Die SZ in der Region:"Eine symbiotische Beziehung"

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Die SZ in der Region: Am Starnberger See zu wohnen, ist ein Privileg. Aber am Ende manchmal gar nicht teurer als in München-Trudering.

Am Starnberger See zu wohnen, ist ein Privileg. Aber am Ende manchmal gar nicht teurer als in München-Trudering.

(Foto: Martin Siepmann/imago)

Gute Luft, schöne Aussicht, günstigere Mieten: Das alles macht den Speckgürtel so attraktiv. Auch die SZ liebt das Landleben. Acht Lokalredaktionen berichten über Politik, Gesellschaft und Kultur im Münchner Umland.

Von Karin Kampwerth

Die gute Freundin zum Beispiel. Wohnt am Starnberger See. Wer auf ihrem Balkon einen Kaffee in der Morgensonne trinkt oder hinterm großen Wohnzimmerfenster dräuende Unwetterwolken dabei beobachtet, wie sie das Wasser in wilde Wogen werfen, der fragt sich unweigerlich: Lebe ich schon oder wohne ich nur - mit Blick auf die nächste Häuserwand? Inzwischen hat die Freundin einen Hund, ein Boot und ein Pferd. Fast wie das Klischee aus der Werbung für ein Geldinstitut. Und ja, das klingt alles nach Luxus, ist es auch. Aber nicht im monetären Sinn. Die Freundin ist weder Großverdienerin noch Erbin noch Zahnarztfrau, um ein paar weitere Klischees zu bedienen.

Entgegen aller Vorurteile ist Wohnen am Starnberger See mitunter sogar erschwinglicher als, sagen wir mal, in München-Trudering. Das verrät der Blick auf ein Immobilienportal. Zum Zeitpunkt, als dieser Text entsteht, wird etwa in Münsing am Ostufer des Sees eine energetisch renovierte 200 Quadratmeter große Wohnung mit Kachelofen, Einbauküche, fünf Zimmern und zwei Badezimmern für 2000 Euro Kaltmiete angeboten. Balkon und Terrasse inklusive Traumblick ins Grüne sind auch dabei. Und in Trudering? Da gibt es eine zweifelsfrei schicke Terrassenwohnung mit Kamin, 132 Quadratmeter, für 2390 Kaltmiete. Blick in Nachbars Kochtopf inklusive.

Natürlich hat das Leben in der Stadt viele Vorteile, auch wenn der Autorin gerade keine einfallen. Vielleicht geht es aber vielen Münchnerinnen und Münchnern ebenso, wenn sie sich für den Umzug aufs Land entscheiden. Denn München ist teuer, überlaufen und laut - und eine Wohnung in den wirklich schönen Vierteln unbezahlbar für normalverdienende Menschen. Fünf Zimmer auf 185 Quadratmetern am Englischen Garten stehen mit 4300 Euro Kaltmiete in einem Immobilienportal.

Dass es die Menschen aus München raus ins Umland zieht, hat die Pandemie getriggert. Im Corona-Sommer 2021 stellten die Marktforscher vom Immobilienverband Deutschland Süd (IVD) einigermaßen verblüfft fest, dass die Städter ihre Liebe für schöneres Arbeiten auf dem Land zunehmend entdecken. Mit dem verstärkten Home-Office wollen die Leute raus ins Grüne, Richtung Starnberg übrigens genauso gerne wie nach Fürstenfeldbruck oder Ebersberg, resümierten die Maklerinnen und Makler bei ihrem turnusmäßigen Immobilienbericht im Juni 2021. Unerfreulicher Nebeneffekt: Wo die Nachfrage steigt, ziehen die Mieten an. Aber: Wer zu Hause arbeiten kann, muss sich wenigstens nicht allzu sehr über die explodierten Spritpreise ärgern. Und wenn es doch mal ins Büro geht, gibt es noch die S-Bahn.

Die SZ in der Region: Während der Pandemie ist die Sehnsucht der Städter nach einem Häuschen im Umland deutlich gestiegen.

Während der Pandemie ist die Sehnsucht der Städter nach einem Häuschen im Umland deutlich gestiegen.

(Foto: Johannes Simon)

Die politischen Entscheidungsträger der an München angrenzenden Landkreise wissen um die Attraktivität des Vorortlebens. Doch der liebevoll als Speckgürtel bezeichnete Ring rund um die bayerische Landeshauptstadt lebt eben nicht nur von der schönen Aussicht mit hohem Freizeitwert allein, sondern er ist auch auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Kein Wunder, dass die Landräte wenig begeistert sind, weil der Bau der zweiten Stammstrecke exorbitant teurer wird und sich vor allem die mögliche Fertigstellung um weitere neun Jahre nach hinten verschieben soll. Dabei sei die S-Bahn beim ÖPNV "das Rückgrat der Region", sagte Robert Niedergesäß zu diesem Dilemma. Der CSU-Politiker und Ebersberger Landrat ist Sprecher der MVV-Landkreise.

Die SZ in der Region: Die schöne Aussicht und der hohe Freizeitwert allein reichen nicht aus, um die Region attraktiv zu halten.

Die schöne Aussicht und der hohe Freizeitwert allein reichen nicht aus, um die Region attraktiv zu halten.

(Foto: imago)

Wohnen und Verkehr - und längst die Energiewende, das sind die Megathemen, die die Menschen in der Region in ihrem Alltag täglich betreffen, und die von SZ-Journalistinnen und -Journalisten beschrieben, analysiert und eingeordnet werden.

Dass das Umland im Kontext mit der Stadt ein fruchtbares Berichtsfeld ist, erkannte man bei der Süddeutschen Zeitung aber erst nach den Olympischen Spielen 1972. Denn während im Anschluss an die Spiele München bis kurz vor der Jahrtausendwende stetig Einwohner verlor, wuchs das ländlich orientierte Umland zu einem prosperierend pummeligen Puffer heran; jenem Speckgürtel eben, der die Stadt davor bewahrt, aus allen Nähten zu platzen. Darüber berichten seit 1977 in inzwischen acht SZ-Lokalredaktionen rund 50 Kolleginnen und Kollegen. Sie haben die großen politischen Entwicklungen, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse im Blick, sie stellen Menschen vor, die etwas zu sagen haben und greifen Missstände auf, die sonst im Dunklen blieben. Im digitalen Zeitalter entwickeln viele der Themen längst eine Strahlkraft über das regionale Interesse hinaus.

Jeder Landkreis hat seine eigene journalistische DNA

Zurück nach Starnberg, ins Fünfseenland. Hier verbringen Menschen aus München genauso wie aus Mönchengladbach gerne ihre Freizeit. Die einen kommen am Sonntag mit der S-Bahn, die anderen reisen für zwei Wochen Urlaub an. Ob Tipps für familientaugliche Badestrände mit anschließender Biergartenempfehlung oder Stauwarnung wegen Tunnelbau - für Starnberger bedeutet das Orientierung in der Heimat, für Wochenendausflügler oder Sommerfrischler sind die SZ-Texte ein Kompass für Kurzweil.

So lassen sich auch die anderen Landkreise erlesen. Jeder hat - neben der klassischen Berichterstattung - seine eigene journalistische DNA. Kennen Sie zum Beispiel das Alte Kino in Ebersberg? Hier testen prominente Kabarettisten ihre Programme vor kleinem Publikum, bevor sie damit auf die großen Bühnen gehen. In Bad Tölz-Wolfratshausen hat ein Kollege immer die Wanderschuhe im Auto, weil es oft Themen gibt, für die er auf den Berg muss. In Freising und Erding werden die Expansionspläne des Münchner Flughafens kritisch begleitet. Die Dachauer Redaktion leistet mit den Berichten über die KZ-Gedenkstätte einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur, und in Fürstenfeldbruck als Bindeglied zwischen den Regierungsbezirken Oberbayern und Schwaben spielen verkehrspolitische Themen eine große Rolle. Im Landkreis München leisten die Redakteurinnen und Redakteure täglich den journalistischen Spagat im Spannungsfeld zwischen Voralpenidylle in Aying und urbanem Lebensgefühl in Unterschleißheim.

Immer öfter verschmelzen die Grenzen zwischen Stadt und Landkreisen zudem thematisch, aber auch optisch durch die streckenweise durchgehende Bebauung. Zwischen Trudering (Stadt) und Haar (Landkreis München) genauso wie zwischen Karlsfeld (Landkreis Dachau) und Feldmoching (Stadt).

Die SZ in der Region: Wo hört die Stadt auf, wo beginnt das Umland? Nicht immer ist das auf den ersten Blick zu erkennen.

Wo hört die Stadt auf, wo beginnt das Umland? Nicht immer ist das auf den ersten Blick zu erkennen.

(Foto: imago)

Das Trennende und Verbindende zwischen Stadt und Umland hat nicht nur die SZ, sondern auch der Regionale Planungsverband München (RPV) stets im Blick. Geschäftsführer Christian Breu betont aber, dass dieses Instrument der Raumordnung und -entwicklung nicht das Einwohnerwachstum in den Gemeinden steuern kann. "In erster Linie ziehen die Menschen natürlich dahin, wohin sie wollen", sagt Breu. Aus Münchner Sicht sind es immerhin 10 000 bis 20 000 Menschen pro Jahr, die laut Verbandsstatistik ins Umland abwandern.

Die SZ in der Region: Weil die Kommunen im Münchner Speckgürtel mit der Stadt mitwachsen wollen, ist München noch nicht aus allen Nähten geplatzt.

Weil die Kommunen im Münchner Speckgürtel mit der Stadt mitwachsen wollen, ist München noch nicht aus allen Nähten geplatzt.

(Foto: Johannes Simon)

Wahrscheinlich wäre München längst einwohnermäßig an seine Grenzen gekommen, wenn es das Umland nicht gäbe und die meisten Kommunen nicht stetig mitwachsen wollten, um an der Entwicklung des Großraums teilzuhaben. Das weiß Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zu schätzen: "Die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Region ist ausgesprochen wichtig für die künftige Entwicklung der Region", sagt er. "Allein schon das Thema Mobilität zeigt, dass Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam angepackt werden können." Eine Erkenntnis, die RPV-Chef Christian Breu auf den Punkt bringt: "Ohne das Umland wäre die Stadt nicht so attraktiv und umgedreht. Das ist eine symbiotische Beziehung."

Findet die Freundin aus Starnberg übrigens auch, wenn sie nach München reinfährt, um das pralle Leben zu genießen, das - Speckgürtel hin oder her - auf dem Land doch etwas dünner ausfällt.

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