu gab es anlässlich von Ceta und TTIP, aber seit dem Brexit-Referendum hat der EU-Freihandel eine fast ausschließlich positive Presse. Und im EU-Binnenmarkt herrschen ja harmonisierte Arbeitsmarktregeln und Personenfreizügigkeit. Es wird Zeit, dass die EU diese Errungenschaften auch beim Handel mit dem Rest der Welt einführt. Der Umgang mit Steueroasen gehört für mich dabei mitdebattiert.

Sebastian Jester, Bonn

Das nennt man Staatsversagen

Die Veröffentlichung der Paradise Papers unterstreicht die unerlässliche Rolle des Journalismus bei der Aufdeckung von Staatsversagen. Nach den Panama Papers offenbart sich erneut das Unvermögen der Politik, den aggressiven Geschäftsmodellen der Steuertrickser das Wasser abzugraben. Man fragt sich, wofür der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble oder EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eigentlich ihr Geld verdienen, wenn sie tolerieren, dass neun von zehn großen Unternehmen mindestens eine Tochterfirma in einer Steueroase unterhalten und dabei 60 Milliarden Euro jährlich dem Fiskus entziehen. In einer medialen Inszenierung erweckt die Politik den Eindruck, als wüsste sie erst seit gestern, dass Briefkastenfirmen nicht dem Postempfang dienen, sondern der Steuerhinterziehung oder Geldwäsche. Jeder Hartz-IV-Bezieher wird unter Strafandrohung verpflichtet, jeden zusätzlich eingenommenen Cent zu dokumentieren, auf der anderen Seite werden Reiche und Vermögende privilegiert, ihr Geld am Fiskus vorbei ins Ausland zu transferieren. Banken sind behilflich, der Staat guckt weg. Gesetzeslücken werden nicht geschlossen, Strafverfolgung nur, wenn die Öffentlichkeit sich über besonders auffällige Betrugsfälle empört.

Thomas Jansen, Kassel

Was denn nun?

In "Die Asozialen", diesem Fazit über die Paradise Papers, schreiben die Autoren am Ende: "Dem Kunden bleibt, die großen Steuervermeider an der Kasse zu ignorieren." Im Wirtschaftsteil der gleichen Ausgabe wird dann das iPhone X, ein Produkt eines dieser Asozialen, über den grünen Klee gelobt. Was bleibt dem Leser? An der Kasse ignorieren?

Michael Hilt, München

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Quelle:
SZ vom 16.11.2017
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