Süddeutsche Zeitung

Nato:Atomwaffen? Nein danke!

Kann die mögliche Ampel-Koalition sich gleichzeitig zur Nato bekennen und Nein zur nuklearen Abschreckung sagen? SZ-Leserinnen und -Leser sind der Meinung, dass die neue Regierung sich tunlichst an das Völkerrecht halten solle.

Zu "Noch lebt sie, die Abschreckung" und zu "Was Deutschland dient", beide vom 26. Oktober und zu "Nato rüstet sich für Konflikt mit Moskau" vom 22. Oktober:

Völkerrechtswidrig

Die Süddeutsche berichtet über den Streit in der Koalition um Atomwaffen und die Perspektiven dazu in der neuen Ampel-Koalition. Nötig ist die endgültige Aufgabe der nuklearen Teilhabe, da kein Atomwaffeneinsatz mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar ist. Es ist eine Katastrophe, dass Frau Kramp-Karrenbauer Russland mit einem realen Atomwaffeneinsatz droht. Gerade hatte die Nato noch festgestellt, dass das Verhältnis zu Russland den tiefsten Punkt seit Ende des Kalten Krieges erreicht habe. Nun wird weiter eskaliert, statt auf neue Entspannung und Abrüstung zu setzen. Die SZ berichtet auch über das Atomkriegsmanöver "Steadfast Noon" - mit dem Üben von Atombombenabwürfen. Daran sind die Tornados vom Atomwaffenstandort Büchel in der Eifel beteiligt. Wie nah sind wir an einer atomaren Katastrophe? Die neue Bundesregierung sollte die vom Internationalen Gerichtshof festgestellte - und vor Kurzem von der Staatsanwaltschaft Koblenz bestätigte - Völkerrechtswidrigkeit der Drohung mit beziehungsweise des Einsatzes von Atomwaffen anerkennen und dem neuen UN-Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Allein das wäre völkerrechtskonform.

Martin Singe, Bonn

Kriegsstimmung

Es ist wirklich deprimierend, dass die SZ Kriegsstimmung verbreitet. Warum wird Russland zunehmend dämonisiert? Man verwendet stets als Trittbrett die sogenannte Annexion der Krim durch Russland. Aber wer die dortigen Verhältnisse gut kennt, hat eine andere Meinung über die geschichtlichen Abläufe. Dazu empfehlen wir das Buch "Russland verstehen" von Gabriele Krone-Schmalz, einer hervorragenden Kennerin Russlands. Hier wird verständlich dargestellt, dass dieser Vorgang keine Annexion war. Man darf auch nicht vergessen, wie provokant die Nato-Manöver an der Ostsee waren. Man darf nicht vergessen, wie wortbrüchig der Westen gegenüber Gorbatschow war. Man versprach ihm, die Nato nicht nach Osten auszuweiten. Und danach hat man die Nato bis an die Baltischen Länder ausgeweitet. Wenn man vonseiten Russlands diese feindliche Stimmung des Westens wahrnimmt, kann man zuversichtlich sein, oder man wird versuchen, durch Modernisierung der eigenen Waffensysteme sich zu wehren? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Nato Konflikte in der Welt sucht und auch welche zaubert. Eine Freude für die Waffenindustrie.

Dr.-Ing. Friedrich Lange, Oberhaching

MAD

Ich bezweifle, dass in Zeiten von ballistischen Raketen von verschiedensten Trägersystemen 20 - vermutlich sogar veraltete - Bomben den Unterschied ausmachen. Ich war Ende der 70er Feuerleitoffizier bei Nike Hercules, also auch mit Atomsprengköpfen betraut, und habe zusätzlich die ABC-Se-Offiziersausbildung bekommen, was nicht alle Vorgesetzten mit Begeisterung gesehen haben. Das war die Zeit, als von der - passend benannten - MAD-Doktrin (Mutually Assured Destruction) auf die sogenannte "flexible response" gewechselt wurde. Dabei hat man der Öffentlichkeit zu keinem Zeitpunkt explizit gesagt, dass damit keinesfalls der Ersteinsatz von Atomwaffen durch die Nato ausgeschlossen war, sondern es immer so verkauft, als würde man stets nur auf den russischen Ersteinsatz reagieren. Leider war unsere konventionelle Ausstattung bereits damals kaum ausreichend, um uns über einen längeren Zeitraum gegen die angenommene russische konventionelle Aggression zu verteidigen.

Dennoch erachte ich die 20 amerikanischen Sprengköpfe auf deutschem Boden für obsolet. Für deren Nutzung benötigt es auf zwei völlig unterschiedlichen Kanälen die Freigabe, was deutliche Schwierigkeiten beinhaltet. Die Nato hat, wenngleich nicht direkt unterstellt, ein Vielfaches davon in britischen und französischen Arsenalen. Und US-Streitkräfte haben viel schneller zugänglich ballistische Raketen, Cruise-Missiles und bestückte Bomber zu ihrer unmittelbaren Verfügbarkeit. Obige Bomben sind nur dazu geeignet, in einem nicht völlig ausgeschlossenen Szenario deutsches Gebiet zu einem frühzeitigen nuklearen Ziel zu machen. Abgesehen davon, dass bei ihrem Einsatz relativ nah an der denkbaren Front überdurchschnittlich hohe zivile Verluste durch direkte und indirekte Effekte einer Nuklear-Explosion zu befürchten wären.

Robert Steininger, München

Apokalyptisch

Die Baltischen Staaten und Polen fühlen sich von Russland bedroht, so stößt der Autor mit ins Horn der Atomwaffen-Protagonisten. Nur, wie überwinden wir eigentlich diese angebliche Bedrohung? Nur durch atomare Abrüstung. Die historisch überholte Rhetorik der Befürworter der nuklearen Teilhabe und atomaren Abschreckung kann ungestraft ohne jeden Beweis für deren Logik auf allen Ebenen verbreitet werden.

Ein "Weiter so" wird dabei aber nur zu einem neuen Wettrüsten führen. Der Kern des Rüstungsübels sind allerdings wir selbst, als Nato-Staaten unter der Führung der USA. Die sogenannte "freie Welt" gibt apokalyptische Summen für Hochrüstung aus. Bringt das Sicherheit? Das ist eine unbewiesene These. Auf jeden Fall untergräbt die nukleare Teilhabe Deutschlands als Nicht-Atomwaffen-Staat die gültige Rechtslage, zumindest moralisch, denn unter dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 wird die Abschaffung der Atomwaffen festgelegt.

Zugleich ist mit dem Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 völkerrechtlich jüngst ein neues Instrument eingeführt worden. Deutschland hat diesen Vertrag bisher nicht unterzeichnet. Man muss von der neuen Bundesregierung erwarten, dass sie an den Vertrags-Folge-Konferenzen als Beobachterin im nächsten Frühjahr in Wien teilnimmt, um Perspektiven für den Beitritt zu diesem Vertrag gemeinsam mit den anderen Staaten der Nato vorzubereiten. Sicherheit durch Rüstung sind eine Illusion. Sie kostet Geld, das wir nicht haben. Und es wird Menschenleben kosten, die wir schützen müssen. Dafür gibt es nur einen wenn auch steinigen Weg: konsequente Abrüstung von Atomwaffen mit dem Ziel der globalen kontrollierten Abschaffung sowie Etablierung kollektiver Sicherheitssysteme, die Länder wie China und Russland einschließen. Illusorisch? Auf jeden Fall ohne Alternative.

Dr. Lars Pohlmeier, Berlin

(Co-Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW - International Physicians for the Prevention of Nuclear War)

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Quelle:
SZ vom 04.11.2021
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