Süddeutsche Zeitung

Organspende:Selbstbestimmt entscheiden

Wer nichts sagt, hat automatisch zugestimmt. So einfach wollen es viele SZ-Leser dem Staat nicht machen. Zu den politischen Vorstößen zur Reform der Organspende in Deutschland gibt es überwiegend kritische Stimmen, auch von Medizinern.

Zu "Spahn will Organentnahme erleichtern" und "Eine Frage des Gewissens", jeweils vom 2. April und "Initiative zu Organspenden" vom 30./31. März:

Erosion der Meinungsfreiheit

Nach der einfachen Widerspruchslösung wird nun eine doppelte diskutiert. Der Tote, der einer Organentnahme nicht widersprochen hat, soll dann noch einmal über Angehörigen-Nötigung zur Explantation verfügbar gemacht werden. Oder die Bürger sollen per Staatsdekret beim Abholen ihrer Personalausweise eine Erklärung zur Organspende abgeben. Das ist ein Anklopfen beim orwellschen Staat. Der Staat kontrolliert das Leben. Er weiß besser, was gut für jeden Bürger ist, als der Bürger selbst. Mit einer solchen staatlich erzwungenen Erklärung findet ein Unterlaufen beziehungsweise eine Erosion der Gedankenfreiheit und in der Folge eine solche der Meinungsfreiheit statt. Zur Meinungsfreiheit gehört sehr wohl, zu bestimmten Angelegenheiten eben keine Meinung haben zu dürfen oder seine Gedanken nicht aussprechen zu müssen.

Die Organe eines Hirntoten sind nicht die Organe eines ganz Toten und sie sind auch kein "Heilmittel", das frei verfügbar ist oder frei verfügbar gemacht werden könnte. Das "freiwillige Opfer des Organspenders", also die aktive Zustimmung zu Lebzeiten, ist unverzichtbar; denn der Hirntote ist keine Sache. Die Zustimmung - wenn sie denn erfolgt - geschieht sehr wahrscheinlich in mehr oder weniger bewusster Übereinstimmung des Organspenders mit der materialistischen Weltanschauung der fast beliebigen Austauschbarkeit von Organen zwischen Menschen. Doch diese materialistische Weltsicht in Bezug auf Organtransplantationen muss man nicht zwingend haben. Es gibt auch keinen einzigen Grund anzunehmen, dass sie die einzig zulässige in dieser Welt ist. Hier geht es grundlegend um mehr als nur um eine bloße Gewissensfrage.

Prof. Dr. Ulrich Senftleben, Mainz

Großer Widerspruch

Der (nachdenkliche) Mensch, der bleibt ein Skeptiker; auf der einen Seite will er sich mit der künstlichen Intelligenz selbst abschaffen, und auf der anderen Seite will er mit der Organspenderei sein Leben auf "Teufel komm raus" künstlich verlängern!

Klaus P. Jaworek, Büchenbach

Wille muss eindeutig sein

In den gesetzlichen Vorschlägen, die Minister Spahn macht, wird das persönliche Schweigen zum Thema als Ja zur Organspende gewertet. Schon bei kleineren Entscheidungen, etwa nach der Datenschutzgrundverordnung, müssen wir mit Ja oder Nein antworten. Und das soll bei einer Organentnahme anders sein? Abgeordnete mehrerer Parteien haben den Vorschlag gemacht, dass jeder Erwachsene bei Beantragung oder Verlängerung des Personalausweises/Reisepasses nach dieser existenziellen Entscheidung gefragt wird und dann den Zeitraum zur Entscheidungsfindung hat, bis das Dokument ausgehändigt wird. Die Angaben werden dann oder später in einem Organspenderegister vermerkt. So wird Spendeempfängern und Spendern Respekt gezollt.

Dieser Vorschlag ist gut. Er erhält den freien Willen einer jeden Person. Er macht ein Schweigen nicht zum Ja. Er erhält das Individualrecht vor einem vermeintlichen höheren Interesse. Er fördert die gedankliche Beschäftigung mit dem Thema Organspende in der Bevölkerung. Er liefert diejenigen nicht dem Gesetz aus, die intellektuell einen Widerspruch gar nicht formulieren können. Ich meine, es ist auch Aufgabe der Bundesregierung und der Bundestagsabgeordneten, die Patienten vor der Widerspruchslösung zu schützen, die dieses Thema aufgrund ihrer körperlichen und intellektuellen und sprachlichen Einschränkungen/Fähigkeiten gar nicht erreicht. Diese Personen wären sonst ihrer verfassungsgemäßen Selbstbestimmung beraubt. Mehr noch, sie wären staatlichen Gesetzen hilflos ausgeliefert.

Dr. Stefan Mielck, Plön

Vergleich mit Abtreibungsrecht

Es soll nicht irritieren, wenn ich mit dem Abtreibungsparagrafen beginne. Dieser besteht noch, viele Frauen verlangen die Abschaffung. Die Frauen, die ungewollt ein Kind erwarten und es nicht austragen wollen, sagen: "Mein Bauch gehört mir!" Das stimmt nur insofern, was den Bauch betrifft, aber nicht die Verfügung über ein neues werdendes Leben. Und doch wollen viele keine Einmischung des Staates. Nun will Jens Spahn erreichen, dass der Staat verfügen kann, wer automatisch Organspender wird. Das geht nicht! In diesem Fall muss ich sagen dürfen: "Mein Körper mit seinen Organen gehört mir, auch über den Hirntod hinaus." Menschen, die keinen Organspendeausweis bei sich haben, dürfen deshalb nicht entmündigt werden. Als Organspender darf nur gelten, wer ausdrücklich seine Einwilligung kundgetan hat!

Angela Reich, München

Spender bevorzugen

In meinen Organspenderausweis hab ich ein Zettelchen geklebt mit der Aufschrift "Organspender bevorzugt". Ich weiß nicht, ob das rechtens ist. Es ist mein Wille, dass auf der Warteliste zu einem Spenderorgan Menschen bevorzugt werden, die sich selbst dazu entschlossen haben, Organspender zu sein. Damit sollen die anderen Faktoren wie Alter der Patienten, Aussicht auf Heilung und so weiter nicht ersetzt werden - aber dass diese Möglichkeit mit einfließt in die Bewertung der Dringlichkeit, würde viele Menschen dazu bewegen, wenigstens darüber nachzudenken, selbst Organspender zu werden. Damit könnten viele Menschenleben gerettet werden. Kinder und Jugendliche sollte man allerdings davon ausnehmen.

Sonja Sachsinger, München

Eingriff in den Sterbeprozess

"Die jetzt bekannt gewordene Absprache zwischen CDU-Minister Spahn und SPD-MdB Lauterbach, in Deutschland die Widerspruchslösung durchzuboxen, muss die Alarmglocken läuten lassen. Jeder weiß: Aus einer Leiche können keine Organe verpflanzt werden. Der Organismus muss bei der Organentnahme noch am Leben sein. Der Gehirntod ist eine Fiktion, um Ärzte davor zu bewahren, wegen eines Tötungsdelikts angeklagt zu werden. Jede Organentnahme bei Gehirntoten ist ein massiver Eingriff in den Sterbeprozess. Haben Spahn und Lauterbach den Kernsatz unseres Grundgesetzes, das nach den Gräueln des Dritten Reiches geschaffen wurde, vergessen? "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Sie zu schützen ist oberste Aufgabe des Staates. Niemand darf über den lebenden Körper eines Menschen verfügen als dieser selbst.

Nur wenn ein gut informierter Mensch selbst freiwillig aus humanitären Gründen einem solchen Eingriff einwilligt, kann man von Organspende sprechen. Was Spahn und Lauterbach planen, ist staatlich organisierter Organraub. Es gibt innovativere Verfahren, die der Staat fördern sollte, etwa die Züchtung von Organen aus eigenen Stammzellen. Das würde Menschen helfen, ihr Gewissen nicht belasten und die Kosten senken.

Norbert von Stillfried, München

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Quelle:
SZ vom 13.04.2019
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