Operationen:Zwischen Bedarf und Wirtschaftlichkeit

Ob einem Patienten zu einem operativen Eingriff geraten wird oder nicht, hängt nicht nur vom Befund ab. Fachleser bestätigen, dass geforderte Mindestfallzahlen, die Kliniken vorweisen müssen, den Ausschlag geben können.

Zu "Welcher Eingriff darf's denn sein?" vom 4. Juni:

Werner Bartens beschreibt dankenswerterweise das, was Insider - ich bin Chirurg - seit Langem wissen: Einige gutgläubige, beziehungsweise schlecht beratene Patienten bezahlen den ökonomischen Druck, unter dem die deutschen Klinken stehen, mit dem Leben. Die Selbstheilungskräfte des Systems sind gering, Gesundheitspolitiker verschließen Augen und Ohren. Eine Änderung kann nur durch Druck der Patienten und der informierten Öffentlichkeit herbeigeführt werden.

Prof. Dr. Ulrich Krause, Rödental

Die Einführung marktorientierter Abrechnungs- und Qualitätsregelungen in die Medizin scheint - besonders für Nichtärzte und ganz besonders für Nichtoperateure - zunächst plausibel. Erfahrung macht den Meister, und so kann ich als Patient darauf zählen, dass der Doktor die OP, die er mir vorschlägt, schon mal gemacht hat. Leider kann der Autor als Journalist nicht die Kehrseite der Medaille unserer Gesundheitsreformen verstehen. Die Mindestfallzahl-Regel hat nämlich einen simplen Effekt mit allerdings hochkomplexen Folgen: Es nehmen heutzutage in Deutschland zum Beispiel nicht mehr nur die Krankenhäuser an der Implantation von Knieprothesen teil, die davon im Jahr 50 oder mehr Fälle behandeln. Vielmehr versuchen alle auch noch so kleinen Krankenhäuser im Jahr die 50 Prothesen herzubringen. Ein wenig überspitzt formuliert bedeutet dies, dass der Patient mit Knieschmerzen sich gegen Ende des Jahres in Deutschland davor hüten sollte, ein orthopädisches Krankenhaus aufzusuchen. Indiziert oder nicht, droht ihm das "Risiko", eine Knieprothese implantiert zu bekommen, weil der Geschäftsführer gerade erst den Chefarzt darauf aufmerksam gemacht hatte, dass das "Jahres-Soll" der 50 Prothesen noch nicht erfüllt wurde.

Dabei sind die Mindestfallzahlregeln nicht der einzige Wirkmechanismus, der auf das eigentlich doch als ungestört zu erhaltende Arzt-Patient-Verhältnis einwirkt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind zu nennen: Die DRG-Fallpauschalen-Vergütung, die Bonus-Regelungen für Chefärzte und weitere Entscheidungsträger, die ausufernde Privatisierung des "lohnenden" ambulanten und stationären Teils der medizinischen Versorgung bei gleichzeitiger Belassung der kostspieligen (=defizitären) Anteile der Patientenversorgung (etwa Polytrauma, Onkologie, seltene Erkrankungen etc). im öffentlichen Bereich. Alles Beispiele für strukturell gut gemeinte Regelungen zur Steigerung von Qualität und Effektivität im Gesundheitswesen, die sich aber zunehmend als medizinisch paradox erweisen. Das Gespenst der Überindikationen geistert durch unser Gesundheitswesen. Es gibt kaum noch einen Ärzte-Kongress in Deutschland, bei dem dieses Thema nicht mit spitzen Fingern und hartnäckiger Ratlosigkeit abgehandelt wird.

Was zunehmend abhandenkommt, ist das Vertrauen auf unsere - so altbacken es klingen mag - ärztliche Selbstverantwortung.

Prof. Dr. Matthias Richter-Turtur, Münsing

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