Sprachlabor:Spitzenmann Óleifr

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Ferner eine kurze Erzählung vom Narrativ.

Von Hermann Unterstöger

UNTER EINER „ERZÄHLUNG“ verstand man dem Schullehrbuch zufolge lange, lange Zeit eine Dichtung, die sich in ihrem Gehalt an die Wirklichkeit des Lebens anschließt und so schlicht wie anschaulich eine einfache Begebenheit darstellt. Mit dieser Klarheit hatte es ein Ende, als das Narrativ auf den Plan trat. Die Lust an diesem Begriff war so groß, dass Texte, welcher Art auch immer, es mittlerweile schwer haben, nicht als Narrative oder Erzählungen präsentiert zu werden. Unser Leser Dr. W., der das Phänomen genau beobachtet, wunderte sich sehr, als Untersuchungen zur jüngeren deutschen Vergangenheit „Meistererzählungen“ genannt wurden, was doch sehr an Sammlungen mit Meistererzählungen von Zweig, Maupassant oder Čechov erinnert. Noch mehr wunderte er sich, als er sah, dass die Verschwörungserzählung inzwischen ein Nomen agentis hervorgebracht hat, nämlich den Verschwörungserzähler. Da hat er freilich einiges übersehen. Die SZ hatte den Verschwörungserzähler schon im Mai 2020, seinerzeit freilich noch in Gänsefüßchen.

UNSEREN LESER v. K. haben wir uns als glücklichen Menschen vorzustellen, da er und seine Familie immer überprüfen, wie oft ein bestimmter Kritiker „grandios“ verwendet. Sie betrachten das als Gesellschaftsspiel. Richtig happy waren sie, als das Wort unlängst in einem einzigen Text gleich viermal auftauchte, aber nicht blank, sondern seinerseits in ebenfalls grandiosen Kombinationen: „pausenlos grandios“, „grandios verblüffend“, „dunkel grandios“ (ein Bass) und „grandioser Testamentsvollstrecker“. Wer das ist? Das ist Peter Sellars, und zwar für Sergej Prokofjews Testament.

ZU DEM ZWISCHENTITEL „Mehr Männer mit Namen ,Oliver‘ als Frauen an der Spitze“ sagt Leser Dr. M.: „Ich kenne keine einzige Frau, die so heißt.“ Wir auch nicht, aber die Männer kennen wir: Oliver Blume (VW), Oliver Zipse (BMW) und Oliver Bäte (Allianz). Man könnte Ola Källenius (Mercedes) mit ins Boot nehmen, da Ola – kommt von Olaf – und Oliver dieselbe Grundbedeutung haben: „Nachkomme des Urahns“ (altisländisch Ólafr oder Óleifr). Auch so heißt keine Frau an der Spitze.

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