Österreich-Kolumne:Legal? Egal!

AUSTRIA - VIENNA - HEALTH - GOVERNMENT ÖSTERREICH; WIEN; 20210423; Bundeskanzler Sebastian Kurz während einer Pressekonf

Sebastian Kurz pfeift auf den Verfassungsgerichtshof.

(Foto: Alex Halada/imago images)

Kanzler Sebastian Kurz zeigt offen, wie wenig er sich um Grundrechte und den Rechtsstaat schert. Will er damit eine Verfassungskrise provozieren?

Von Alexandra Föderl-Schmid

In Österreich gibt es den Begriff der Realverfassung. Den kennt jeder. Das heißt, es gibt zwar eine Verfassung, aber die reale Macht liegt woanders: bei der Regierung, den Landeshauptleuten, den Sozialpartnern. Es hat aber noch nie einen Bundeskanzler gegeben, der so offen gezeigt hat, dass er sich herzlich wenig um Verfassung, Grundrechte und den Rechtsstaat schert. Die Haltung von Sebastian Kurz: Legal? Egal! Und nach dieser Woche könnte man noch eine Steigerungsform hinzufügen.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte Sebastian Kurz aufgefordert, bisher verweigerte Akten und Chatnachrichten endlich dem Parlament vorzulegen - genauer: dem parlamentarischen "Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung", wie das Gremium offiziell heißt. Aber Kurz befand "rotzfrech", wie die Opposition treffenderweise feststellte, dass er bereits alle relevanten Unterlagen übergeben habe. Dabei liegt es nicht an ihm, über die Relevanz zu entscheiden. Dann übermittelte er dem VfGH doch etwas - exakt 692 Mails von Kanzleramtsmitarbeitern, in denen diese bestätigten, dass sie nichts gefunden haben.

Kurz ist nicht der erste Politiker, der sich mit dem Höchstgericht anlegt

Diese Aktion ist eine Provokation und soll zeigen: Kurz nimmt das Höchstgericht nicht ernst. Er ist nicht der erste Politiker, der sich mit dem Verfassungsgericht anlegt. Der langjährige FPÖ-Politiker Jörg Haider hat sich im Streit um zweisprachige Ortstafeln in Kärnten über den Spruch des VfGH hinweggesetzt und dessen Präsident Ludwig Adamovich diffamiert. Aber es ist noch einmal etwas anderes, ob ein Landespolitiker oder der Regierungschef eines Staates ein derart problematisches Verständnis der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Judikative und Legislative zeigt.

Sebastian Kurz pfeift auf den VfGH, sein Parteikollege Wolfgang Sobotka brüskiert das Parlament. Es ist schon bizarr, dass just ein ÖVP-Politiker jenen Ausschuss leitet, in dem es um mögliche Verfehlungen seiner Partei geht. Macht braucht Kontrolle? So wird Aufklärung behindert. Spätestens, als es um Zahlungen des von ihm geleiteten Alois-Mock-Instituts ging, hätte Sobotka den Vorsitz endgültig abgeben müssen.

Originelle Begründung für den Entfall der Wahrheitspflicht

In dieser Woche preschte Sobotka nun mit einem Vorstoß vor, dass im Ausschuss die Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen entfallen soll. Die originelle Begründung: "Bei uns hat jede Person, die Auskunftsperson ist, eine ungeheure Sorge, dort etwas Falsches zu sagen, weil sie dort unter Wahrheitspflicht steht. In Deutschland gibt es das nicht." Davon abgesehen, dass Sobotka wahrheitswidrig behauptete, in Deutschland sei das anders, ist es schon dreist, wenn ausgerechnet der Nationalratspräsident eine "Lizenz zum Lügen" im Parlament - wie es die Wiener Tageszeitung Die Presse bezeichnete - verlangt.

Schon zuvor hatte das türkise Innenministerium versucht, die Möglichkeiten von staatsanwaltschaftlich angeordneten Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Amtsträgern zu kippen - und dann wurden die Ermittler bei Finanzminister Gernot Blümel (ebenfalls ÖVP) zu Hause vorstellig. Kurz wischt generell Kritik an schlecht formulierten Erlässen und Gesetzen mit lockerer Geste zur Seite, das seien doch nur juristische Spitzfindigkeiten. Und man wird doch noch den Verfassungsgerichtshof kritisieren dürfen! Jene Institution, die mehrere zentrale Projekte der Regierung Kurz für verfassungswidrig erklärt und Maßnahmen der Pandemiebekämpfung als überschießend beurteilt hat. Damit haben die Verfassungsrichter nur ihre Kontrollaufgabe wahrgenommen, was offenbar als Majestätsbeleidung aufgefasst wird.

In einem Rechtsstaat gilt: Die Politik hat dem Recht zu folgen. Das gilt zuallererst für den Regierungschef. Wem diese Prinzipien so offensichtlich egal sind, der muss sich zumindest die Frage gefallen lassen: Soll womöglich eine Verfassungskrise provoziert werden? Vielleicht auch nur, um von anderen Affären abzulenken? Apropos: Es ist erstaunlich, wie rasch das Thema mit den kompromittierenden Chatprotokollen aus der Öffentlichkeit verschwunden ist - ohne dass Konsequenzen gezogen worden wären. Auch hier eine für die politische Hygiene fatale Egal-Haltung.

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