Organspende:Der freie Wille wird geopfert

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Die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplante Widerspruchslösung zur Organspende trifft auf große Kritik der Leser. Einer hält es für Nötigung, der Organspende explizit widersprechen zu müssen.

Die geplante Widerspruchslösung zur Organspende bleibt umstritten. (Foto: Frank May/dpa)

" Es gibt ein Organ für Sie" vom 24. September:

Den Applaus für das gesetzliche Vorhaben, die Zustimmung zur Organspende a priori vorauszusetzen und nur deren Verweigerung zu explizieren, kann ich nicht ganz teilen. Das Gesetzesvorhaben hat eine pragmatische und eine prinzipielle Seite. Es ist richtig: Ohne faktisch persönlichen Widerspruch stünden nach dieser Maßnahme wohl deutlich mehr Spenderorgane zur Verfügung; als potenzieller Patient, der auf ein fremdes Organ angewiesen sein kann, plädiere ich für die grundsätzliche Bereitschaft, eigene Organe im Todesfall zur Verfügung zu stellen - aber aus freier Entscheidung! Pragmatisch gesehen, kann ich den Autor der oben genannten "Außenansicht" gut verstehen. Aber prinzipielle Gründe sprechen gegen den Gesetzentwurf: Die Verfügbarkeit über den eigenen Körper, auch über den eigenen Tod hinaus, ist Bestandteil der personalen Würde; jede Person immer auch als Zweck, niemals nur als Mittel anzusehen, dazu verpflichtet der kategorische Imperativ. Ist der eigene Körper nicht Bestandteil der Person? Die Umkehrung von der freiwilligen, aktiven Zustimmung hin zu der Nötigung, der Organspende explizit widersprechen zu müssen, wenn ich es nicht will, offenbart eine vordergründige, utilitaristische Einstellung zum Menschen. Der freie Wille, die eigene Würde wird dem Argument der körperlichen Gesundheit, dem wohl jeder beipflichten wird, geopfert.

Reinhard Buse, Essen

Ein Hirntoter wird zum Objekt

Es sieht so aus, dass Gesundheitsminister Jens Spahn an der Industrie Maß genommen hat. Da spielt die Beschaffungslogistik eine überragende Rolle und folgt Kriterien wie Reibungslosigkeit des Prozesses und hinreichendem Zufluss von benötigtem Material. Die Qualität des Prozesses wird dadurch gesichert, dass Millionen zur Verfügung gestellt werden, um genügend Organisationsschlagkraft zu erzeugen.

Allerdings gehört bei den Logistikfachleuten in der Wirtschaft auch noch das Kriterium des richtigen Preises oder der richtigen Kosten dazu. Und hier wird es eng für den Minister: Die immensen Kosten tragen selbstverständlich alle, entweder als Krankenversicherte oder als Steuerzahler, das wird man noch sehen. Die Kosten tragen auch - wenn auch immaterieller Natur - die Menschen, die arbeitsrechtlich zum Mittun verpflichtet sind oder sich verpflichtet fühlen, weil sie meinen, dem Altruismus der Spender Raum zu schaffen. Diese emotionale Grundlast - Thema "warme Leiche" und deren Manipulation - ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, wiegt deswegen aber nicht weniger schwer; Menschen müssen im Dienste "der großen Sache" ethische und religiöse Grundsätze hintanstellen. Ein Hirntoter - die Definition wurde Ende der 60er-Jahre entwickelt für die beginnende Transplantationsmedizin - wird zum Objekt. Dabei wird übergangen - Kollateralschaden?! -, dass das Sterben eines Menschen als Prozess zu verstehen ist, so wie das Geborenwerden auch. Ein Hirntoter ist ein Sterbender, nicht ein Gestorbener. Dieser Prozess des Sterbens braucht Zeit und Sicherheit, Zugewandtheit bis zuletzt und angemessene Bedingungen für alle, die da handeln und das erleben. Der Sterbende ist Subjekt, nicht Objekt wie ein Warenlager.

Ich wünsche mir einen Gesundheitsminister oder eine -ministerin, die den Menschen dabei zur Seite stehen, selbst die Verantwortung für sich und ihre Gesundheit zu übernehmen. Ich wünsche mir ein Ministerium, das mit anderen relevanten Ministerien wie Ernährung, Umwelt, Verkehr etc. aktiv etwas dafür tut, Prävention nicht nur bei Sonntagsreden im Munde führt, sondern mit der mindestens gleichen Intensität wie bei der Widerspruchslösung echte Lösungen für die Menschen, für die Gesellschaft voranzutreiben hilft. Ich wünsche mir Krankenkassen, die nicht einfach alles zahlen - mit dem Geld der Versicherten -, was Krankenhäuser und Pharmaindustrie bereitstellen. Ich wünsche mir Ärzte, die sich nicht für Beschaffungslogistik instrumentalisieren lassen. Und ich wünsche mir, dass diese Diskussion geführt wird und dafür gearbeitet wird, auch von den Verantwortlichen in der Politik.

Dr. rer. pol. Karin Bockelmann, Bad Zwischenahn

Kollektiv und Individuum

Neben dem Grundrechtsproblem (Artikel 2), dass ich mir selbst gehöre, erscheint mir die geplante Lösung auch ethisch problematisch, denn die Definition von Hirntod ist problematisch. Als Krankenpfleger habe ich das mal mitgemacht. Der Mensch war zwar hirntot, aber er lebte noch (technisch musste er das ja). Ich empfand das als sehr gruselig. Auch wenn ich dabei höchst ambivalent empfinde, da ich das Bedürfnis erkenne von Menschen, die dadurch weiterleben könnten. Dass das gerade jetzt auf den Tisch kommt, ist interessant. Denn das Kollektiv wird wieder wichtiger als das Individuum. Der Einzelne tritt zurück hinter einem "fragwürdigen" Begriff von Kollektiv und Gemeinschaft. Dazu tragen die vielen kollektiven Probleme (vom Klima bis zur Migration) sicher bei. Vom Individuum wird zunehmend mehr verlangt.

Bernhard Horwatitsch, München

Bewusste Irreführung

Der Autor hat - als Organempfänger - aus nachvollziehbaren Gründen den Kritikern einer Widerspruchslösung vorgeworfen, zu wenig die Empfängerperspektive zu berücksichtigen. Dabei hat er selbst diese Perspektive nur unvollständig dargestellt. Denn die Kehrseite für so manchen Organempfänger hat er unterschlagen: Erhebliche Einschränkungen der Lebensqualität bis hin zu schweren Sekundärerkrankungen als Folge der Organtransplantation. Oder das erneute Landen auf der Warteliste nach wenigen Jahren. Auch wenn nur eine (nicht unbedeutende) Minderheit der Organempfänger unter diesen "Kollateralschäden" zu leiden hat, muss darüber intensiv aufgeklärt werden.

Die Organspende ist eine wunderbare Möglichkeit der modernen Medizin und für die betroffenen Empfänger ein Geschenk. Doch eine einzufordernde Regelleistung ist dieses Geschenk nicht, weil der Bedarf an Organen immer höher sein wird als das Angebot. Die selbst bei der bisherigen Lösung unzureichende Aufklärung potenzieller Spender entfällt aber bei der Widerspruchslösung vollständig. In meinen Augen ist die mangelhafte Aufklärung eines der Hauptprobleme. Das beginnt schon mit dem üblichen Organspendeausweis, auf dem statt "Hirntod" (als Voraussetzung für eine Organspende) ausschließlich das Wort Tod verwendet wird. Und auf dem die unterschiedlichen Voraussetzungen für Organ- und Gewebespende nicht erklärt werden. Das ist bewusste Irreführung, die zu Misstrauen in der Bevölkerung führt. Der sehr seltene Hirntod gilt in Deutschland - neben der Lebendspende - als das wichtigste Organentnahmekriterium - unabhängig von der Deutung des Phänomens Hirntod.

Potenzielle Spender müssten aber auch darüber aufgeklärt werden, dass dann, wenn sich auf einer Intensivstation der baldige Hirntod abzeichnet, der Betroffene also noch lebt, organerhaltende Maßnahmen ("spenderzentriert") - mitunter auf Kosten des "Patientenwohls" - durchgeführt werden müssen. Das ist ein ethisches Dilemma, über das aufgeklärt werden sollte.

Dr. Jürgen Bickhardt, Erding

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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