
Zu "Pforte der Hölle" vom 20./21. April, "Paris, was nun?" vom 18. April sowie zu den Artikeln "Volks-Kirche", "Aus der Asche" und "Was bleibt" vom 17. April:
Überhöhte Deutungen
Der Brand von Notre-Dame ist zweifellos ein tragisches und bewegendes Ereignis. Aber dieses Monument deshalb als "Volks-Kirche" zu einem "Herzstück" des Landes zu stilisieren, hat mit seiner realen Bedeutung so wenig zu tun wie das hohle Pathos der Formulierung Stefan Ulrichs, Frankreich könne "aus der Asche" wieder auferstehen. Solche Deutungen Notre-Dames und ihres Brandes sind kaum mehr als Propagandaeffekte Macron'scher Provenienz, am deutlichsten vielleicht in dem Artikel auf Seite Drei, in dem ein Zwischentitel lautet: "Das Land, das durch die Proteste der Gelbwesten gespalten ist, wirkt nach dem Brand versöhnt". So hätte es der Präsident natürlich gerne, der die Legitimationskrise nur zu gerne vergessen machen würde, die von seiner skandalös unsozialen Politik ausgelöst worden ist.
Aber dass die Korrespondenten der SZ die Propaganda vom durch den Brand geeinten Frankreich reproduzieren, ist mehr als ärgerlich. In zwei Wochen werden die Meldungen über den Brand von Notre-Dame in den Kurznachrichten verschwunden sein, aber die soziale Misere breiter Teile der französischen Bevölkerung wie die Verelendung der Provinz werden weiter bestehen. Daran wird auch die symbolische Bedeutung Notre-Dames nichts ändern, die heute vor allem darin besteht, eine lukrative Touristenattraktion zu sein. Eine "Volks-Kirche" ist sie allenfalls für die heute in Frankreich nur noch kleine Minderheit praktizierender Katholiken, auch wenn Autor Joseph Hanimann sich auf Victor Hugo beruft. Dessen Roman ist im Übergang zwischen Restaurationsmonarchie und Julimonarchie entstanden, und er hat Notre-Dame darin als Kirche des Volkes (nicht "Volks-Kirche", was ein wesentlicher Unterschied ist!) beschworen, um damit symbolisch - und antimonarchistisch - einen Gegensatz zur Kirche der Könige, der Kathedrale von Reims aufzubauen.
Dr. Hartmut Stenzel, Gießen
Von der Gotischen Schule
Sehr viel und ausführlich ist über die universelle Bedeutung der großen Kathedrale von Paris geschrieben worden. Auch die Berichte und Reportagen in der SZ waren hervorragend. Doch fehlte (bisher ) die gebührende Erwähnung der Musik der Notre-Dame-Schule mit ihrem Hauptmeister Perotin (13. Jahrhundert). Ist sie doch von herausragender Bedeutung für die Entwicklung der Mehrstimmigkeit in der abendländischen Musik. ( Der Begriff "Gotische Musik" konnte sich nicht durchsetzten.) Helmut Mauró hat in seinem fundierten Artikel "Himmlische Maßstäbe" die herausragende Bedeutung dieser Epoche bestens dargestellt. Vielen Dank.
Bernhard Lindmeyr, Rosenheim
Genug der Aufregung
Natürlich ist der Brand von Notre-Dame aus kultureller Sicht katastrophal, aber jetzt reicht es mit Kommentaren dazu. Es gibt Wichtigeres, über das wir uns aufregen müssen, wie die Leiden der Menschen in Syrien oder Jemen. Notre-Dame ist nur ein Bauwerk - das wird wieder aufgebaut. Alors quoi de neuf, was gibt es also noch Neues?
Dr.Ralph Detzel, Ehingen
Mehr Geld für Hungernde
Jetzt überbieten sich die Geldsäcke und die "Wir-sind-alle-Notre-Dame"-Schreier wieder darin, Geld für die Beseitigung der Brandschäden anzubieten und einzufordern. Wo waren diese Leute, als die UN im Januar auf einer Geberkonferenz für die leidenden Menschen in Jemen 4,2 Milliarden Dollar einzusammeln versuchten und trotz Bitten und Betteln nur 2,3 Milliarden Euro zusammenbekam? Wenn bei uns im Westen, so steht zu vermuten, aus Schlamperei eine Kirche brennt, fließt das Geld in Strömen. Wenn irgendwo auf der arabischen Halbinsel mit von uns gelieferten Waffen Menschen getötet werden, verschließt man die Taschen. Das ist abstoßend.
Lutz Horn, Pforzheim
Kraftort für Christen
Für den Autor Stefan Ulrich ist Notre-Dame eine "zu Stein geronnene abendländische Kunst und Geschichte, aber auch Symbol französischer Gastfreundschaft". Den Brand bezeichnet er als "eine städtebauliche, touristische und finanzielle" Katastrophe. Dass Notre-Dame zuallererst eine Kirche ist, ein Haus Gottes und zu dessen Ehren errichtet, lässt Ulrich unerwähnt. Dass diese Kirche eines der schönsten existierenden Symbole des christlichen Glaubens ist, für Christen ein Fels in der Brandung, ein Kraftort, ein emotional hoch bedeutsamer, berührender und nun betrauerter Ort für die Zwiesprache mit Gott - all das erwähnt Ulrich nicht. Dieser Kommentar zeigt, wie sehr - zumindest für die SZ - der christliche Glaube und die Christen inzwischen aus der Mitte unserer Gesellschaft verdrängt, ihre Existenz nicht mehr wahrgenommen werden.
Brigitta Schneider, München
Medien bringen die Spenden
So furchtbar und schmerzlich die Brandkatastrophe von Notre-Dame, so erfreulich die immense weltweite Spendenbereitschaft. Doch in die Freude sticht quälend die Frage: Warum gelingt es nicht, die Herzen in gleichem Maße wie für dieses Kultur- und Geschichtsdenkmal zu emotionalisieren für leidende Menschen in existenzieller, lebensbedrohender Not, also für ebenso spontane, großzügige Hilfe, etwa in Jemen, in Syrien und anderen geschundenen Teilen der Welt? Darf Hilfsbereitschaft, darf Menschlichkeit von medialer Durchsetzungskraft abhängen?
Peter Maicher, Zorneding
Ein Aufbauprojekt für Europa
Jede Nation braucht ihre Symbole. Eine der berühmtesten Kathedralen der Welt steht nicht nur als allzeit als Touristenmagnet über den Generationen. Sie ist seit ihren grenzüberschreitend mittelalterlichen Ursprüngen höchster Baukunst ein steingewordenes Bekenntnis. Zum gemeinsamen christlichen Glauben, zu religiöser Verehrung und Traditionen weit über Frankreich hinaus. Darum muss ihre Wiederherstellung ein gemeinsames europäisches Projekt werden. Es wird damit zu einem gemeinsamen Wahrzeichen Europas über Generationen und nationale Grenzen hinaus. Ein solcher Anspruch rechtfertigt schon für sich jede Bausumme. Notre-Dame ist ein prägendes Kulturgut, das zusammenführt und dauerhaft verbindet.
Jochen Freihold, Berlin
Chartres, Nantes und jetzt Paris
Bei den Berichten über den Dachstuhlbrand der Kathedrale Notre-Dame zu Paris vermisse ich Hinweise auf Vorkommnisse derselben Art an anderen französischen Kathedralen. Sie scheinen in Frankreich eine gewisse Tradition zu besitzen. So brannte am 15. Juni 2015 der Dachstuhl der Kathedrale zu Nantes völlig ab. Den aufsehenerregendsten Dachstuhlbrand erlitt im Jahr 1836 die berühmte Kathedrale zu Chartres, welche seit der Wiederherstellung einen kupfergedeckten Dachstuhl aus gusseisernen Elementen besitzt. Beim Wiederaufbau war übrigens der später berühmt gewordene Gustave Eiffel als Geselle tätig. In allen drei Fällen - Chartres, Nantes, jetzt Paris - geschah das Unglück während der Instandsetzungsarbeiten. Welche Schlüsse hat man daraus zu ziehen?
Erhard Heilmeier, Immenstaad
Kriegsschäden waren schlimmer
Das Feuer hat sich ein Wunderwerk der Baukunst, ein Weltkulturerbe von unglaublicher Schönheit ausgesucht. Aber die Reaktionen auf diese Katastrophe, sind die in diesem Maße angebracht? Darf die ganze Welt Anteil nehmen in einer unnatürlichen Art und Weise und seine Betroffenheit in jedes Mikrofon schreien? Unglaubliche Dinge werden da erzählt wie zum Beispiel, "Notre-Dame war für mich wie eine Mutter, jetzt habe ich das Gefühl, dass meine Mutter gestorben ist" oder ... "ich muss weinen, weinen, weinen"... oder: "Die Welt weint mit Paris."
Man bedenke, kein Mensch kam bei diesem Unglück zu Schaden, es wurde ein Bauwerk zerstört, teilweise, denn nicht alles wurde von dem Feuer vertilgt. Wie viele bauliche Wunderwerke wurden allein in den Weltkriegen zerstört? Für immer. Notre-Dame 2019 ist ein Unglück, ein großer Schaden - mehr nicht.
Monika Rumpfinger, München