Green Fashion:Lang lebe die Mode

Green Fashion: Jacken, die aus den Segeln von Kitesurfern genäht wurden und ein Kleid aus benutzten Kaffeekapseln: Designer Antonin Tron hat für seine Kollektion Atlein alles verwendet, was er finden konnte.

Jacken, die aus den Segeln von Kitesurfern genäht wurden und ein Kleid aus benutzten Kaffeekapseln: Designer Antonin Tron hat für seine Kollektion Atlein alles verwendet, was er finden konnte.

(Foto: Katharina Wetzel)

Bis 2030 sollen die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt haltbar und recyclingfähig sein. Junge Labels zeigen in Paris heute schon Looks aus Stoffresten, Überhängen oder gebrauchten Kaffeekapseln. Doch der Weg zu einer nachhaltigen Branche ist noch weit.

Von Katharina Wetzel

Kann Mode nachhaltig sein? Bei der Frage kommt einem die Installation "Personnes" von Christian Boltanski in den Sinn, die 2010 im Pariser Grand Palais aufgestellt wurde. Mittendrin ein riesiger Berg an Altkleidern. Immer wieder durchmischt ein Kran in Form eines Greifarms die gebrauchten Textilien. So berührend wurde eine Textilmüllhalde wohl noch nie dargeboten. Doch so nachdenklich dies auch stimmt, so schnell vergessen sind Bilder von Textilbergen, wenn der eigene Shopping-Kauf bevorsteht.

Die Mode- und Textilindustrie ist einer der größten Umweltverschmutzer, für Kinderarbeit bekannt, schlechte Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne. Allein für die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts werden durchschnittlich 2500 Liter Wasser verbraucht. Die Herstellung von Textilien belastet Böden, verschmutzt die Natur mit Unmengen an Chemikalien, ist energieintensiv, und nicht selten landen die Klamotten nach kurzer Zeit schon wieder ungetragen im Müll. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Textilproduktion verdoppelt, die durchschnittliche Tragezeit dagegen sogar halbiert.

Bis 2030 sollen die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig sein

Jede Sekunde wird irgendwo auf der Erde eine Lastwagenladung Textilien auf Deponien abgelagert oder verbrannt, heißt es in einem EU-Strategie-Papier für nachhaltige und kreislauffähige Textilien, das Ende März vorgestellt wurde. Angesichts dessen erscheint es geradezu als Sisyphusarbeit, was sich die EU-Kommission vorgenommen hat. Bis 2030 sollen die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig sein, größtenteils aus Recyclingfasern bestehen, keine gefährlichen Stoffe enthalten und unter Einhaltung der sozialen Rechte und im Sinne des Umweltschutzes hergestellt werden. "Fast Fashion", also das schnelle Konsumieren und Wegwerfen von Bekleidung, komme dann aus der Mode. Bisher entspricht dies einem Wunschdenken.

Green Fashion: Victor Weinsanto ist ein aufstrebender, junger Designer, der Wert auf Nachhaltigkeit legt. Sein "Bullen-Kleid" ist aus recycelten Schals gemacht.

Victor Weinsanto ist ein aufstrebender, junger Designer, der Wert auf Nachhaltigkeit legt. Sein "Bullen-Kleid" ist aus recycelten Schals gemacht.

(Foto: Etienne Tordoir)

Die Idee, dass aus Altkleidern neue werden und Produkte so hergestellt werden, dass sie langlebig und wieder verwertbar sind, dass eine sogenannte Kreislaufwirtschaft nach der Vision der Ellen Mac Arthur Foundation in Gang kommt, steht erst am Anfang, Recycling macht bisher weniger als ein Prozent aus. Bisher fehlt dafür auch die Infrastruktur, wie etwa Sortierbetriebe und Recycler sowie kreislauffähige Produkte. Und die Kollektionen, die aus Bananenblättern entstehen, sind noch verschwindend gering.

Dabei boomt der Markt mit Secondhand-Mode. Muffig wirke diese längst nicht mehr. Durch die digitalen Plattformen sei das Angebot sexy und viel größer geworden, sagt Achim Berg, Senior Partner und Modeexperte der Unternehmensberatung McKinsey. Doch tatsächlich nachhaltig ist die Vintagemode nur, wenn sie nicht noch zum zusätzlichen Kauf anregt. Und das sei garantiert nicht im Interesse der Modemarken, so Berg. Ein Grund vielleicht, warum viele Firmen über ihre nachhaltigen Konzepte lieber nicht im Detail sprechen. Schließlich verbreitet sich bei Greenwashing-Verdacht ein Shitstorm schneller über soziale Medien als die neueste It-Bag.

Gerade im gehobenen Bekleidungssegment wird gerne betont, dass gute Qualität eben auch mehr koste

Dennoch bewegt sich einiges. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen sieht Nachhaltigkeit als wichtig an, wie Umfragen zeigen. Messen wie die Pariser Tranoï oder die Frankfurter Neonyt rücken das Thema in den Fokus. Die Frankfurter Messe wird sich während der Modewoche im Juni intensiv mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen und sich zum ersten Mal auch direkt an Endkonsumenten wenden. Bei den Verbrauchern ist ein zunehmendes Bewusstsein da. Doch zuerst sehen diese meist noch die Hersteller in der Pflicht. Zudem spielt der Preis oft eine erhebliche Rolle bei der Kaufentscheidung.

Green Fashion: Der Schweizer Designer Kévin Germanier haucht alten Federn, Perlen und Vintage-Denim neues Leben ein und entwirft damit glamouröse Looks - alle upgecycelt.

Der Schweizer Designer Kévin Germanier haucht alten Federn, Perlen und Vintage-Denim neues Leben ein und entwirft damit glamouröse Looks - alle upgecycelt.

(Foto: Katharina Wetzel)

Gerade im gehobenen Bekleidungssegment wird gerne betont, dass gute Qualität eben koste und die Ware daher langlebiger, also per se nachhaltiger sei. Dies stimmt zwar teils auch, jedoch lässt es außer Acht, dass gerade die Luxusmarken ihre gesamte Marketingmaschinerie anwerfen, um jede Saison neue kostspielige Träume zu wecken, die schnelle Kopisten zudem dann zu günstigeren Preisen abkupfern und in hohen Stückzahlen auf den Markt werfen. Kann die Aufmerksamkeit, die große Modehäuser und junge, aufstrebende Designer erreichen, also auch eine positive Wirkung in Sachen Nachhaltigkeit entfalten? Jedenfalls spielen ökologische, soziale und ethische Aspekte auch bei den Inszenierungen eine immer größere Rolle, wie sich auch auf der Pariser Modewoche Anfang März zeigte.

Ein Kleid aus benutzten Kaffeekapseln, die gepresst und dann mit ausrangierten Steinchen verziert werden, Jacken, die aus den Segeln von Kitesurfern genäht wurden: Antonin Tron hat für seine Kollektion Atlein alles verwendet, was er finden konnte. Der Designer arbeitet zusammen mit dem spanischen Unternehmen Seaqual, das Plastikmüll aus den Ozeanen abschöpft. Das 2016 gegründete Label will möglichst umweltfreundlich produzieren.

Green Fashion: Auch Designerin Christelle Kocher arbeitet mit Stoffresten und zeigt in ihrer Kollektion Koché fließende Kleider.

Auch Designerin Christelle Kocher arbeitet mit Stoffresten und zeigt in ihrer Kollektion Koché fließende Kleider.

(Foto: Guillaume Roujas)

Auch Victor Weinsanto ist ein aufstrebender, junger Designer, der Wert auf Nachhaltigkeit legt. Ein Kleid namens "Bulle" ist aus alten, recycelten Schals gemacht. "Ich fand diese so schön, dass ich ihnen ein zweites Leben geben wollte", sagt der Designer, der sein eigenes Label Weinsanto 2020 startete und früher mit Jean Paul Gaultier zusammenarbeitete, der zu Beginn seiner Karriere ebenfalls schon aus der Not heraus viel mit Upcycling arbeitete. Alte Stoffe erzählten eine Geschichte und gäben einem Outfit einen neuen Ausdruck. Zudem nutzt Weinsanto Ananasleder für seine Accessoires.

Der Schweizer Designer Kévin Germanier haucht alten Federn, Perlen und Vintage-Denim neues Leben ein und entwirft damit glamouröse Looks - alle upgecycelt. Und Designerin Christelle Kocher ist eins der jungen Talente, die bereits eine große Show mit vielen Gästen im Hotel Westin, nahe dem Place Vendôme, ausrichtete.

Sie hat einige upgeycelte Sonder-Kollektionen entworfen und für ihr eigenes Label Koché von Anfang an Stoffreste zu fließenden Kleidern verarbeitet. Die Arbeit mit Lagerbeständen sei selbstverständlich. "Doch leider tun dies nicht alle Modehäuser", beklagt sie. Beim Label Marine Serre ist dies Praxis, etwa 70 Prozent der Kollektion besteht aus recyceltem Material.

Green Fashion: "Kau­fe weni­ger, wäh­le dafür gut aus und tra­ge es mög­lichst lan­ge", lautet der Rat von Designerin und Umweltaktivistin Vivienne Westwood.

"Kau­fe weni­ger, wäh­le dafür gut aus und tra­ge es mög­lichst lan­ge", lautet der Rat von Designerin und Umweltaktivistin Vivienne Westwood.

(Foto: Katharina Wetzel)

Die Modedesignerin und Umweltaktivistin Vivi­en­ne West­wood steht für "Qua­li­tät statt Quan­ti­tät". "Kau­fe weni­ger, wäh­le dafür gut aus und tra­ge es mög­lichst lan­ge", lautet ihr Rat. Mit ihrem Co-Designer und Ehemann Andreas Kronthaler zeigt sie sich bei ihren Schauen stets auf großer Bühne. Bewegt hat Westwood auch viel in Sachen Gender. Inzwischen laufen bei vielen Modelabels Männer innerhalb der Frauenmodewoche. Westwood machte es salonfähig.

Inzwischen sticht in Sachen Diversität vor allem das Label Ludovic de Saint Sernin hervor, das auch Männer in eng anliegenden Corsagen über den Laufsteg schickt und damit die gesamte LGBTQ-Fangemeinde beglückt. Marketing oder echtes Engagement? Mitunter ist es ein schmaler Grat.

Green Fashion: Weibliche Macht: Bei Dior ist die Location wie in einem Museum mit historischen Frauenporträts in Schwarz-Weiß bestückt.

Weibliche Macht: Bei Dior ist die Location wie in einem Museum mit historischen Frauenporträts in Schwarz-Weiß bestückt.

(Foto: Katharina Wetzel)

Dior gab sich oft schon feministisch, die Kritiker hat das nicht immer überzeugt. Auch Anfang März stand die weibliche Macht im Fokus. So war die Location wie in einem Museum mit historischen Frauenporträts in Schwarz-Weiß bestückt. Vor der Kulisse zeigte Kreativchefin Maria Grazia Chiuri unter anderem Westen als Schutzpanzer über Abendkleidern. Ob dies eine Anspielung an den Krieg in der Ukraine war?

Auch wenn viele Firmen es nicht ausdrücklich in ihre Pressemitteilung schrieben, die Inszenierungen von Rick Owens und Balmain waren so düster, dass man sie unweigerlich damit in Verbindung brachte. Balmain zeigte vorab eine Tanzsequenz, die wie eine Kriegsszene anmutete, um dann Models, gerüstet mit vermeintlich schusssicheren Westen, über den Laufsteg zu schicken. Und bei Rick Owens trugen die Models mobile Nebelmaschinen mit sich herum und wirkten mit ihren übergroßen Airbag-Westen als seien sie auf der Flucht. Firmen wie Anne Demeulemeester und Givenchy zeigten auffällig viel Schwarz in ihren Kollektionen.

Green Fashion: Balmain zeigt vor seiner Schau eine Tanzsequenz, die wie eine Kriegsszene anmutet.

Balmain zeigt vor seiner Schau eine Tanzsequenz, die wie eine Kriegsszene anmutet.

(Foto: Katharina Wetzel)
Green Fashion: Bei Nacht und Nebel: Bei Rick Owens wirken die Models mit ihren übergroßen Airbag-Westen als seien sie auf der Flucht.

Bei Nacht und Nebel: Bei Rick Owens wirken die Models mit ihren übergroßen Airbag-Westen als seien sie auf der Flucht.

(Foto: Katharina Wetzel)

Es gab auch viele Firmen, die sich in den sozialen Medien solidarisch zeigten. Firmen wie Giorgio Armani, Givenchy oder Heliot Emil spendeten, starteten Hilfsprojekte und riefen zur Unterstützung auf. Die Designer von Botter, Lisi Herrebrugh und Rushemy Botter, bezogen ausdrücklich Stellung auf ihrer Schau. Angesichts des Krieges gegen die Demokratie, der noch schwelenden Pandemie und der Klimakrise sei es gerade einfach zu denken, dass Mode zwecklos sei, frivol und künstlich, heißt es in einer Mitteilung. Doch die Designer, die sich von afrikanisch-amerikanischer Kultur und karibischem Karneval inspirieren ließen, sind natürlich anderer Meinung. Mit Mode könnten sich gerade Minderheiten ausdrücken. Mode sei auch in kultureller Hinsicht existenziell zum Überleben. Und vielleicht ist es gut, dass man sich ab und zu bewusst macht, wozu Mode da ist.

Green Fashion: Die Designer des Labels Botter bezogen ausdrücklich Stellung zum Krieg in der Ukraine.

Die Designer des Labels Botter bezogen ausdrücklich Stellung zum Krieg in der Ukraine.

(Foto: Katharina Wetzel)
Green Fashion: Balmain schickt seine Models mit Panzer-Westen über den Laufsteg.

Balmain schickt seine Models mit Panzer-Westen über den Laufsteg.

(Foto: Katharina Wetzel)
Green Fashion: Dior-Kreativchefin Maria Grazia Chiuri zeigt ein scheinbar kugelsicheres Korsett über einem Abendkleid.

Dior-Kreativchefin Maria Grazia Chiuri zeigt ein scheinbar kugelsicheres Korsett über einem Abendkleid.

(Foto: Piroschka van de Wouw/Reuters)
Green Fashion: Auch diese Kreation von Heliot Emil wirkt wie ein Schutzschild.

Auch diese Kreation von Heliot Emil wirkt wie ein Schutzschild.

(Foto: Thierry Chesnot/Getty Images)
Green Fashion: Bei Ann Demeulemeester ist viel schwarz zu sehen.

Bei Ann Demeulemeester ist viel schwarz zu sehen.

(Foto: Katharina Wetzel)
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